EM-Tagebuch (16)

Julian macht die Deutschen froh

Julian Draxler (links) und Jerome Boateng (rechts) feiern das 2:0 gegen die Slowakei.
Draxler und Boateng beeindrucken beim 3:0 gegen die Slowakei © picture alliance / dpa / Arne Dedert
Von Thomas Wheeler · 27.06.2016
Viertes EM-Spiel, erneut eine Steigerung. Der Weltmeister wird seinem Ruf als Turniermannschaft gerecht und gewinnt das Achtelfinale mit 3:0 gegen die Slowakei.
Als ich am Sonntagmorgen in Toulouse aufwache, sind die deutschen Spieler sicher schon beim Frühstück. Denn mich kitzelt die Sonne erst um 10 Uhr an der Nase, und ich denke noch längst nicht an Fußball. Auch wenn heute der Gastgeber und Unsere spielen und ich zum krönenden Abschluss des Tages mein erstes Spiel bei dieser Euro live sehen werde. Erst mal brauche ich zur Stärkung ein typisches petit déjeuner mit Croissant, Marmelade, Café au lait und Orangensaft, und dann interessiert mich die Stadt. Ich fahre mit der Métro ins Centre-Ville und lasse mich treiben. Dass in Frankreich bereits zum dritten Mal eine Europameisterschaft stattfindet, ist am frühen Vormittag in der Innenstadt kaum zu merken. Gut, es sind noch zehn Stunden bis zum Anpfiff der Partie Ungarn gegen Belgien, aber ich spüre einfach nicht das gewisse Flair. Viele Franzosen scheinen sich nicht sonderlich für diese EM zu begeistern. Das haben mir gestern im Restaurant schon ein paar Leute aus Bordeaux bestätigt, und Toulouse ist nun mal Rugby-Stadt. Deshalb ist es abgesehen von den ersten belgischen und ungarischen Fans in den Straßen auch noch sehr ruhig. Das ändert sich ein wenig, als ich nach ein paar Stunden Stadt-Spaziergang Mittag esse. Jetzt füllt sich die City allmählich mit immer mehr Anhängern beider Achtelfinalisten, aber der Toulouser schaut eher distanziert dem Treiben zu. Mittlerweile ist es bereits kurz vor Drei am Nachmittag, und es zieht mich in mein Hotel zurück, damit ich ganz in Ruhe das Achtelfinale der Gastgeber gegen Irland sehen kann.
Irland bietet Frankreich großen Kampf
Ich bin noch nicht in meinem Zimmer, da führen die Iren bereits mit 1:0. Das gibt es doch nicht. Aber klar, Paul Brady, der seine Mannschaft mit einem Kopfballtor gegen Italien kurz vor Schluss überhaupt erst in die erste K.O.-Runde gebracht hat, trifft erneut. Diesmal per Foulelfmeter nach zwei Minuten. Die Franzosen benötigen die gesamte erste Hälfte, um sich davon zu erholen. Erst nach dem Seitenwechsel bekommt ihr Anrennen mehr Struktur, aber sie müssen noch leiden. Bis zur 58.Minute. Dann erlöst Antoine Griezmann die Équipe Tricolore. Und zur Beruhigung der Nerven setzt er kurz danach noch einen drauf. Nach Flanke von Bacary Sagna schiebt er nur 180 Sekunden später zum 2:1 ein. Als dann auch noch Shane Duffy nach einer Notbremse an Griezmann glatt Rot sieht, ist die Partie endgültig gelaufen. Die Iren kommen nun nicht mehr zu ihren vorher durchaus gefährlichen Entlastungsangriffen und können am Ende froh sein, dass sie nur knapp verlieren. Aber trotzdem ist der Einzug ins Achtelfinale für sie bereits ein Riesenerfolg gewesen, während die Grande Nation nun mehr will und auf ihren Viertelfinalgegner wartet. Der heißt entweder England oder Island. Jetzt bin ich aber auf die deutsche Mannschaft gespannt.
