EU-Pläne zum CETA-Abkommen

"Demokratische Regeln werden ausgehebelt"

Fallback Image
Der Europa Abgeordnete der Grünen, Sven Giegold, kritisiert die Pläne der EU-Kommission, das CETA-Abkommen an den nationalen Parlamenten vorbei abzuschließen © Deutschlandradio
Sven Giegold im Gespräch mit Korbinian Frenzel  · 29.06.2016
Das Freihandelsabkommen mit Kanada soll an den nationalen Parlamenten vorbei beschlossen werden, hat die EU-Kommission angekündigt. Das sei nicht akzeptabel, sagt der Grünen-Politiker Sven Giegold: Damit greife man in die Kompetenzen der Mitgliedsländer ein.
Sven Giegold, Mitglied der Grünen Fraktion im Europaparlament, hat die Ankündigung der Europäischen Kommission, das CETA-Abkommen an den nationalen Parlamenten vorbei abschließen zu wollen, heftig kritisiert. "Herr Juncker hat offensichtlich den Schuss nicht gehört", sagte er im Deutschlandradio Kultur:
"Wenn man diese Brexit-Wirren jetzt nutzt, um CETA an den nationalen Parlamenten vorbei zu beschließen, wenn man Glyphosat jetzt verlängert, dann erzeugt man damit genau die Europaskepsis, die die Europäische Union gefährdet."
Wenn die EU-Kommission sich wirklich für dieses Verfahren entscheide, bedeute das, dass man in die Kompetenzen der Mitgliedsländer eingreife, ohne sie auf der parlamentarischen Eben mit entscheiden zu lassen:
"Das ist nicht akzeptabel. Da genügt auch nicht, wenn in Deutschland der Bundestag mit abstimmen darf, sondern die gleichen Rechte brauchen alle nationalen Parlamente in Europa. Worum es Herrn Juncker geht, ist offensichtlich: Der Widerstand gegen CETA ist so groß, dass er sich in vielen Mitgliedsländern einen Korb holen würde. Nur weil man sein Ziel durchsetzen will, demokratische Regeln auszuhebeln, erzeugt Europa Verdruss."
Er fordere Juncker auf, dieses Vorgehen schnell zu beenden, sagte Giegold. Die Bundesregierung fordere er dazu auf, "dass diese Entscheidung der Kommission revidiert wird".

Das Interview im Wortlaut:

Korbinian Frenzel: LuxLeaks, Luxemburg-Leaks, dieses Schlagwort hat vor anderthalb Jahren die Öffentlichkeit erschüttert. Whistleblower in Luxemburg hatten gemeinsam mit europäischen Medien, darunter Westdeutscher Rundfunk, Norddeutscher Rundfunk und "Süddeutscher Zeitung" geheime Steuerdaten aus Luxemburg veröffentlicht. Aus ihnen ging hervor, dass die luxemburgische Steuerverwaltung Absprachen mit Unternehmen in der ganzen Welt getroffen hatte, um Steuerzahlungen zu umgehen. Dass die ganze Sache herauskam, verdanken wir unter anderem einem Mann, den der "Freitag" schon jetzt als den europäischen Edward Snowden feiert und dem heute der Prozess gemacht wird in Luxemburg: Antoine Deltour.
(Einspielung Beitrag)
Ralf Sina vor dem Urteil, das heute über den Whistleblower Antoine Deltour gesprochen wird. Dazu jetzt in Deutschlandradio Kultur Sven Giegold, Europaabgeordneter der Grünen und Finanzmarktexperte seiner Partei. Guten Morgen!
Sven Giegold: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Herr Giegold, was ist ein gerechtes Urteil für einen solchen Mann?
Giegold: Freispruch. Dieser Prozess ist völlig absurd. Es ist verkehrte Welt. Auf der Anklagebank sitzen diejenigen, die der Öffentlichkeit Milliarden an Steuerausfällen erspart haben, und auf der Klageseite Price Waterhouse Coopers, die den Prozess angestrengt haben. Die sich auch nach den eigenen Ethikmaßstäben unmoralisch verhalten haben. Ich finde, eine vernünftige Interessenabwägung führt zum Freispruch.

