"Einmischung von hier scheint manchmal sehr bequem zu sein"

Rolf Mützenich im Gespräch mit Gabi Wuttke · 23.06.2009
Der SPD-Politiker Rolf Mützenich hat die Reaktionen der EU auf die Krise im Iran verteidigt. Er sei froh, dass die Europäische Union gemeinsam zu handeln versuche, sagte der Vorsitzende der deutsch-iranischen Parlamentariergruppe im Bundestag. Zugleich betonte er, dass ausländische Kritik am Iran aus historischen Gründen schwierig sei.
Gabi Wuttke: Wenn die Proteste im Iran weitergehen, dann schreiten die Soldaten ein. Das ist die eindeutige Ansage der Revolutionsgarden. Und überhaupt: Das Ausland mische sich in Angelegenheiten ein, die es nichts angehe. - Ist Kritik der internationalen Gemeinschaft am iranischen Regime wichtig und richtig, oder bringt sie die Menschen, die Opposition damit erst recht in Gefahr? Um das zu beurteilen, ist Rolf Mützenich jetzt am Telefon. Der Sozialdemokrat ist der Vorsitzende der deutsch-iranischen Parlamentariergruppe im Bundestag. Guten Morgen!

Rolf Mützenich: Guten Morgen, Frau Wuttke.

Wuttke: Günter Nooke, Bundesbeauftragter für die Menschenrechte, reicht die Kritik der EU nicht. Er nennt das "Leisetreterei". Wettern Sie da mit?

Mützenich: Nein, ich sehe das eigentlich nicht so. Ich bin eigentlich froh, dass die Europäische Union versucht, hier gemeinsam zu handeln, gemeinsame Schritte einzuleiten. Die Bundesregierung hat ja relativ früh den iranischen Botschafter einbestellt, bereits als die ersten Probleme und Konflikte im Iran auftraten, weil ja auch die Medienberichterstattung sehr früh eingeschränkt war. Ich fand das richtig und ich glaube, dass das Vorgehen auch weiterhin richtig ist, weil wir müssen ja aufpassen: Kritik von hier, Einmischung auch von hier scheint ja manchmal sehr bequem zu sein, die Leidtragenden sind die Demonstranten auf der Straße.

Wuttke: Die äußerste Zurückhaltung von Barack Obama halten Sie also auch für vernünftig?

Mützenich: Ich glaube noch nicht mal, dass es eine äußerste Zurückhaltung war, sondern man muss ja auf der anderen Seite sehen: Barack Obama war ja derjenige gewesen, der eigentlich sozusagen die Voraussetzung geschafft hat, dass junge Menschen, dass Frauen auf die Straße gegangen sind, weil sie Hoffnung haben, Hoffnung auf einen Wandel in der internationalen Politik und damit natürlich auch die innenpolitischen Verhältnisse kritisiert haben. Keiner konnte erwarten, dass die Wahlen im Iran solch starke Unregelmäßigkeiten hatten, und ich glaube, das Regime oder Teile des Regimes hat sich damit selbst desavouiert.

Wuttke: Damit graben Sie aber Herrn Mussawi ganz mächtig das Wasser ab?

Mützenich: Nein, nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, im Grunde genommen versuchen wir, von hieraus das Möglichste zu tun, nämlich wir schaffen öffentliche Aufmerksamkeit. Im Netz kann nichts sozusagen intern gestoppt werden. Ich glaube, dass es gut ist, dass wir diese Nachrichten hier weiter verbreiten, offen auch darüber diskutieren, uns natürlich auch solidarisch erklären. Der andere Punkt ist: Wir müssen wissen, im Iran gibt es eine Gesellschaft und eine Geschichte, die die Einmischung von außen immer wieder sehr kritisch beobachtet hat, im Grunde genommen auch Leidtragende dieser Einmischung von außen gewesen ist, und deswegen tun wir gut daran, den Demonstranten eben zu sagen, sie haben unsere Solidarität, aber sozusagen eben nicht, dass sie ein Instrument des Auslandes sind.

