"Es ist unfasslich, wie viel Kraft in so einer Kilowattstunde steckt"

Ernst Ulrich von Weizsäcker im Gespräch mit Katrin Heise · 14.06.2011
In Wirklichkeit gibt es keinen wachsenden Energiebedarf, ist der Naturwissenschaftler Ernst Ulrich von Weizsäcker überzeugt: Die Effizienzpotenziale werden einfach nicht genügend genutzt und es gibt regelgerechte Verschwendung von Energie.
Katrin Heise: Die Konsequenz des deutschen Atomausstiegs: Im Jahr 2050 soll die Hälfte der Stromversorgung über erneuerbare Energien abgedeckt werden. Windräder Solarzellen, Biogasanlagen sind die Hoffnungsträger der Energiezukunft. Nur nebenbei wird auch von Energiesparen und Energieeffizienz gesprochen. Renommierte Wissenschaftler kritisieren die Bundesregierung, weil sie sich fast ausschließlich auf die Umstellung der Energieproduktion konzentriert, statt die Potenziale einer sinnvolleren Energienutzung auszuschöpfen.

Fünfmal so viel Wohlstand aus einer Kilowattstunde, das ist die Zielsetzung, die der Naturwissenschaftler Ernst Ulrich von Weizsäcker anstrebt. Ich grüße Sie, Herr Weizsäcker, schönen guten Tag!

Ernst Ulrich von Weizsäcker: Ja, guten Tag, Frau Heise!

Heise: Fünfmal so viel Wohlstand aus einer Kilowattstunde, das klingt ja sehr plakativ. Aber was meinen Sie damit, wie soll das umgesetzt werden?

von Weizsäcker: Durch Nutzung existierender Effizienzpotenziale, und die sind einfach riesig. Ich sage meinen Studenten manchmal: Rechnet mir mal aus, wie viele Kilowattstunden würdet ihr benötigen, um ein Zehnkilogewicht – Rucksack oder ein Eimer Wasser – von Höhe des Meeresspiegels auf den Gipfel des Mount Everest hochzuheben?

Und dann rätseln die und kommen dann mit Antworten zwischen 100 und 1000 Kilowattstunden. Die physikalische Antwort lautet eine Viertel Kilowattstunde. Es ist unfasslich, wie viel Kraft in so einer Kilowattstunde steckt. Und wir machen nichts daraus. Wir vergeuden sie ohne Ende und behaupten, es gebe ständig wachsenden Energiebedarf.

Heise: Wie realistisch ist es aber, tatsächlich sich darauf zu konzentrieren, was in dieser Kilowattstunde ist, das heißt, was müssten wir verändern?

von Weizsäcker: Ja, Hauptsache den Preis. Wer wäre denn bereit, für einen Lohn von sagen wir einmal 25 Eurocent viermal auf den Mount Everest zu tigern und den Rucksack da oben abzuliefern? Das ist doch grotesk.

Also wir vergeuden sie, weil sie nichts kostet oder sehr wenig kostet. Und die Japaner zum Beispiel, die haben dann ihrem Volk beigebracht, man muss jede Klobrille elektrisch heizen. Und das nennt man nachher Energiebedarf. Das ist eingebildeter Bedarf!

Heise: Das heißt, Sie beobachten auch, dass der Energieverbrauch wächst unabhängig vom tatsächlichen Bedarf, aber abhängig eben vom Preis?

von Weizsäcker: Das ist sagen wir mal ganz normale ökonomische Einsicht.

Heise: Was aber genau muss dann getan werden? Ich meine, wir isolieren unsere Häuser, damit nicht mehr so viel Energie für die Heizung draufgeht beispielsweise ...

von Weizsäcker: Das ist einer der wichtigsten Punkte, in der Tat. Im Gebäudebereich werden größenordnungsmäßig 40 Prozent der Energie verbraucht, und es gibt von Wolfgang Feist entwickelt das sogenannte Passivhaus, welches nur noch ein Zehntel des typischen Energieverbrauchs hat durch exzellente Isolierung und Wärmeaustauscherbelüftung, sodass man immer gute Frischluft hat.

