Erinnerungen an die gute Stube

Von Stephanie Kowalewski · 21.09.2007
Immer mehr alte Menschen in den Heimen leiden unter Demenz. Für die Pflege und Betreuung sind sie eine Herausforderung, denn altbekannte Konzepte greifen hier nicht. Ein neues Pflegekonzept soll Abhilfe schaffen. Es setzt bei der Ordnungsliebe und den Erinnerungen der Patienten an.
In den allermeisten Einrichtungen ist die klassische Pflege von Demenzkranken nach wie vor Standart. Das Augenmerk liegt auf dem, was die Bewohner nicht mehr können. Demenzkranke brauchen aber das Gegenteil, sagt Wilhelm Stuhlmann, Arzt für Psychiatrie und klinische Geriatrie. Ein entsprechendes Betreuungskonzept hat der Österreicher Erwin Böhm entwickelt.

"Seine Annahme ist, dass es eine Rückentwicklung gibt, in denen frühere Phasen des Lebens wieder Bedeutung erlangen. Und wenn wir verstehen, was in dieser Phase wichtig war, dann verstehen wir auch, was im Moment für den Kranken wichtig ist."

Die Erinnerung an Dinge und Gefühle aus der Vergangenheit erleichtern verwirrten Menschen das Leben in der Gegenwart. Wilhelm Stuhlmann nennt ein Beispiel.
"Jemand findet sein Zimmer nicht und ich habe aus seiner Lebensgeschichte herausgefunden, dass er ein Tierfreund war und hänge jetzt zum Beispiel ein Bild von seinem Hund an die Tür. Sofort kann er sich mit diesem Hund identifizieren, er sagt, aha das ist mein Fifi und er findet sofort auch sein Zimmer."

Das Altenzentrum St. Elisabeth in Duisburg ist eines der bisher noch wenigen Häuser in Deutschland, die nach dem Böhmschen Konzept arbeiten. Hier wurden die Mitarbeiter entsprechend geschult und Räumlichkeiten geschaffen.

Die Gute Stube ist eine Wohnung, die komplett und mit viel Liebe zum Detail im Stil der 30er Jahre eingerichtet ist. Von den Tapeten an der Wand, über das große Brotmesser mit Holzgriff und das alte schwere Telefon mit Drehscheibe, bis hin zu den Möbeln und Bildern an der Wand.

"Das weckt alte Erinnerungen und weckt aber auch Fähigkeiten der Bewohner, weil sie in dieser Vertrautheit eben wieder alte Rituale aufleben lassen können."

Es geht darum, sagt die Pflegedienstleiterin Martina Hartmann, ein Daheimgefühl zu erzeugen und die Bewohner mit einer Gedächtnisstörung gefühlsmäßig zu erreichen. Die alten Gegenstände dienen dabei praktisch als Hilfsmittel. So breiten die Betreuer zum Beispiel alte Ordner und den Wehrpass eines Bewohners auf dem Schreibtisch aus und weisen den verwirrte Mann, für den seine Arbeit immer sehr wichtig war, dezent darauf hin.

"Mensch, wem gehören denn die Papiere, die sind ja alle durcheinander. Die müssen mal geordnet werden. Und dann ist er eigentlich schon aufmerksam und guckt sich die Sachen an und stellt fest, das sind ja meine Sachen."

So wird er aktiv, sortiert die Papiere und beginnt von früher zu erzählen. Ihm geht es gut, er fühlt sich wertgeschätzt. Auch Hilde genießt die Zeit in der Guten Stube.

"Wenn ich hier bin, dann nutze ich das aus. Hier gibt es Spaß und … nette Leute."

Demenzkranke, die nach dem sogenannten psychobiographischen Modell betreut werden, brauchen laut Pflegedienstleiterin Martina Hartmann weniger Medikamente, sind wacher und selbst längst verloren gegangene Fähigkeiten leben wieder auf.

"Also eine Bewohnerin zum Beispiel, die mit zwei Pflegekräften ja fast getragen werden muss im Rahmen der klassischen Pflege, fragt in der guten Stube, wo kann sie ihren Gehstock abstellen, weil er sie stört."
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