Emma Kirkby

Die Grande Dame der Alten Musik

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Porträt der englischen Sopranistin Emma Kirkby © imago / Eric Richmond
Emma Kirkby im Gespräch mit Haino Rindler · 22.07.2016
Emma Kirkby ist Sopranistin und Spezialistin für Alte Musik. Bereits mit 14 Jahren sang sie Renaissance-Musik. Die Polyphonie habe sie sofort fasziniert: "Es war, als würde ich nach Hause kommen."
Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie Ihre Stimme mit einen Instrument vergleichen sollten, welches würde das sein?
Emma Kirkby: Ich liebe das Singen zusammen mit Instrumenten. Und meine Stimme ändert sich wahrscheinlich, je nachdem, mit wem ich zusammen musiziere. Für die Stimme ist vor allem wichtig, wo ich singe. In einem Raum ohne Charakter wird auch meine Stimme flach sein. Ich brauche das Zusammenspiel mit der Akustik.
Deutschlandradio Kultur: Wo singen Sie am liebsten?
Kirkby: Es gibt eine ganze Reihe von Räumen, die sich gut eignen, vielleicht nicht unbedingt ein riesiges Kirchenschiff. Die Resonanz muss gut sein und da gibt es eine Menge guter Räume, in denen die Stimme mit der Akustik tanzt. Das liebe ich. Als mich einmal jemand fragte, ob ich meine Stimme mögen würde, wusste ich darauf keine Antwort. Denn eigentlich ist die Stimme ohne die Interaktion mit etwas anderem nichts.

Die Saiten des Herzens berühren

Deutschlandradio Kultur: Gibt es ein Instrument an das Sie denken, wenn Sie Ihre Stimme hören?
Kirkby: Nein, ich glaube nicht. Denn es kommt ja auf die gesungenen Worte an. Ich versuche, durch meine Stimme zu sprechen, mich auszudrücken. Aber ich lasse mich gerne inspirieren durch den Klang einer Barockvioline, einer Oboe oder einer Flöte – es kommt auch auf den Musiker an…
Deutschlandradio Kultur: Weil diese Instrumente der menschlichen Stimme nahekommen?
Kirkby: Ja genau, ich mag Violinen und Blasinstrumente. Es gab die Vorstellung in der Renaissancezeit, wenn man einen Bogen auf die Saiten einer Violine legt, dann ist das, als würde man die Saiten des Herzens berühren. Sie benutzten dieses Bild oft: Du spielst die Saiten meines Herzens…
Und ich liebe Zupfinstrumente, die Laute zum Beispiel. Dieses Zupfen an sich ist sehr inspirierend. Es gibt einige Instrumente, die zu meinen Lieblingen zählen.
Deutschlandradio Kultur: Ich könnte mir vorstellen, weil Sie eine nicht gerade laute Stimme besitzen, bevorzugen Sie vielleicht sogar die Laute als Begleitinstrument?
Kirkby: Ich liebe es, mit der Laute zusammen zu singen – keine Frage. Aber es muss am richtigen Ort sein. Und genauso liebe ich es, mit anderen Stimmen zusammen zu singen. Ich mache seit über 20 Jahren Vokalmusik, wo ich ein wunderbares Repertoire entdecken durfte: besonders die italienische Musik des 16. und frühen 17. Jahrhunderts, die unglaublich ist. Man könnte ein ganzes Leben damit verbringen. Ich bin sehr glücklich darüber, mit vielen tollen Sängern zusammengearbeitet zu haben. Aber ich denke, Lautstärke ist relativ. Meine Stimme ist nicht sehr laut, das stimmt. Und es wäre wohl Zeitverschwendung für alle Beteiligten, wenn ich damit auf die Opernbühne ginge.
Deutschlandradio Kultur: Würden Sie das dennoch gerne mal machen?
Kirkby: Nein, ich glaube nicht. Da gibt es andere, die ich dafür bewundere.

Zuerst studierte sie Latein und Griechisch

Deutschlandradio Kultur: Sie haben auch nicht wie üblich an einem Konservatorium angefangen, stimmt das?
Kirkby: Ja, ich war auf der Universität und habe zuerst Latein und Griechisch studiert.
Deutschlandradio Kultur: Gab es eigentlich einen bestimmten Lehrer, der Sie geformt und ausgebildet hat?
Kirkby: Ja, den gab es. Es war Jessica Cash. Sie ist brillant.
Deutschlandradio Kultur: War das aus heutiger Sicht vielleicht sogar ein Vorteil, kein Konservatorium besucht zu haben?
Kirkby: Zu dieser Zeit war das für mich der sicherste Weg. Am Konservatorium hätten sie nicht gewusst, was sie mit mir hätten anfangen sollen. Mittlerweile ist das anders geworden. Es gibt junge Musiker, die sowohl diese Art von Musik singen können als auch andere Stile und die wunderbare Musiker sind. Und ich bin sicher, dass sie Dinge lernen, die ich auch gerne gelernt hätte. Aber das ist nun nicht mehr meine Sache.
Deutschlandradio Kultur: Wann haben Sie entdeckt, dass Sie eine besondere Stimme haben?
Kirkby: Das war als Kind, glaube ich. Ich liebte es, im Schulchor mit anderen zu singen.