Heise: Sie vergleichen die Energieeffizienz mit der Steigerung der Arbeitsproduktivität. Das war damals aber, oder ist aber tatsächlich ja daran gekoppelt, dass man mit erhöhter Arbeitsproduktivität dann Gewinne einfahren kann. Wenn man energieeffizienter verbraucht, dann spart man einfach nur. Kann da jemand wirklich dran verdienen und wird es deswegen diese Effizienzrevolution tatsächlich geben, die Sie anstreben?

von Weizsäcker: Oh ja, selbstverständlich. Also die Firmen Siemens, Vaillant, Bosch, und wie sie alle heißen, die Geräte anbieten, und dann die Architekten und Handwerker, die das Passivhaus bauen und weiter, die machen richtig Geld, indem sie Effizienz verkaufen. Und im Übrigen finde ich es sehr nett, dass Sie diese Analogie zur Arbeitsproduktivität erwähnen, das hat ja noch eine ganz lange historische Vorgeschichte.

Vor 150 Jahren war die Arbeitsproduktivität ungefähr ein Zwanzigstel so hoch wie heute. Das heißt, die Industriegeschichte war im Wesentlichen die Geschichte der Erhöhung der Arbeitsproduktivität. Eine großartige Sache, aber in jedem Jahrzehnt der Geschichte ist die Arbeitsproduktivität praktisch parallel mit den Bruttolohnkosten gestiegen. Wenn die Arbeitsproduktivität höher ging, dann konnte man höhere Löhne durchsetzen, und wenn die Löhne höher waren, wurde der Rationalisierungsdruck größer. Das hat sich gegenseitig die Hand gegeben und so haben wir die Verzwanzigfachung erreicht.

Deswegen jetzt mein Vorschlag: Machen wir doch jedes Jahr die Energie um gerade so viel Prozent teurer, wie im abgelaufenen Jahr die Energieeffizienz gestiegen ist. Sie stellen sich vor, die deutsche Autoflotte würde im Jahr 2011 sagen wir mal um 1,5 Prozent effizienter, dann darf das Benzin im Jahr 2012 1,5 Prozent teurer sein, ohne dass der gefahrene Kilometer teurer wird. Also: Nicht Leute plagen, quälen, auch nicht Industrie vernichten, also Kapitalvernichtung oder so, sondern immer gerade im Effizienzfortschritt als Geschwindigkeitstakt.

Heise: Mit Ernst Ulrich von Weizsäcker spreche ich im Deutschlandradio Kultur über seine Vorstellung einer Energierevolution. Herr von Weizsäcker, wen trifft denn aber die Verteuerung, wen die Effizienzsteigerung? Da haben doch sozial schwache Familien und althergebrachte Wirtschaftsbranchen eher das Nachsehen gegenüber von modernen Branchen und Wohlhabenden, oder? Da muss die Politik doch dann auch was tun?

von Weizsäcker: Ja, das haben Sie genau richtig erkannt: Bei sozial Schwachen kommt der technische Fortschritt der Effizienzerhöhung zeitlich später an als bei den Begüterten, aber er kommt durchaus an, wenn er mal stattfindet.

Heise: Aber man muss sie erst mal mitnehmen.

von Weizsäcker: Ja, ja, eben. Und da kann man sagen, machen wir doch einfach einen Sozialsockel: Für die wirklichen täglichen Bedarfe soll es Energie günstig geben – das haben die Südafrikaner entwickelt. Das nennen sie Lifeline, also eine Art von Rettungsanker. Für Wasser und Energie kostet das Lebensnotwendige ganz wenig, und ab dann wird es richtig teuer. Das heißt also, die Verschwendung wird bestraft, die Langsamkeit wird bestraft, die Altertümlichkeit im negativen Sinn wird bestraft, und die Fortschrittsbewegung wird richtig belohnt.

