Enten und andere Comic-Figuren

So antikapitalistisch wie möglich

Ein Lustiges Taschenbuch aus dem Jahr 2002.
Ein "Lustiges Taschenbuch" aus dem Jahr 2002: Ville Tietäväinen zeichnet derzeit eine Geschichte für das finnische Donald-Duck-Heft © picture alliance / dpa / Caroline Seidel
Von Anette Selg · 20.05.2014
Mit dem Comic "Unsichtbare Hände" des Zeichners Ville Tietäväinen ist nun ein finnischer Bestseller über die Odyssee eines nordafrikanischen Flüchtlings auf Deutsch erschienen. Derzeit arbeitet Tietäväinen bereits an einem neuen Projekt.
Das Atelier, in dem Ville Tietäväinen mit drei anderen Zeichnern arbeitet, liegt in Helsinki in dem alten Arbeiterstadtteil Kallio. Zur Zeit wandelt es sich gerade zum Szeneviertel. Genau gegenüber vom Zeichenatelier befindet sich die Feuerwache.
"Nice to meet you."
"I hope nobody will translate that part."
"Hello, so we have three colleagues here, just Lasse and me now."
Der Grafikdesigner und Zeichner Ville Tietäväinen ist mittelgroß, mit kurz geschorenem Vollbart und noch kürzeren Haaren. Im hinteren Raum des Ateliers steht sein Schreibtisch, darauf ein Computer, Bücher, Papiere und Skizzen. An der Wand lehnt ein großes Zeichenbrett. Bunte Donald-Duck-Seiten kleben daran. Die Sprechblasen der Ente sind noch leer.
Ville Tietäväinen: "Disney has come to me for one project"
"Ich mache gerade einen Auftrag für Disney, eine Zehn-Seiten-Geschichte für das Donald-Duck-Heft. Die Finnen lieben diese Comic-Figur, weil Donald so ein Loser ist, (lacht). Das Skript lag erst einmal sechs Monate bei Disney. Die wollten sichergehen, dass keine Politik, keine Religion, keine Schimpfwörter und kein Sex drin vorkommt. Und ich habe mich gefragt, woraus ich denn dann meine Geschichte machen soll. Aber sie ist auf jeden Fall so anti-kapitalistisch geworden, wie es nur ging."
Tägliche Comic-Strips in allen großen Zeitungen
Die Finnen sind begeisterte Comic-Leser. Die Aku-Ankka-Hefte, wie Donald Duck auf Finnisch heißt, verkaufen sich jede Woche über 300.000 Mal. In allen großen Zeitungen finden sich tägliche Comic-Strips. Dass sich im Comic auch ernsthafte Themen darstellen lassen, das ist auch in Finnland noch eher neu.
"Die Idee zu dieser Geschichte kam mir 2001 in Paris, als ich einen Migranten – wahrscheinlich aus Nordafrika – sah, der Kinderspielzeug verkaufte, diese klebrigen Figuren, die er an die Schaufenster der Geschäfte warf und die sich dort festsaugen. Er sah so traurig aus, und der Gegensatz zwischen ihm und den schicken Schaufenstern war kaum auszuhalten. Ich musste darüber nachdenken, wieso er hier in Paris war, was seine Beweggründe waren, seine Träume. Ob er eine Familie hatte und ob er mit ihr in Kontakt stand. Das Problem war, ich hatte darauf überhaupt keine Antworten."
Im Mittelpunkt von Ville Tietäväinens Comic "Unsichtbare Hände" steht der marokkanische Familienvater Rashid, eine fiktive Figur. Als er seinen schlechtbezahlten Job als Näher verliert, verzweifelt er endgültig an den elenden Verhältnissen in seiner Heimat. Er will nach Europa, um von dort aus seiner Familie ein lebenswertes Dasein zu ermöglichen. Rashid verpfändet seinen ganzen Besitz an eine Schlepperbande, die die nächtliche Überfahrt nach Spanien organisiert.
