Eine Niere für Massimo

Von Inge Braun · 26.08.2013
Bundesweit warten rund 12.000 Patienten auf eine lebensrettende Transplantation, etwa 8000 Dialysepatienten auf eine Spenderniere. Der kleine Massimo hat inzwischen eine bekommen. Der Weg dahin war schwierig – und auch jetzt ist nicht alles einfach.
Frühjahr 2011 am Stadtrand von Berlin Spandau, wo Christiane und Dirk mit ihren zwei kleinen Söhnen in einer winzigen Wohnung leben.

Dirk: "Das ist jetzt sein Revierverhalten, da nach da oder sonst wohin."
Autorin: "Sag mal Massimo, du hast ja 'ne Power hier."

Die Lachtaube der Familie Cobien flattert durchs Wohnzimmer, über den vollbepackten Schreibtisch zum Schlafsofa, vorbei an einer Spielzeugfeuerwehr mit zwei kleinen Polizisten und zurück Richtung Essecke. Gleich gibt es Abendbrot. Während Massimos älterer Bruder Cosimo in eine Bulette beißt, schnappt sich Dirk seinen Jüngsten und hantiert mit Schlauch und Nahrungsspritze.

Dirk: "Im Moment kriegt der Massimo eine Spritze nach der anderen gefüllt mit ... was ist denn hier drin jetzt ..."
Christiane: "Obstgläschen ..."
Dirk: "So Babyobstgläschen…"
Christiane: "Also ein so Babyobstgläschen, was man relativ gut pürieren kann, wat man durch eine Spritze und durch eine Sonde dann reinmachen kann. Man hat uns gesagt, sobald er eine Spenderniere hat, fängt er an zu essen. Und ich denke, das wird für ihn ein wahnsinniger Verlust werden, wenn er seine Magensonde weg bekommt. Den Dialyseschlauch glaube ich nicht so sehr. Aber die Magensonde gehört schon ganz schön zu ihm, das ist seine."

Dirk: "Massi, mach ich alleine jetzt mal kurz ...Mo, ja ich weiß ... ziehst du ... zieh ... zieh …"

Massimo: "doller ..."
Dirk: "Hast du doller gesagt?"
Massimo: "doller ..."
Dirk: "Mann, super ..."
Massimo: "Papi."

Dass sein kranker Bruder die Mahlzeiten über eine Magensonde bekommt, ist für den vierjährigen Cosimo nichts Außergewöhnliches. Massimo steckt sich zwar immer mal einen Happen in den Mund, spuckt aber alles gleich wieder aus. Die Nahrungs-aufnahme verweigert er. Für nierenkranke Kinder, sogenannte Nephrokids wie Massimo ist das nichts Untypisches.

Massimo: "Papi ..."
Dirk: "Darf ich nochmal deinen Bauch sehen, Mo? Darf ich nochmal deinen Bauch sehen. Guck mal, das hier ist im Endeffekt der Katheter hier, psst, den legen wir immer in die Windel, da macht er sich am günstigsten zum Festhalten ... von der Dialyse. Der steht da ein Schritt drunter."
Massimo: "Pap ..."
Dirk: "Ja, ist ja okay, jetzt hast du einen kalten, nassen Bauch."
Massimo: "Papo ..."

Massimo leidet schon seit seiner Geburt am ersten Dezember 2008 an einer chronischen Niereninsuffizienz. Das heißt, seine viel zu klein angelegten Nieren schaffen es nicht, das Blut ausreichend zu entgiften:

Christiane: "Und man hatte uns damals eigentlich schon gesagt, dass wir also mit dem Gedanken uns beschäftigen sollen, dass unser Kind auch irgendwann mal eine Transplantation braucht. Also ja, war ganz schön schlimm gewesen. Also klar: man musste uns das sagen und 'ne Schönmalerei hätte die Sache ja nicht besser gemacht. Aber es ist erst mal ein totaler Schock."

In der Familie dreht sich inzwischen alles um die Transplantation. Nach den Tests kommen theoretisch beide Elternteile für eine Organspende infrage:

Dirk: "Und da ist dann auch rausgekommen, dass meine Nieren kleiner sind und daraufhin habe ich gesagt: 'Na ja wenn meine kleiner sind, dann ist das vielleicht von den Anschlüssen dann erst mal besser, dass ich das mache.' Dann hat er ja immer noch Mama in petto, wenn er größer ist."