Der Schock der Polyphonie

Deutschlandradio Kultur: Es gibt ja in England eine besondere Tradition des Chorsingens…
Kirkby: Ja, die gibt es wirklich. Ich war die Tochter eines Navy-Offiziers, wir sind oft umgezogen. Und in den letzten beiden Schulen, die ich besucht habe, gab es eine sehr lustige Chortradition. Jeder wollte in den Chor. Und es hat richtig Spaß gemacht. Aber das war natürlich nicht auf dem Niveau der Kirchenchöre, die Sie vielleicht meinen.
Heute können Mädchen natürlich auch in Kirchen singen. Und wir haben einige junge Frauen, die diese Schule durchgemacht haben. Ich bekam meine Idee vom Ensemblesingen, als ich etwas älter war. Es war das Repertoire, das mich zum Gesang brachte: William Byrds Messen, Marenzios Madrigale und all diese Dinge. Wenn man das singen möchte, lernt man, was dazu nötig ist.
Deutschlandradio Kultur: Das ist schon ungewöhnlich, gleich mit Renaissance-Musik zu beginnen…
Kirkby: Ich war 14, als ich zum ersten Mal William Byrds zweiteilige Messe sang. Und es war wie ein Schock für mich, diese Polyphonie – es war, als würde ich nach Hause kommen. Es gibt einige Sänger, die solche Polyphonie bereits als Kinder singen, in Georgia, glaube ich. Das ist ein wunderbares Angebot und den Kindern macht es einen Riesenspaß. Aber wir beginnen traditionell eher mit der Monophonie, dann kommt die Blockharmonik und etwas später die Polyphonie.
Deutschlandradio Kultur: Ich habe das Gefühl, in Deutschland kommt die Lust am Chorsingen gerade wieder auf, lag aber lange brach…
Kirkby: Ist das wahr? Nein, Chorsingen macht wirklich Spaß und ist auch eine soziale Angelegenheit. Du musst das Haus verlassen, um in einem Chor zu singen. Aber verglichen mit Schweden, könnten England und Deutschland einpacken. Dort hat jedes Dorf 4 Chöre. Aber auch in Deutschland gibt es sehr gute Chöre nach meiner Einschätzung. In Großbritannien hatten wir ein Revival durch die Fernseh-Serie von Gareth Melone, der herumreiste um die Menschen zum Singen zu bringen. Zuerst besuchte er Ehefrauen von Soldaten, die im Ausland kämpften. Und er steckte sie alle in einen Chor – das war ganz toll. Und seit den letzten 10, 15 Jahren gibt es in England ein regelrechtes Chor-Revival. Die Tradition gab es immer, aber auf hohem Niveau wurde eben in den Kirchen gesungen. Und jemand, der nicht religiös war, hatte also auch keinen Kontakt zu diesem Repertoire. Mittlerweile sind es mehr geworden durch das Fernsehen.

"Findet Menschen, mit denen ihr zusammen singt!"

Deutschlandradio Kultur: Mittlerweile lehren Sie auch…
Kirkby: Richtig, aber ich bin keine Lehrerin im Wortsinn, ich coache Sänger. Das heißt, ich übernehme keine Verantwortung für den Aufbau der Stimme. Dafür gibt es Experten. Ich gebe die Erfahrungen weiter, die ich für hilfreich halte. Zu mir können Sänger kommen, die schon eine Ausbildung haben und die sich mit einem bestimmten Stück auseinandersetzen. Und manchmal kann ich helfen, mit einer Kleinigkeit über bestimmte Probleme hinwegzukommen. Es gibt einige Techniken, die man auf der Grundlage einer guten Atemtechnik benutzen kann, um besser werden. Dessen muss man sich aber bewusst sein. Dann macht es das Leben leichter und dann kommen die Leute irgendwann zu mir zurück.
Deutschlandradio Kultur: Wie ist das, wenn Sie ein Werk einstudieren, sind Sie eher der intuitive Typ oder geht dem ein intensives Manuskriptstudium voraus?
Kirkby: Manchmal schon, ja. Aber glücklicherweise ist vieles auch schon vorbereitet. Ich bin nicht der Typ, der normalerweise in die Bibliothek geht, um Musik zu finden. Das machen andere, die ich dafür sehr bewundere. Ich profitiere von ihnen.
Deutschlandradio Kultur: Wenn junge Menschen zu Ihnen kommen und sagen: Ich möchte ein Sänger werden. Was raten Sie ihnen?
Kirkby: Das kommt darauf an, um wen es sich handelt. Wie alt er oder sie ist. In welchem Abschnitt ihres Lebens sie sich befinden. Wenn sie zu mir kommen, dann mögen sie auf jeden Fall das Repertoire, für das ich stehe. Und ich würde ihnen raten: Findet Menschen, mit denen ihr zusammen singt. Setzt euch nicht in eine Ecke und trainiert eure Technik allein. Jedenfalls nicht zu oft. Man sollte wissen, warum man singt. Und deshalb muss man zu anderen Menschen gehen, die singen und Musik machen. Das ist eine soziale Sache.
Deutschlandradio Kultur: Vielen Dank!
Kirkby: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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