Wuttke: Aber schürt die öffentliche Aufmerksamkeit nicht auch Hoffnungen dann auf internationalen Schutz?

Mützenich: Das versuchen wir natürlich zu gewähren. Insbesondere die, die versuchen, auch aus dem Iran wegzukommen, da haben wir seit 1979 viele iranische Auslandsgemeinden sowohl hier in Europa als auch in den USA. Da gibt es politische Verfolgte, die sind aufgenommen worden. Natürlich wollen wir Schutz auch organisieren, das ist gar keine Frage.

Auf der anderen Seite müssen wir aber auch sehen, dass ich glaube, dass es hinter den Kulissen einen massiven Machtkampf gibt, der erst mal unabhängig auch von den Demonstrationen auf der Straße stattfindet. Dieses Regime, was sich in den letzten Tagen im Iran zeigt, hat doch dokumentiert, wie vielgestaltig die Gesellschaft ist. Die Kritik, die monate- oder jahrelang am Iran geübt worden ist, der Iran ist nicht mehr als Ahmadinedschad, dieses Bild ist doch zusammengefallen und das ist gut.

Wuttke: Sie sind der Vorsitzende der deutsch-iranischen Parlamentariergruppe. Klären Sie uns doch mal auf: Wie weit reichen Ihre Kanäle?

Mützenich: Wir können natürlich nur die Möglichkeiten entwickeln, die sozusagen unterhalb der diplomatischen Beziehungen stattfinden. Wir sind sehr stark daran interessiert, mit dem Parlament zusammenzuarbeiten. Nachdem in den letzten Wahlen natürlich Hardliner auch in dieses Parlament gekommen sind, ist es immer schwieriger geworden.

Wuttke: Haben Sie noch direkte Kontakte?

Mützenich: Wir haben noch direkte Kontakte. Man muss natürlich aufpassen, dass man die wenigen, die überhaupt im Parlament auch zu den Kritikern gehören, nicht gleichzeitig mit diesen Kontakten gefährdet. Ich glaube aber auf der anderen Seite, auch im Parlament zeigt sich ja sehr deutlich, dass Ahmadinedschad auch in der vergangenen Legislaturperiode nicht immer die große Unterstützung hatte. Dieser Machtkampf findet ja nicht erst seit einigen Tagen statt und ich glaube, es ist gut, wenn wir eben dieses differenzierte Bild auf den Iran auch vom Ausland her nehmen.

Wuttke: Der amtierende Präsident könnte, wenn man der Nachrichtenagentur AP glaubt, der mögliche Sieger der vergangenen Tage sein, denn der iranische Wächterrat, so wird gemeldet, hat das offizielle Ergebnis der Präsidentenwahl bekräftigt. Es hätte Unregelmäßigkeiten gegeben, aber keinen Betrug. Das wird über das staatliche Fernsehen verbreitet, heißt es. Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie für diesen Moment aus der Meldung?

Mützenich: Ich bin da immer sehr vorsichtig, weil wir haben ja gestern zum Beispiel gehört, wie unterschiedlich die Meldungen waren. Am Morgen war der Wächterrat noch der Meinung gewesen, dass es Unregelmäßigkeiten gegeben hat, dann hat man sich sozusagen wieder zurückgezogen. Da sieht man an dieser Stelle, dass offensichtlich der Wächterrat manchmal auch ein Spiegelbild der innenpolitischen Machtkämpfe ist. Ich glaube auf der anderen Seite, wir wären klug beraten, die nächsten Tage in diesem Verhältnis auch weiterhin abzuwarten. Ich glaube schon, dass sowohl innerhalb des Wächterrates, aber auch des Schlichtungsrates eine Menge zurzeit passiert. Es kann sein, dass es dort Kompromisse gibt; es kann aber auch sein, dass die blutige Auseinandersetzung noch stärker wird.