Eine Nation unter Gott

Von Leonard Novy · 19.03.2012
In der Wahrnehmung vieler Europäer ist es mit der Trennung zwischen Kirche und Staat in den USA nicht sonderlich weit her, scheint doch der Glaube ausgerechnet hier in Rhetorik und Ritualen der Politik eine weitaus größere Rolle als etwa in Deutschland zu spielen.
Und das nicht erst seit der Amtszeit des diesseits des Atlantiks fälschlicherweise als religiöser Überzeugungstäter geltenden George W. Bush. Der hatte seine Wahlerfolge zwar maßgeblich der Unterstützung der christlichen Rechten zu verdanken. Der Rekurs auf Glaube und Religion war bei ihm jedoch nicht ausgeprägter als bei Clinton, Kennedy und ihren Vorgängern auch.

Die Unbefangenheit der "einen Nation unter Gott" hat mit den historischen Entwicklungslinien eines Landes zu tun, in dem sich die Aufklärung anders als in Europa nicht gegen die Kirche als Teil des absolutistischen Herrschaftssystems richtete. Stattdessen zeichnet die USA seit jeher eine eigentümliche, dynamische Balance zwischen religiösem Pathos, wie ihn die Unabhängigkeitserklärung prägt, und dem striktem Laizismus der Verfassung aus. In der Abwesenheit einer Staatskirche und unter dem Gebot von Religionsfreiheit und weltanschaulicher Neutralität des Staates konnten persönliche Glaubensausübung und – in der Folge – religiöser Pluralismus gedeihen. Sie tun es bis heute.

Doch was die Gegenwart auszeichnet, ist nicht so sehr das Ausmaß von Religiosität, sondern Lautstärke und Einfluss ihrer radikalsten Vertreter: auf die mittlerweile komplett von ideologischen Konservativen dominierte republikanische Partei und den öffentlichen Diskurs insgesamt.

Vor allem die Politisierung und Mobilisierung der ursprünglich eher mit Schöpfung, Erlösung und Endgericht befassten und somit tendenziell apolitischen evangelikalen Christen hat dazu beigetragen. Der religiösen Rechten, die ihren Einfluss auf Programm und Personalentscheidungen der Republikaner über die letzten Jahre hinweg sukzessive ausbauen konnte, hat der Katholik Rick Santorum nun eine Stimme und – erstmals – die Hoffnung auf die Präsidentschaft verliehen.

Mitt Romneys Wahlkampf weist im Vergleich weniger ostentativ religiöse Bezüge auf. Dabei steht sein Aufstieg beispielhaft für die wachsende Bedeutung einer Glaubensgemeinschaft, die man als ureigene, indigene Religion der USA bezeichnen könnte: die Mormonen. Sechs Millionen Anhänger der in Utah ansässigen "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage" gibt es in den USA – das sind jede Menge Wähler und Wahlkampfhelfer für Mitt Romney. Mormonen wählen denn auch in aller Regel republikanisch, sie machen aber nur rund ca. zwei Prozent der Gesamtbevölkerung aus.

Ob sich die restlichen Anhänger der Grand Old Party, auf deren Mobilisierung es im Herbst beim Duell mit Barack Obama ankommen würde, dazu bewegen lassen, für einen Mormonen zu stimmen, ist nicht ausgemacht. Vor allem Evangelikale hegen Vorbehalte. Trotz Übereinstimmung in vielen gesellschaftspolitischen Fragen und obwohl das Mormonentum nach dem Verbot der Polygamie im Grunde kaum weiter vom Christentum abweicht als viele protestantische Strömungen, sehen sie in der mormonischen Theologie einen nichtchristlichen Kult. Kein Wunder, dass Romney versucht, seinen Glauben aus dem Wahlkampf herauszuhalten.

Als sich Barack Obama 2008 mitten im Wahlkampf durch skandalträchtige Äußerungen seines ehemaligen Pastors, des Reverend Jeremiah Wright in die Enge gedrängt sah, nutzte er die Situation für eine historische Grundsatzrede über Religion und Rasse. Eine solche Offensivverteidigung ist von Romney nicht zu erwarten. Wie ihm überhaupt eine stimmige, konsistente Botschaft zu fehlen scheint. Daran, dass der zweifache Harvard-Absolventen über gewisse Managementkompetenzen verfügt, zweifelt kaum jemand. Darüber, wofür er diese einsetzen würde, schon. Zu oft hat Romney, der seine politische Karriere als Kandidat der Mitte startete, seine Meinung geändert. Aus wahltaktischen Gründen schloss er sich schließlich dem sozialkonservativen Flügel der Republikaner an.
God’s Own Country ist heute sowohl ethnisch als auch religiös vielfältiger als es sich die Gründerväter der USA um Thomas Jefferson, den Pionier der Religionsfreiheit, in ihren kühnsten Träumen hätten ausmalen können. Romneys Glaube mag da kein Ausschlusskriterium mehr sein. Opportunismus als Programm schon eher.


Dr. Leonard Novy ist Forschungsdirektor am IWM Institute for Human Sciences in Wien. Studium an der Humboldt Universität Berlin und der University of Cambridge. Promotion zum Dr. Phil. an der University of Cambridge, 2004-05 Fellowship an der Harvard University. 2006-2009 Leiter zweier Projekte der Bertelsmann Stiftung, Gütersloh, zum Thema Strategie- und Steuerungsfähigkeit der Politik. Regelmäßige Lehr- und Publikationstätigkeit zu den Themen Governance, Demokratie, Öffentlichkeit. Er lebt in Wien und Berlin, wo er sich in der Institutsleitung des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik und als Mitherausgeber des Autorenblogs carta engagiert.