Erinnerungskultur

Wie griechische Juden den Holocaust erlebten

Grabstein auf dem jüdischen Friedhof
Das Schicksal der griechischen Juden während des Zweiten Weltkriegs interessiert viele Griechen noch heute nicht. © imago/pictureteam
Von Jochanan Shelliem  · 23.12.2016
Die griechische Historikerin Rena Molho erinnert ihre Landsleute immer wieder an unangenehme Wahrheiten. In ihrem aktuellen Werk befasst sie sich mit der problematischen Erinnerungskultur ihrer Nation an die Shoah in Griechenland.
Seit Jahren sorgt Rena Molho mit ihren Zeitzeugeninterviews und Analysen zur Geschichte der Shoah in Griechenland für Skandale und die Enthüllung von Verdrängungen und Tabus.
"I was born in Thesalonki in 1946 to two parents, who were survivors and when we say this, we mean not from the camps. All the Jews that lived after the war are considered survivors, because they had to do something to survive."
Renan Molhos Lebensgeschichte ist schmerzlich verwoben mit der Shoah. Sie wuchs als Kind zweier Shoah-Überlebender auf. Die 1946 geborene Historikerin meint damit nicht, dass ihre Eltern die Lager überlebt hätten. Glücklicherweise blieben sie davon verschont
Rena Molho spricht vom Mehltau der Nachkriegszeit, dem Schweigen der griechischen Kollaborateure und dem Überlebenskampf der Geretteten gegen ihre Traumata.
In ihrer Familie herrschte Schweigen, während NS-Kollaborateure und die griechische Obrigkeit das Land mit Legenden und Verharmlosungen überzogen. Rena Molhos Familiengeschichte ist geprägt durch diese Verzerrung der jüdischen Geschichte von Saloniki
"My mother was helped by a familiy friends in the Italian occupied zone at first in Lavis Sakavitza and then in Athens."
Die Erlebnisse der Mutter, der Freunde aus Saloniki zur Flucht in die italienisch besetzte Zone nach Athen verhalfen, wurden nicht thematisiert:
"And my father escaped from Salonica after the first labor camp... from the forced labour cam was hiding in the city, when the germans decided to pick him up along with other officers of the greek army as jewish police, the Capos, to guard the ghettos and execute the orders."

Rena Molhos Vater überlebte in Athen

Der Vater wurde deportiert. Er entkam der Zwangsarbeit und tauchte in Saloniki unter, bis er mit anderen Offizieren, die wie er in der griechischen Armee gedient hatten, aufgegriffen wurde. Dann sollte er den Deutschen als Kapo dienen.
"My father was informed of that by the Fire Squad Brigade director, where he served during the Italian war and he was given a false identity card, because he had many friends besides the general director of the fire brigade in Salonica, who gave him the false identity card and with that he could pick up the taxi and go to Athens Where he was hiding in Athens as well. Because he was born in 1908 had a slight accent in Greek and he was afraid And he survived selling cigarette paper at night."
Der Leiter der Feuerwehrbrigade seiner Einheit gab dem Vater den rettenden Tipp zu fliehen. Er versorgte ihn mit einem falschen Ausweis. Molho stieg in ein Taxi nach Athen und überlebte dort im Untergrund. Um mit seinem Akzent nicht aufzufallen und dennoch überleben zu können, verkaufte er Zigarettenpapier im Nachtleben von Athen.
Seit Rena Molho ihr Studium an der Hebräischen Universität in Jerusalem aufgenommen hat beschäftigt sich die heute hoch angesehene Historikerin mit der Vergangenheit ihrer Heimatstadt, die einst als das "Jerusalem des Balkans" galt:
"When people from Salonika in the Interwar emigrated, they would ask them, which country are you from, they would say Salonica! Was a country not a city… so it was a very strong point of reference for everybody, which I didn't know."

Saloniki galt als Blaupause für den jüdischen Staat

Noch beim Einmarsch der Nationalsozialisten stellte die jüdische Bevölkerung ein Viertel der etwa 200 000 Einwohner von Saloniki. Nach ihrer Herkunft gefragt, sagten die auswandernden Juden nicht Griechenland, sondern Saloniki.
Saloniki war für sie eine Herkunftsland, nicht eine Stadt. Saloniki galt als die Blaupause für den jüdischen Staat, als Mutter von Israel:
"First of all the feeling, that was called 'Mother of Israel' 'Metropolis of Israel' for example how Israel would be."
Sanft näherte sich die Historikerin der Geschichte ihrer Heimatstadt. Seit 2000 thematisiert sie die Blütezeit der jüdischen Gemeinde von Thessaloniki. Bis zu ihrer Arbeit über "Die Juden von Thessaloniki 1856 - 1919" - heute ein Standartwerk - galt deren Geschichte als vergessen und verschollen. Gern hätten viele Griechen nach dem Kriege den Verrat an den jüdischen Familien verdrängt, die den Motor der makedonischen Handelsmetropole repräsentierten.
Insofern bergen Rena Molhos vorgelegte Studien zur "Geschichte des Holocaust der griechischen Juden" viel Sprengstoff. Detailliert beschreibt sie die Etappen der Entrechtung der griechischen Juden, deren Ermordung und Deportation.
Bis heute, so Molho in ihrer jüngsten Publikation, seien die Verbrechen des griechischen Holocaust und die Taten griechischer Kollaborateure nicht gesühnt. Legenden und Verdrängung prägten den Schulunterricht.
Die eindrucksvolle Sammlung der Aussagen von Zeitzeugen im Verbund mit Renan Molhos Analyse erschüttert und empört und ruft nach weiteren Forschungsarbeiten über die Ermordung und Deportation der griechischen Juden, die einst als Hoffnung ihrer Nation gegolten haben.
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