Boateng und Draxler reißen Weltmeister mit
Wie bereits beim ersten Achtelfinale habe ich es mir noch nicht mal richtig bequem gemacht. Da scheppert es schon im slowakischen Tor. Jerome Boateng hat nach einem mißglückten Abwehrversuch abgezogen, und der Ball saust nach acht Minuten unhaltbar ins Tor. Die DFB-Elf, diesmal wieder mit Julian Draxler für Mario Götze, dominiert, lässt die Slowaken nicht Luft holen. Der Bundestrainer hat im Training eine Menge Offensivaktionen üben lassen. Das merkt man, und es zahlt sich aus. Sein Team wirkt immer eingespielter und passsicherer. Verwirrend für den völlig überforderten Gegner das Wechselspiel von Draxler, Mesut Özil und Jonas Hector auf den Flügeln. Mal sind sie auf der linken, dann wieder auf der rechten Seite. Özil hat nach Foul von Martin Skrtel an Mario Gomez bereits in der 13. Minute die Möglichkeit zur Resultatserhöhung. Seinen halbhoch geschossenen Foulelfmeter kann der slowakische Torhüter Matus Kozacik aber aus dem Eck fischen. Geschockt ist der Weltmeister deshalb nicht. Er greift weiter an und erarbeitet Chance und Chance. Weil diese jedoch alle nicht ihren Weg ins Ziel finden, haben die Slowaken auf einmal kurz vor der Pause die Riesengelegenheit zum Ausgleich. Aber auf Manuel Neuer ist Verlass. Er lenkt einen Kopfball von Juraj Kucka in der 41. Minute mit einem Weltklassereflex über die Latte. Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten. Mario Gomez ist nach Draxler-Solo am Strafraumeck zur Stelle und erhöht auf 2:0 zur Pause. Beruhigend. Danach werden die Slowaken zwar etwas offensiver, was jedoch nicht den ganz großen Schauer erzeugt. Löws Mannen schauen sich das Ganze knapp 20 Minuten an und schlagen dann zu. Durch ihren Besten, Julian Draxler. Nach Kopfballverlängerung von Mats Hummels besorgt er mit einem sehenswerten Drehschuss den 3:0-Endstand. Das Resultat hätte sogar noch höher ausfallen können, aber bei weiteren Gelegenheiten geht der Ball entweder am Tor vorbei oder die slowakische Nummer 1 Kozacik verhindert Schlimmeres. Deutschland gewinnt schließlich in beeindruckender Manier und trifft nun im Viertelfinale auf Titelverteidiger Spanien oder Italien.
Belgier werfen ebenfalls die Tormaschine an
Kaum ist der hochverdiente deutsche Sieg perfekt, rufe ich mir ein Taxi, damit ich rechtzeitig zum Anstoß im Stadion von Toulouse bin. Dort angekommen, sind nur zwei schmale Eingänge für 40.000 Zuschauer geöffnet. Belgier und Ungarn stehen dicht an dicht, bleiben aber bis auf ein paar Drängler glücklicherweise diszipliniert. Polizei und Ordner schieben das Chaos bei Nachfrage auf die UEFA. Um auf seinen Platz zu gelangen, muss Jede(r) drei Kontrollen passieren. Aber diese sind sehr lasch. Je näher der Anpfiff rückt, werden sie immer lascher. Plötzlich marschiert Gendarmerie auf, warum ist nicht ganz klar. Die Fans sind trotz der unprofessionellen Bedingungen sehr friedlich. Rechtzeitig zu den Nationalhymnen bin ich dann endlich drin. Ich habe einen Klasseplatz, nur drei Reihen vom Spielfeld entfernt, ungefähr in Höhe der Eckfahne. Ich kann alles optimal sehen, und erlebe, wie die Belgier mächtig Dampf machen und nach zehn Minuten bereits 1:0 vorne liegen. Den Ungarn fällt in der ersten Hälfte bis auf ein paar Weitschüsse nicht viel ein. In der zweiten Hälfte gestalten sie die Angelegenheit deutlich offener, haben auch einige Ausgleichschancen, treffen aber die Bude nicht. Eine knappe Viertelstunde vor dem Ende rächt sich das. Ein Doppelschlag des eingewechselten Michy Batshuayi und des überragenden Eden Hazard in der 78. und 79. Minute besiegeln das Achtelfinal-Aus der ungarischen Elf. Der ebenfalls eingewechselte Yannick Ferreira-Carrasco will dann auch noch mal, und so deklassieren die Belgier den Außenseiter mit 4:0. Am Ende um mindestens einen Treffer zu hoch. Aber ich habe ein tolles Spiel gesehen und freue mich nun auf mein zweites EM-Achtelfinale Italien gegen Spanien in Paris. Dafür breche ich morgen früh in Toulouse auf und bin am Nachmittag in der französischen Hauptstadt. Dann gibt es wieder Neues von mir. Ach so: Belgien bestreitet nun am kommenden Freitag das zweite Viertelfinale gegen Wales.