Forderung nach Schutzrechten für Whistleblower

Frenzel: Antoine Deltour hat allerdings Gesetze gebrochen, wenn auch für etwas Gutes, wie Sie es darstellen. Aber es bleibt eine Selbstermächtigung. Kann ein Rechtsstaat das akzeptieren?
Giegold: Zunächst gibt es zum Beispiel auch im deutschen Recht, auch im Luxemburger Recht, gibt es Schutzrechte für Whistleblower. Die befinden sich ja in einem moralischen Konflikt zwischen Geschäftsgeheimnis und dem Bruch des Rechts.
Hier ist entscheidend, dass die Steuerabsprachen immer wieder, wenn nicht alle, zumindest illegal waren, im europäischen Rechtssinn illegal. Und deshalb hat Antoine Deltour und erst recht der Journalist, aber natürlich auch sein Arbeitskollege den Rechtsstaat geschützt und nicht Recht gebrochen.
Frenzel: Sie sagen, es gibt diese gesetzlichen Grundlagen. Gleichzeitig fordern Sie als Grüne ein europäisches Gesetz, das Whistleblower besser schützt. Was sind da Ihre Vorschläge?
Giegold: Es ist etwas anders. Es gibt im Einzelfall in Deutschland die Möglichkeit, Hinweisgeber zu schützen. Das ist aber eine Einzelfallentscheidung des Gerichtes. Es gibt keinen generellen Rechtsrahmen. In Luxemburg gibt es sogar einen generellen Rechtsrahmen, aber nicht für den Bereich der Privatwirtschaft.
Das bedeutet also: Wir brauchen europaweit einen Schutzrahmen für Whistleblower, weil, wie wir ja jetzt in diesem Fall gesehen haben, aber auch bei Edward Snowden und vielen anderen, es gibt grenzüberschreitende Rechtsverletzungen. Und Europa hat als ganzes ein Interesse daran, dass Whistleblower nicht verfolgt, sondern geschützt werden.

EU plant verschärfte Richtlinien für Whistleblower

Frenzel: Aber Europa oder vielmehr die Europäische Kommission hat offenbar legislativ ganz andere Wege vor, wenn ich da richtig informiert bin durch die Recherchen. Eine Geschäftsgeheimnisrichtlinie, die eigentlich das Leben für Whistleblower wie Antoine Deltour noch schwieriger machen würde. Kann man diese Richtlinie noch stoppen?
Giegold: Nein. Diese Richtlinie ist leider von den Mitgliedsländern und auch von einer Mehrheit im Europaparlament beschlossen worden, leider auch mit der Zustimmung der Christdemokraten, der Liberalen und der Sozialdemokraten. Diese Richtlinie sieht jetzt europaweit vor, dass Geschäftsgeheimnisse härter geschützt werden.
Es gibt zwar eine Ausnahme für Whistleblower, die ist aber leider sehr eng begrenzt und legt die Beweislast auf die Seite der Whistleblower. Das ist daher wirklich keine Lösung.
Das Europaparlament hat dagegen wiederum mit großer Mehrheit die EU-Kommission aufgefordert, eine europäische Richtlinie vorzuschlagen. Das hat Herr Juncker bisher verweigert, und genauso in Deutschland die große Koalition hat mehrfach abgelehnt, Whistleblower in Deutschland rechtsverbindlich zu schützen. Ich finde, dieser Tag der Urteilsverkündung für Deltour sollte ein Weckruf sein, dass das endlich geschieht.

