Erzählungen von Ben Fountain

Exotische Welten als Kampfplatz

Postamt mit Kopf von Che Guevara.
Che sieht alles - auch bei Ben Fountain spielt der argentinische Revolutionär eine ganz besondere Rolle. © Deutschlandradio / Henning von Löwis
Von Marko Martin · 02.06.2015
Reiseliteratur der anderen Art - Ben Fountain inszeniert seine Geschichten in Situationen und an Orten, in die der Leser nicht kommen will. In den USA bereits seit Jahren anerkannt und mit mehreren Preisen ausgezeichnet, wurde nun sein 2006 veröffentlichter Erzählband übersetzt.
"Abends, wenn er seine Runde erledigt hatte, ging Mason oft mit seinem Schachbrett zum Champs de Mars und wartete auf einer der Betonbänke auf eine Partie."
Nun ist jener Mason allerdings kein edel-melancholischer "Amerikaner in Paris", sondern arbeitet für einige Monate in Port-au-Prince, der maroden Hauptstadt der Kriseninsel Haiti. Er ist typisch für die Protagonisten in Ben Fountains Erzählband, der trotz des Titels "Kurze Begegnungen mit Che Guevara" keinen politisch korrekt exotisierenden Dritte-Welt-Kitsch feilbietet, sondern bislang verborgene Wirklichkeiten geradezu atemberaubend präzis auszumessen vermag.
Amerikanische Medien verglichen den 1958 geborenen und bereits vielfach preisgekrönten Autor mit keinem Geringeren als Graham Greene, doch ist selbst dieses Lob höchstens die halbe Wahrheit. Wo Greene nämlich in seinem berühmten Roman "Die Stunde der Komödianten" amerikanische Haiti-Besucher lediglich karikierte, lässt Fountain nicht nur dem zunehmend isolierten Mr. Mason Gerechtigkeit widerfahren: Ob in Port-au-Prince, im kolumbianischen Dschungel oder im westafrikanischen Sierra Leone – es sind mental und physisch überforderte Westler, die sich da in einer Welt von Hitze, Kriminalität, Gewalt und Anarchie bewegen, zusätzlich verstört von hoch-ambivalenter Alltagserotik. Denn welcher protestantische Ornithologe wäre schon vorbereitet auf eine Entführung durch Narco-Terroristen, welche brav US-sozialisierte Ehefrau weiß Mittel gegen die Verführungskraft von Voodoo-Priesterinnen?
Die "Einheimischen" sind nie Staffage
Ben Foutains atmosphärisch dichte Erzählungen bieten dabei weit mehr als Seelen-Striptease vor Tropenlandschaft. Die sogenannten "Einheimischen" sind nie Staffage, sondern selbstbewusst agierende Akteure, die selbst in ihren archaisch wirkenden Blutdiamanten-Geschäften sehr wohl westlicher Business-Logik folgen. Ohne die Verantwortlichkeit der Industrienationen kleinzureden und die an gefährliche Orte entsandten Diplomaten, NGO-Mitarbeiter oder neurotischen Forscher zu idealisieren, gelingt dem Autor etwas ganz Entscheidendes: In suggestiven Beschreibungen und rasanten Dialogen wird die Welt als Kampfplatz sichtbar, als Ort von Sucht, Gier, Lust und Lüge – denkbar fern jeder sozial-dialogischen Einhegung.
Gleichzeitig ist diesem Wirklichkeits- und Menschenbild auch das Konträre eingeschrieben – Ahnung des Guten, ethisch Skrupulösen, der Rettung durch Ironie. "Kann mich glatt bei Oprah Winfrey anmelden, dachte Melissa, die andere Frau in meinem Leben ist eine Voodoogöttin."
Und der titelgebende Comandante Che Guevara? - Er ist vor allem eine westliche Projektion, und so bleibt folglich im Vagen, ob die einst aus einem College in Virginia verschwundene Dozentengattin Mrs. Broun tatsächlich eine Affäre mit dem narzisstischen Argentinier gehabt hatte oder nicht. Allein das gewisperte Gerücht spricht Bände, doch gelingt es Ben Fountain auch hier, daraus eine ebenso konzise wie eindringliche Shortstory zu machen.

Ben Fountain: Kurze Begegnungen mit Che Guevara. Erzählungen
Aus dem Amerikanischen von Pieke Biermann. dtv, München 2015, 275 Seiten, brosch., 14,90 Euro