Facebook-Roman als Buch

Fluchtgeschichte mit viel Humor

Ein Mann postet per Smartphone auf Facebook.
So kann man auch Romane schreiben: Ein Mann postet per Smartphone auf Facebook. © dpa / picture alliance / Luong Thai Linh
Von Noemi Schneider · 03.11.2015
Vor einigen Wochen durfte der aus Syrien geflüchtete Journalist Assaf Alassaf nach Deutschland ausreisen, um sein Buch "Abu Jürgen" vorzustellen. Darin erzählt er eine Flüchtlingsgeschichte, die trotz aller Dramatik sehr humorvoll ist.
"Ich gehöre zu denen, die Glück hatten, aber ich bin einer von sechs Millionen, die ein Visum gekriegt haben."
Assaf Alassaf sitzt an einem Küchentisch im Münchner Glockenbachviertel und trinkt schwarzen Kaffee mit viel Zucker. Der 40-jährige syrische Zahnarzt und Journalist ist seit knapp drei Jahren mit seiner Familie auf der Flucht vor dem Krieg in seiner Heimat - von Syrien nach Mauretanien und von dort in den Libanon, wo er anderthalb Jahren lebt und als Zahnarzt in einem Zentrum für syrische Flüchtlinge arbeitet.
"Im Libanon haben wir die Hoffnung verloren. Du hast dort keine Wahl, die Botschaften sind geschlossen, du kriegst keine Visa. Da bleibt dir nur der Weg übers Meer. Nicht nur die Botschaften sind geschlossen, alle arabischen Länder rundum sind abgeriegelt für Syrer. Den Libanon darf ich eigentlich zwei Jahre lang nicht verlassen, wenn ich ihn verlasse, dann kann ich nicht mehr zurück und meine Familie sitzt dort fest – das größte Problem ist, dass wir Gefangen sind."
Seit Jahren veröffentlicht Assaf Alassaf auf seiner Facebook-Seite Texte – in Syrien gegen das Assad Regime, seit seiner Flucht sind es vor allem Flüchtlingsfragen, die ihn umtreiben und ihm eine stetig wachsende Leserschaft bescheren.
"Ich mag es nicht über ernste Themen direkt zu schreiben, meine Art ist es, lustige Geschichten zu erzählen. Die Leute haben sofort gesagt, genau das ist es, was wir brauchen, etwas zu lachen in diesen dunklen Zeiten und zwischen den Zeilen tauchen natürlich die ernsten Themen des Flüchtlingsleben auf. Aber als ich angefangen habe 'Abu Jürgen' zu schreiben, da musste ich einfach Witze darüber machen, denn du kannst darüber nicht ernsthaft schreiben, ich kann darüber nicht ernsthaft schreiben, ich würde verrückt werden."
Facebook-Kampagne für ein deutsches Visum
In der Flüchtlings-Groteske "Abu Jürgen" startet Alassafs alter Ego Abu Rita eine unorthodoxe Facebook-Kampagne um an ein deutsches Visum zu kommen. Er beginnt den deutschen Botschafter auszuspionieren und begegnet diesem, genannt Abu Jürgen, schließlich zufällig an einem Falafel-Stand in Beirut.
"Da sagte der Botschafter: 'Entschuldigen Sie, aber mir erschließt sich nicht ganz, wer Sie sind.' Ich sagte ihm: 'Also wirklich, schäm dich! Ich bin doch der Mann hinter der Kampagne für das deutsche Visum.' Da entfuhr es dem Botschafter: 'Ach, du bist dieser Abu Rita, der uns hier die ganze Zeit auf Facebook blamiert!' Ich sagte: 'Mann, erlöse uns doch endlich! Gib mir doch endlich dieses hochheilige Visum, damit ich nach Deutschland fliegen und meine Frau und meine Töchter nachholen kann. Bruder, du musst mir helfen. Ich will dieses Visum, bei diesem Barthaar hier.' Bei diesen Worten streckte ich meine Hand aus und riss ihm ein Haar aus seinem Schnurrbart aus. Der Botschafter zuckte zusammen. Dann überlegte er und sagte: 'Schau mal, Bruder. Nächsten Monat werden wir ein Flugzeug direkt von uns nach Deutschland schicken. Die Maschine ist zwar komplett belegt, aber es gibt noch zwei Extraplätze. Ich werde versuchen, dir einen von den Plätzen zu geben.'
Aus Abu Jürgens Versprechungen wird natürlich nichts. Allerdings entwickelt sich zwischen dem deutschen Botschafter und dem syrischen Flüchtling eine sehr unterhaltsame Freundschaft. Am Ende des Buches träumt Abu Rita immer noch von einem Visum - im Gegensatz zu Assaf Alassaf, dem sein Buch eine Einladung nach Deutschland ermöglichte. Die Fiktion hat die Realität überholt, wie wirkt nun dieses deutsche Realität auf den Autor?
"Beim Landeanflug habe ich die grünen Felder und roten Dächer gesehen und ich gedacht: Das ist das Paradies. In erster Linie hat meine Entscheidung, nach Deutschland zu kommen, mit meinen Kindern zu tun, nicht mit mir. Im Libanon gibt es keine Zukunft für uns, die Regierung kann uns jeden Moment nach Syrien zurückschicken, in den Krieg. Ich will nicht, dass meine Kinder in so einer Situation aufwachsen müssen, ich will, dass sie eine Zukunft haben."
Assaf Alassaf lacht viel und gern und während unseres Gesprächs vergesse ich beinahe, dass der heitere Mensch mir gegenüber alles verloren hat. Seine Frau und seine beiden Töchter sitzen in Beirut fest, in den Libanon darf Alassaf nicht wieder einreisen, seine Eltern leben in seinem nun vom IS kontrollierten syrischen Heimatdorf, seit Monaten hat er keinen Kontakt mehr zu ihnen gehabt. Doch Assaf hat eine Überlebensstrategie gefunden – den Humor.
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