"Was ich mit meinem Buch erreichen möchte, ist, dass sich die Leser an die Stelle dieser Flüchtlinge versetzen, dass sie Europa aus den Augen dieser Menschen sehen und sie dadurch besser verstehen."
Mehrere Reisen nach Marokko und Südspanien
Für seine Recherchen hat Ville Tietäväinen eng mit dem finnischen Sozialanthropologen Marko Juntunen zusammengearbeitet. Sie haben mehrere Reisen nach Marokko und Südspanien unternommen, haben mit Flüchtlingen und Grenzbeamten, mit Schleppern und Vertretern von Menschenrechtsorganisationen gesprochen.
"Da Marko fließend Straßenarabisch spricht, dauerte es jeweils nur ein oder zwei Minuten und dann haben uns die Flüchtlinge vertraut; haben uns gezeigt, wo sie arbeiten und wie sie leben. Irgendwo auf diesen riesigen Gemüsefeldern haben sie sich Unterkünfte gebaut, aus dem herumliegenden Abfall, aus alten Kisten und Plastikresten. Einer von ihnen sagte zu mir: Wir kommen aus der Dritten Welt, aber wir hätten nie gedacht, dass wir hier in der Vierten Welt leben würden."
In Ville Tietäväinens Bildern sind wir mittendrin, auf einer Gemüseplantage irgendwo bei Almería, auf der ein Großteil des europäischen Wintergemüses produziert wird, oder im marokkanischen Armenviertel. Seine Zeichnungen sind ganz in Blau- und Brauntönen gehalten, mit beeindruckenden Hell-Dunkel-Kontrasten.
"Ich verwende Aquarellfarben und Ölpastell und ich arbeite auch viel am Computer. Ich fange mit einer Umrisszeichnung an und dann zeichne ich die hellen Stellen mit diesen Ölkreiden und die Schatten male ich mit den Aquarellfarben. Es gefällt mir, dass nicht einmal meine Kollegen wirklich verstehen, wie ich es mache. Deshalb werde ich jetzt auch nicht mehr verraten."
Hasen mit roten Stöckelschuhen
Eigentlich müssen Ville und sein Kollege Lasse Rantanen jetzt los zu einem Termin bei Helsinki Sanomat, der größten Tageszeitung Finnlands. Doch Lasse zeichnet noch immer mit sehr feinem Strich an einer Karikatur Barack Obamas.
"Auf dem Papier vor Lasse Rantanen ist das Gesicht Barack Obama zu erkennen, ein riesengroßes rechtes Ohr ist allerdings erst zur Hälfte gezeichnet."
Im vergangenen Jahr hat Ville Tietäväinen noch einen Comic veröffentlicht.
"'Nur schlechte Träume' ist der Titel. Ein Buch mit den Albträumen meiner Tochter."
Als Villes dreijährige Tochter Aino vor einigen Jahren immer wieder in kompletter Panik aus ihren Alpträumen erwachte und sie ihrem Vater erzählte, beschlossen beide, die Träume aufzuzeichnen. In den folgenden drei Jahren sammelten sie Traumbilder für ein ganzes Buch.
"Der erste Traum im Buch ist der von den Hasen, die die dreijährige Aino durch den Wald jagen. Die waren riesengroß und hatten rote Stöckelschuhe an. Bei unserer Zusammenarbeit war Aino sehr anspruchsvoll. Ich zeigte ihr meine Zeichnungen und dann malte sie mir vor, wie der Traum wirklich ausgesehen hatte. Es kam oft zu heftigen Auseinandersetzungen (lacht). Und eine Zeitlang wollte Aino zwei Bücher machen: eins davon komplett ohne meine Zeichnungen."

Ville Tietäväinen: Unsichtbare Hände
Übersetzung ins Deutsche: Alexandra Stang
2014, avant-Verlag
216 Seiten , vierfarbig , Hardcover

Aino Tietäväinen und Ville Tietäväinen: Only A Bad Dream
Giant bunnies are chasing me in the woods!
WSOY Verlag, Helsinki 2013