Expressionist und Romantiker Dan Flavin

Von Volkhard App · 13.12.2012
Dan Flavins Installationen aus Leuchtstoffröhren dürfen in der Bielefelder Kunsthalle nicht fehlen. Doch im Mittelpunkt stehen Zeichnungen des Künstlers: Anlehnungen an Apollinaire und James Joyce, expressiv gestrichelte Bäume, Studien zu Alten Meistern und vieles mehr.
Auch wenn hier der Blick den Zeichnungen von Dan Flavin gilt, mochte man auf seine berühmten Installationen aus Leuchtstoffröhren, diesem Kunstwunder aus dem Baumarkt, nicht verzichten - und bespielt mit den farbig strahlenden, vertikal und horizontal angeordneten schmalen Körpern gleich die ganze erste Etage der Bielefelder Kunsthalle. Ein Minimalismus, der die Räume magisch verwandelt - und die Selbstwahrnehmung in ihnen. Mit dabei: eine Nachbildung jener diagonal verlaufenden Röhre, mit der 1963 der Ruhm Flavins begann. Erstaunlich, wie sich diese Gebilde im Tageslicht des Gebäudes behaupten und auf den Scheiben für schöne, irritierende Spiegeleffekte sorgen. Gewidmet hat der Künstler seine Leuchtwerke berühmten Kollegen: Henri Matisse und Donald Judd, aber auch Philip Johnson, dem Architekten dieser Kunsthalle. Direktor Friedrich Meschede:

"Das ist etwas sehr Persönliches. Das ist dieser Spagat, der permanent vollzogen wird: etwas sehr Neutrales zu machen mit Leuchtstoffröhren und Halterungen, die die Industrie perfekt herstellt, das hat eine gewisse Anonymität und Sterilität. Und um dem entgegenzuwirken, widmet er die Werke im Titel Personen, die ihm wichtig sind: seinem engsten Freund Donald Judd oder seiner Frau Sonja."

Kunsthalle Bielefeld: Dan Flavin (für Ausstellung)Diese Lichtskulpturen sind der optisch attraktivste Teil dieser Ausstellung. Eher spröde dagegen wirken die Zeichnungen, auf denen Flavin seine Installationen entworfen oder mit deren Hilfe er sie später inventarisiert hat.

Aber diese Blätter, die sich auf die Leuchtröhren und deren Vorläufer, die Werke mit Glühbirnen ("Icons"), beziehen, bilden ja nur einen Teil seines zeichnerischen Werks. Da finden sich aus den späten 50er-Jahren auch expressiv gestrichelte blaue Bäume, die vom Wind hin- und hergeschüttelt werden; Studien zu Alten Meistern und schwarze Flächen, die an Mietshäuser im Regen erinnern sollen. Ein Stück Selbstvergewisserung des Kunststudenten, die Suche nach einem eigenen Stil. Aber auch später, als Flavin längst für seine Leuchtstoffröhren bekannt war, gab er das Zeichnen nicht auf, es war ihm offenbar ein Bedürfnis. Isabelle Dervaux, die Kuratorin aus New York:

"Das Zeichnen war für ihn sehr wichtig, wegen der Handarbeit. Wohingegen seine Lichtinstallationen konzeptionellen Charakter hatten, denn sie wurden von Elektrikern montiert. Beim Zeichnen aber war er selber mit dem Stift und seinem Block gefragt, das machte ihm Freude."

Nicht wenige seiner Blätter suchen auch hier im Titel die Nähe zu erlauchten Künstlerkollegen: zu Apollinaire und zu James Joyce, mit dessen lyrischem Werk sich eine ganze, mit Wasserfarben gestaltete Serie Dan Flavins beschäftigt. Ein an informelle Malerei erinnerndes Werk wurde dagegen 1961 den im Kongo leidenden Menschen gewidmet:

Meschede: "Künstler dieser Generation, die abstrakte Kunst machten, wollten zugleich eine politische Verantwortung übernehmen. Und das beobachte ich bei Dan Flavin, dass viele der Widmungen, wenn sie nicht ganz persönlich sind, eine politische Implikation haben. Es geht hier um den Konflikt im Kongo, als Menschen ermordet wurden. Und so hat er ihnen dieses Blatt gewidmet."

Der Zeichner Flavin darf hier neu entdeckt werden: Wunderbar sind seine Eindrücke von den Ufern des Hudson River, seiner unmittelbaren Umgebung und von Gebirgszügen und Schluchten, dazu kommen Impressionen von den Stränden Long Islands. Ein paar Kohlestriche genügen, um das Abenteuer des Segelns glaubhaft zu machen. Flavin als Meister der Verdichtung. Zu dieser motivischen Vorliebe passt, dass er Kunst aus dem 19. Jahrhundert sammelte: bevorzugt romantisierende Landschaften US-amerikanischer Zeichner:

"Es war die Gegend, in der er leben wollte und gelebt hat. Und die Hudson River-School war der Inbegriff von romantischer Landschaftsdarstellung in Amerika, so wie es bei für Caspar David Friedrich die Kreidefelsen von Rügen waren. Es war eine hohe Identifikation: Landschaft als überhöhte, spirituelle Dimension der Betrachtung."

Flavin, der romantisch geprägte Kunstsammler; Flavin, der vielfältige Zeichner und Maler. So erhält das Bild dieses Röhren- Arrangeurs zusätzliche Facetten: Flavin für Fortgeschrittene. Fragt sich nur, inwieweit man dieses zeichnerische Werk kennen muss, um den Kern seines Oeuvres zu verstehen:

"Nein, das ist nicht nötig: Die Lichtinstallationen stehen für sich, man kann sie unmittelbar genießen. Doch wenn man auf seine Zeichnungen schaut, versteht man die Persönlichkeit Dan Flavins besser, das Romantische und den Hintergrund seiner Auffassung vom Licht. Die Zeichnungen zeigen, dass er eher ein Expressionist war als ein Minimalist. Das Wort 'Minimalist‘ passt nicht zu ihm, betrachtet man sein Werk, besonders seine Zeichnungen."

Ausstellungswebsite: Zeichnen
Dan Flavin: Sails/Segel, 1986, Pastell
Dan Flavin: Sails/Segel, 1986, Pastell© Kunsthalle Bielefeld/Dan Flavin