Erika Krouse: "Fight Girl"

Von der Menschlichkeit der Ausgestoßenen

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Ende des amerikanischen Traums: Eine Häuserfront in Welch, West Virginia © Deutschlandradio / Tom Noga
Von Thomas Wörtche · 31.08.2016
Der Debütroman der amerikanischen Schriftstellerin Erika Krouse erzählt von den Rändern der US-Gesellschaft - und davon, dass zwischen Trash und sozialer Hölle unerwartet Verantwortung, menschliche Zuwendung und Solidarität wachsen.
Denver, Colorado. Nina Black schlägt sich als Diebin und Räuberin durchs Leben. Ihre Spezialität: Männer mit Macho-Attitüden erst provozieren, sie dann als ausgebildete Martial Arts Kämpferin zusammenschlagen und ausrauben. Das garantiert ihr zwar eine relativ "autonome" Existenz, bedeutet aber auch eine gewisse soziale Isolation.
Zwei Ereignisse jedoch ändern alles: Sie trifft auf den korrupten und brutalen Cop Callaghan, der ihr als Kämpfer überlegen ist. Und ihre Jungendliebe Isaac taucht nach Jahren plötzlich auf und hinterlässt ihr ihre zur Waise gewordene Nichte Kate, die gerademal acht Jahre und sehr eigenwillig ist.
Nichts ist mehr wie früher – Niederlage und soziale Verantwortung scheinen Hand in Hand zu gehen. Nina Black muss sich neu erfinden, denn plötzlich spielt etwas für sie in letzter Zeit Ungewohntes die Hauptrolle: Gefühle – für Issac, für Kate, für ihren alten Kampf-Lehrer.

Hybrid aus vielen Romangenres

Natürlich kann man den Roman in seine Bestandteile zerlegen: Gangster-Roman, Martial-Arts-Ballett, Echos von Luc Bessons berühmtem Film "Léon – der Profi" (Gangster und Kind), Sozialroman aus dem Leben der Deklassierten, Beziehungs- und Liebesroman. Man würde so zu dem Schluss kommen, dass Erika Krouses Debütroman (vorher war sie für ihre Kurzgeschichten gefeiert worden) ein Hybrid aus vielen Elementen ist, also einem Trend folgt, den man seit einiger Zeit verfolgen kann: Das Überblenden mehrerer Erzählstrategien, die jeweils einem angeblich fest definierten Genre angehören.
Das wäre nicht falsch, reduziert den Text aber auf ein Marketing-Kalkül und greift dadurch zu kurz. Krouses Roman über einzeln zunächst unglückliche Menschen, die sich in ihrem Unglück eingerichtet haben - so wie Isaac, der "Star" des Werbe-TVs, dessen Reputation auf seiner Gabe beruht, sich unendlich den krassesten Demütigungen auszusetzen - verwandelt sich in einen Roman, der aus den positiven Möglichkeiten menschlicher Sozialität utopische Momente herausholt.

Allgegenwärtige Gewalt, dysfunktionale Familien

Das düstere Setting im Milieu der sozial Marginalisierten, der allgegenwärtigen Gewalt, der dysfunktionalen Familien, der Behördenwillkür und der Hölle der Trash-Medien, das all die Genre-Elemente zu bedingen scheint, ist viel mehr: Es ist nicht nur eine ziemlich stimmige Zustandsbeschreibung dessen, "was der Fall ist", in einer sich immer mehr dissoziierenden amerikanischen Gesellschaft. Es ist aber auch der Nährboden für eine "neue" Solidarität der Menschen, ein unter Schmerzen erkämpftes "dennoch", wider eine als alternativlos konzipierte Gesellschaft.
Dieses "dennoch" steckt schon in Krouses pointiert sarkastischen, sehr direkten, oft auch grandios witzigen Sprache, die alle offiziellen Deutungen barsch konterkariert. Alle Figuren des Romans, die sich verändern wollen, schaffen letztendlich etwas Positives, die anderen bestraft das Leben. Insofern ist "Fight Girl" ein manchmal herzergreifend rührender, aber niemals sentimentaler, geschweige denn kitschiger Roman. Und im Grunde ein Text, der das Prinzip Hoffnung in dunklen Zeiten leise feiert.

Erika Krouse: "Fight Girl"
Blumenbar, Berlin 2016
302 Seiten, 20 Euro