Europa

Kirchliche Lobbyarbeit in Brüssel

Flaggen der Europäischen Union vor dem Gebäude der Europäischen Kommission in Brüssel, Belgien (14.5.2012)
Flaggen der Europäischen Union vor dem Gebäude der Europäischen Kommission in Brüssel © picture alliance / dpa / CTK Photo / Vit Simanek
Von Peter Kaiser · 24.05.2014
In Brüssel sind rund 8000 Organisationen als Lobbyisten angemeldet. Unter ihnen sind Industrievertreter, aber auch solche, die im Namen einer guten Sache unterwegs sein wollen. So versteht zumindest die Lobbyistin der Evangelischen Kirche in Deutschland, Katrin Hatzinger, ihre Aufgabe.
Brüssel - eine Stadt voller touristischer Attraktionen. Als Reisender denkt man an das Atomium, Manneken Pis, Fritten und Brüssler Waffeln. Und an die weltberühmte Galerie Royal Saint-Hubert. Hier, einer ehemaligen Apotheke, entstand das Praliné.
Doch in Brüssel wird auch Politik gemacht. Im EU-Parlament vertreten 766 Mitglieder aus 28 Mitgliedsstaaten rund 500 Millionen Bürger. Vieles wird hier geregelt, was unmittelbar unser Leben bestimmt: wie unsere Glühlampen konstruiert sein müssen, wie viel Zucker in Fruchtsäften sein darf, Fischfangquoten und vieles mehr. Brüssel ist ein Ort, an dem daher die Lobbyisten vieler Bereiche unterwegs sind, um ihre Interessen zu artikulieren. Katrin Hatzinger:
"Lobbyarbeit hat ja in Deutschland immer einen schlechten Beigeschmack. Ich mag das Wort, weil es für mich bedeutet, dass man eben Inhalte in die Politik einspeist und denen zur Verfügung stellt, die Entscheidungen treffen. (...) wir sind jetzt kein großer Wirtschaftsverband, sondern wir sind die evangelische Kirche Deutschlands, und bei uns wird die Kraft des Wortes geschätzt und hochgehängt."
In Sichtweite des Berlaymont-Gebäudes, des Hauptsitzes der Europäischen Kommission, in der Rue Joseph, leitet die Kirchenoberrätin Katrin Hatzinger die Brüssler Dienststelle der EKD. Hatzinger:
"Dementsprechend versuchen wir durch Argumente zu überzeugen, also in dem wir zum Beispiel Papiere verfassen, und die dann auch besprechen."
Konfessionen arbeiten Hand in Hand
Auch die katholische Kirche hat hier eine Dienststelle in Brüssel. In vielen Bereichen arbeiten die Konfessionen Hand in Hand. Hatzinger:
"(...) sei es das soziale Europa, da sind zum Beispiel die Katholische Vertretung hier in Brüssel und auch wir Mitglied der Europäischen Sonntagsallianz. Da geht es um den Schutz des Sonntags, den wir auch versuchen auf der europäischen Ebene stark zu machen, weil grade in Zeiten der Krise die Länder, wie man sich vorstellen kann, die den Sonntag noch schützen, extrem unter Druck geraten die Ladenöffnungszeiten zu liberalisieren. (...) aber auch die Fragen der Menschenrechte, der Religionsfreiheit, das sind auch Fragen, die die katholischen Geschwister betreffen, und wo wir eng zusammen arbeiten."
Täglich hat die 1975 in Siegburg geborene Juristin ein scharfes Auge auf das, was in den EU-Glaspalästen beschlossen wird:
"Hier in Brüssel sind wir wie andere Vertretung auch um natürlich mit der Politik zu sprechen. Das ist der Grund, warum die EKD in Brüssel präsent ist. (...) Und ganz konkret natürlich unsere Vorstellungen eingeben. Zum Beispiel wird gerade über die Zukunft der Innenpolitik debattiert, wie geht es weiter in den nächsten fünf Jahren, dazu haben wir eine Stellungnahme erarbeitet, zusammen mit unseren Experten in Deutschland. Und die speisen wir dann ein in die verschiedenen Institutionen."
Den Kaffee schenkt die Ex-WDR-Hörfunkjournalistin selbst aus. Und berichtet, dass die Arbeit vor Ort direkt und persönlich ist:
"Das kann tatsächlich so weit gehen, dass wir mit Abgeordneten oder ihren Mitarbeitern die Köpfe zusammenstecken und uns die Gesetzesvorhaben angucken."
"Ein wichtiger Durchbruch"
Das betrifft nicht nur den Schutz der arbeitsfreien Sonntage, oder sich für sozial Schwache einzusetzen, sondern, ganz unmittelbar: die Zustände im Flüchtlings- und Asylbereich. Ein Beispiel ist das Lampedusa-Flüchtlingsdrama 2013.
Hatzinger: "Es ist gerade die Frontex-Grenzschutzverordnung verabschiedet worden. Da ist es uns (...) gelungen, dass in dieser Frontex-Verordnung zum Beispiel das Verbot von Kollektivzurückweisungen aufgenommen worden ist, was ein wichtiger Durchbruch ist. Und eben auch geregelt ist, dass wenn Boote in EU-Hoheitsgewässern aufgegriffen werden, die Identität derjenigen, die sich auf diesen Booten befinden, untersucht werden muss, und unter Einbeziehung von Ärzten, von Experten, die auch feststellen können, woher diese Menschen stammen, und dann feststellen, ob sie einen Schutzanspruch haben oder nicht. Und der Einzelne muss angeguckt werden. Es kann also niemand ohne Prüfung zurücküberstellt werden."
Medizinische Bioethik, Fragen zum Anti-Diskriminierungsrecht, Zuwanderungsproblematiken, soziale Marktwirtschaft, das generelle Verhältnis von Staat und Religion, Medienpolitik: Katrin Hatzingers Arbeitsfelder sind breit gefächert. Seit 2004 mischt sich die offene und herzliche Christin in Brüssel ein. Auf die Frage nach einem Rückblick auf diese Zeit und was sich vielleicht darin geändert hat, wird sie einen Augenblick still. Und antwortet dann:
"Ich bin seit zehn Jahren in Brüssel und man merkt schon, gerade weil die europäische Idee in die Defensive geraten ist, auch durch eine schlechte Kommunikation über Europa und was hier passiert, dass es da eine größere Offenheit gibt gegenüber der kirchlichen Präsenz. Es gibt im Vertrag von Lissabon einen sogenannten Kirchenartikel, der davon spricht, dass es einen regelmäßigen, offenen und transparenten Dialog gibt mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften durch die EU-Institution, und zwar mit dem Zusatz in Anerkennung ihrer Identität und ihres besonderen Beitrags. Also das ist wirklich einen große Errungenschaft, die auch ökumenisch gelungen ist."
Und manchmal, sagt die Kirchenoberrätin, und lächelt verschmitzt, braucht sie auch die andere Seite Brüssels, die der harten Politik abgewandte, die schokoladige Seite. Dann geht auch sie in die Galerie Royal zu den weltberühmten Schokoladiers und gönnt sich eine - manchmal auch zwei - ganz besondere Pralinen.