Dirk gesteht, dass er zum Grübeln neigt, und was die Transplantation angeht, alle Szenarien schon durchgespielt hat. Was wäre, wenn Massimos kleiner Körper seine im Verhältnis große Niere abstoßen würde? Immerhin wiegt er 84 Kilo, Massimo ist dagegen ein Fliegengewicht von 14 Kilo bei einer Größe von 84 Zentimetern. Auch die Vorstellung, ein Organ zu verlieren, ist ihm unheimlich.

Bis zu einer Organverpflanzung muss Massimo ans Dialysegerät. Im Moment sträubt er sich gegen die allabendliche Prozedur, die seine Eltern schon seit einem Jahr selbst Zuhause durchführen.

Christiane: "Ja also, das Wichtigste bei dem Anschließen ist im Grunde genommen, dass so gut wie man kann, ganz geht's natürlich nicht, eine Sterilität erhält. Weil: Wenn Keime in das Bauchfell reinkommen, dann passiert sehr schnell eine Bauchfellentzündung."
Dirk: "Machst du die Tür zu."
Christiane: "Noch mal die Tür ein bisschen zumachen."
Dirk: "Das ist eine Verschlusskappe bei ihm am Bauch ..."
Christiane: "Jetzt wird ein bisschen desinfiziert."

Mit Mundschutz stehen Christiane und Dirk jetzt im winzigen Schlafzimmer, wo Massimo im Bett seiner Eltern liegt und für die ganze Nacht an das Gerät angeschlossen wird. Fenster und Türen sind geschlossen, die alte Lachtaube ist in ihren Käfig im Wohnzimmer verbannt.

Massimo steht auf der Warteliste von Eurotransplant steht, seit er mit anderthalb Jahren dialysepflichtig wurde. Die Stiftung ist für die Zuteilung von Spenderorganen in sieben europäischen Ländern zuständig:

Dirk: "Es ist voll krass, wenn du dann im Endeffekt so 'ne Überlegungen hast: du wartest auf eine Kinderniere, du wartest, dass irgendjemandem was Schreckliches passiert, damit es deinem Kind gut geht. Es ist schon eine krasse Überlegung, aber es ist deine einzigste Chance, die du hast."

Christiane: "Man sitzt ja wie auf Kohlen, ob man dann einen Anruf bekommt oder nicht."

Das Telefon klingelt kurz vor 23.00 Uhr am Vorabend zu Massimos drittem Geburtstag. Frau Dr. Gellermann ist am Apparat. Wieder ist die Kindernephrologin, wie vor drei Jahren, die Übermittlerin einer lebensentscheidenden Nachricht: Es gibt ein kindliches Spenderorgan für Massimo. Und diesmal passt alles: die Gewebemerkmale, die Größe.

Die Ärztin blättert Monate später in ihrem Sprechzimmer im Virchow-Klinikum in Massimos Krankenakte.

"Also Massimo hat die Chance, dass das mehr als zehn Jahre funktionieren wird, sein Transplantat, aber wir hoffen natürlich, dass es viel länger funktionieren wird. Und wir haben schon Patienten, die durchaus ihr Transplantat auch dreißig Jahre lang haben. Also das kann man im Einzelfall überhaupt nicht vorher wissen, wie lange das gut gehen wird. Und jetzt sieht ja alles ganz gut aus."

Frühsommer 2013. Bald soll die Magensonde, über die Massimo seine Medikamente erhält, entfernt werden. Ein wohl schwerer Verlust für ihn. Mit Placebos wird jetzt schon mal Pillen Schlucken geübt.

Christiane: "Mo, da ist nur Zucker drin."
Massimo: "Zucker, schmeckt nicht."
Christiane: "Seit wann willst du kein Zucker?"
Dirk: "Du hast aber gesagt, im Urlaub probieren wir das."
Massimo: "2Morgen ...""

Das mit den Pillen schlucken will Massimo noch nicht, heute jedenfalls nicht. Die Prognosen insgesamt aber sind gut. Auch wenn Medikamente und Besuche im Krankenhaus auch künftig zu Massimos Leben gehören werden. Etwas, was Cosimo, sein fünf Jahre alter Bruder, gar nicht versteht. Jetzt, wo Mo, sein kleiner Bruder, doch endlich eine neue Niere hat.

Dirk: "Wieso muss mein gesunder Bruder, der ja nun wirklich hier eine neue Niere bekommen hat und jetzt topgesund ist, ins Krankenhaus? Was soll er denn da? Der ist jetzt gesund, der hat jetzt gesund zu sein, der funktioniert jetzt. Das ist natürlich, einem Fünfjährigen klar zu machen: 'Hallo, dein Bruder wird nie gesund.'"

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