Heise: Ich versuche mir das gerade vorzustellen, wer das durchsetzt: Also so eine Liste aufzustellen in Deutschland – wir sprechen ja jetzt von Deutschland, in einem doch ziemlich luxusverwöhnten Volk –, die wirklichen lebensnotwendigen Bedarfe an Energie durchzusetzen. Wen stellen Sie sich denn da vor?

von Weizsäcker: Ja also, natürlich muss das dann staatlich irgendwie festgelegt werden und darüber gibt es natürlich einen Riesenstreit, das ist ja nicht zu leugnen. Aber in Südafrika haben wir es hingekriegt, warum sollen wir das im reichen Deutschland nicht hinkriegen? Und im Übrigen kann auch das zeitlich gestuft sein, am Anfang macht man es großzügig und langsam immer weniger, sodass die Leute genau die richtige Zeit haben, sich umzustellen.

Heise: Sie sprechen von genügsamkeitsorientierter Kultur, und bei Wirtschaftsvertretern hört man ja immer die gegenteiligen Argumente: Wenn wir sparen, dann werden unsere Gewinne bedroht, dann geht es wieder an die Arbeitskräfte und so weiter. Was erwidern Sie denen denn?

von Weizsäcker: Also, Genügsamkeit kommt in diesem Buch "Faktor Fünf" erst im allerletzten Kapitel vor, denn irgendwann sind die Effizienzpotenziale natürlich auch verfrühstückt und dann, wenn man dann die Natur wirklich schonen will, dann kommt man nicht ohne ein bisschen Genügsamkeit aus, allerdings auf einem hohen Niveau.

Ja also, wenn jemand sagt, wir brauchen immer mehr Umsatz, dann sage ich, na ja, also Wohlstand ist mir eigentlich lieber als Umsatz. Und wenn man mehr Wohlergehen, mehr Wohlstand mit weniger Verbrauch von Wasser, von Landfläche, von Energie und so weiter erreichen kann, dann wird doch das Volk nicht ärmer, wenn wir das tun.

Heise: Sie haben Ihr Buch eben erwähnt, "Faktor Fünf", das haben Sie im vergangenen Jahr mit anderen zusammen veröffentlicht. Der Titel hatte unter anderem was mit China und dem chinesischen Markt zu tun. Das heißt, Ihnen ist das chinesische Publikum besonders wichtig, oder sind die auch schon sehr viel weiter?

von Weizsäcker: Die Chinesen sind wahrscheinlich das große Land, was das Thema Energieeffizienz heute ernster nimmt als die anderen. Im sogenannten elften Fünfjahresplan hatten die eine Verpflichtung: Innerhalb von fünf Jahren die volkswirtschaftliche Energieeffizienz um 20 Prozent erhöhen. Das ist eine stolze Zahl, das haben sie auch geschafft. Jetzt ist gerade der zwölfte Fünfjahresplan im Gang und da wollen sie noch mal 18 Prozent drauflegen, innerhalb von fünf Jahren.

Und im Übrigen gibt es eine Vorgeschichte: Früher hatte ich, vor 15 Jahren, ein Buch namens "Faktor Vier". Das wurde auch ins Chinesische übersetzt, und da sagten mir die Chinesen, das klingt hässlich, vier klingt wie Tod. Schreiben Sie doch nicht ein optimistisches Buch mit dem Namen "Faktor Tod"! Und dann haben wir uns geeinigt, "Faktor Fünf", das können wir gerade noch beweisen, und die Chinesen kaufen das Buch offensichtlich sehr fleißig auf Chinesisch, eine sehr schöne Übersetzung geworden offensichtlich. Und mir sagen die Chinesen, ja das ist doch ungefähr die Philosophie von unserem zwölften Fünfjahresplan!

Heise: Ernst Ulrich von Weizsäcker zur Energiewende, seine Thesen: Energieeffizienz und Genügsamkeit. Vielen Dank, Herr von Weizsäcker!

von Weizsäcker: Danke Ihnen, Frau Heise!

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