Weiterhin "große Schlupflöcher" für Unternehmen

Frenzel: Wenn wir uns mal die Ebene angucken, die Sache eben, um die es geht, nämlich Steuervermeidung, Steuerhinterziehung in Europa, ist denn da was passiert, hat sich Europa bewegt, das von der Sache her zu stoppen, zu verhindern?
Giegold: In Europa sind Dinge passiert, gerade bei der Steuerhinterziehung. Denken Sie an das klassische Bankgeheimnis in der Schweiz. Das gibt es jetzt so nicht mehr. Die Informationen fließen über Grenzen hinweg. Das ist gut. Bei den Großunternehmen gab es gesetzliche Veränderungen, auch weltweit. Die sind aber völlig unzureichend.
Wir haben weiterhin große Schlupflöcher, zum Beispiel die Patentboxen von Großunternehmen, wo geistige Eigentumsrechte so verbucht werden, dass man Milliarden an Steuern spart, und zum Beispiel die Niederlande nicht mal die schwachen Rechte umsetzen, die wir haben. Die sind hier in Europa die größte Konzernsteueroase, und da ist bisher viel zu wenig passiert.

Kritik am Zehnpunkteplan Schäubles

Frenzel: Und wenn wir auf Deutschland schauen – Finanzminister Schäuble hat ja damals einen Zehnpunkteplan vorgelegt, schärferes Vorgehen gegen Banken wegen der Steuerhinterziehungsvorwürfe. Reicht das?
Giegold: Herr Schäuble hat einen Zehnpunkteplan vorgelegt nach den Panama Papers. Dieser Zehnpunkteplan ist allerdings im Verhältnis leer. Vor allem nimmt er nicht in den Blick, welche Bedeutung Geldwäsche in Deutschland hat. In Deutschland wird sehr viel kriminelles Geld gewaschen, zum Beispiel am Immobilienmarkt. Das treibt auch Häuserpreise nach oben.
Die Bundesregierung hat bisher praktisch nichts unternommen, um gegen Geldwäsche effektiv vorzugehen. Und leider spielt Herr Schäuble auch bei der Steuertransparenz von Großunternehmen eine ungünstige Rolle, denn er verweigert sich länderbezogener Transparenz, also dass steuergroße Unternehmen offenlegen müssen, wo sie wie viele Steuern bezahlen. Das blockiert er in Brüssel, und das sollte er bitte schleunigst unterlassen, das schadet nämlich den normalen Steuerzahlern.

EU-Kommission will nationale Parlamente beim CETA-Abkommen aushebeln

Frenzel: Herr Giegold, wo wir miteinander reden: Ein anderes Thema möchte ich gern ansprechen, das nämlich heute Morgen in die Nachrichten gekommen ist. Die Europäische Kommission hat angekündigt, das Freihandelsabkommen mit Kanada, CETA, an den nationalen Parlamenten vorbei abschließen zu wollen. Sie sagen, das muss nicht sein, das ist europäische Angelegenheit. Was sagen Sie dazu?
Giegold: Herr Juncker hat offensichtlich den Schuss nicht gehört. Wenn man diese Brexit-Wirren jetzt nutzt, um CETA an den nationalen Parlamenten vorbei zu beschließen, wenn man Glyphosat jetzt verlängert, dann erzeugt man damit genau die Europaskepsis, die die Europäische Union gefährdet.
Wenn die EU-Kommission sich wirklich dafür entscheidet, CETA ohne die nationalen Parlamente zu beschließen, dann bedeutet das nichts anderes, als dass man in die Kompetenzen der Mitgliedsländer eingreift, ohne sie mitentscheiden zu lassen auf der parlamentarischen Ebene. Das ist nicht akzeptabel. Da genügt auch nicht, wenn in Deutschland der Bundestag mit abstimmen darf, sondern die gleichen Rechte brauchen alle nationalen Parlamente in Europa.
Worum es Herrn Juncker in Wirklichkeit geht, ist offensichtlich: Der Widerstand gegen CETA ist so groß, dass er in vielen Mitgliedsländern sich einen Korb holen würde. Und nur weil man sein Ziel durchsetzen will, demokratische Regeln auszuhebeln, erzeugt Europa Verdruss.
Ich kann Herrn Juncker nur auffordern, das wirklich schleunigst zu beenden, und die Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass diese Entscheidung der Kommission revidiert wird.
Frenzel: Das sagt Sven Giegold, Europaabgeordneter der Grünen. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Giegold: Sehr gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema