Eine Hochschule für das Ruhrgebiet

Von Karl-Heinz Heinemann · 30.06.2005
Die Ruhr-Universität Bochum stand am Anfang der Expansion des Hochschulstudiums in den sechziger und siebziger Jahren. Gedacht war die Bochumer Neugründung, die erste Universität im Ruhrgebiet, für 10.000 Studierende, heute drängen sich dort 32.000.
Vor 900 geladenen Gästen inthronisierte der nordrhein-westfälische Kultusminister Paul Mikat am 30. Juni 1965 den Theologen Heinrich Greeven als Rektor der ersten bundesdeutschen Universitätsneugründung der sechziger Jahre. Das Universitätsgelände draußen in Querenburg, am Rande des Ruhrtals, war noch eine gigantische Baustelle, und so fand die Gründungsfeier im Bochumer Schauspielhaus statt.

Greeven war nur zweite Wahl. Studenten hatten die Ernennung des designierten Gründungsrektors Hans Wenke verhindert, indem sie die Lobhudeleien dieses Pädagogen auf die Nazi-Rassenpolitik veröffentlicht hatten.

Im Ruhrgebiet, wo die Proleten zuhause waren, solle man weder Kasernen noch Universitäten errichten, befand angeblich Kaiser Wilhelm II. Eine entsprechende Äußerung ist zwar nie belegt worden, aber sie zählt zu den Gründungsmythen der Universität. Die Ruhr-Universität war gedacht, den Strukturwandel im Kohle- und Stahlrevier einzuleiten. Dort sollte von nun an Erkenntnis statt Kohle gefördert werden. Die Hochschule wurde geplant, so der CDU-Ministerpräsident Franz Meyers auf der Gründungsfeier, für

" Menschen, denen der Weg in den akademischen Bereich aufgrund ihrer räumlichen Bindung, aufgrund ihrer wirtschaftlichen Lage oder durch die Vorstellung von der Universität als einer fremden, fern ab gelegenen Größe schwer fällt. "

Die Zahl der Studierenden in der Bundesrepublik war 1960 auf erschreckende 190.000 angewachsen. Dieser Überfüllung könne man nur durch Neugründungen Herr werden, meinte der Wissenschaftsrat damals. Die Ruhr-Universität war die erste, weitere folgten. Heute haben wir über zwei Millionen Studenten.

Wie auf einem amerikanischen Campus mit integrierten Wohnheimen und Kollegienhäusern sollten Studenten an der Ruhr-Universität nicht nur lernen, sondern in die akademische Welt eingeführt werden.

" Festgefroren auf der grünen Woge der Ruhrberge, droht die Ruhr-Universität Bochum – die Instruktionsmaschine. Verankert auf 562 weggeputzten Wiesenhektar steht dreizehn mal das gleiche – Beton an und für sich, die apathische Alma Mater. Jeweils 112 Meter lang, 45 Meter hoch, 22-einhalb Meter breit, dreizehn Uni-Gebäude mit Balkons, die niemand betritt, Fenster, die niemand wäscht, Professoren, die niemand kennt, Assistenten, die niemand sieht. 19600 Studenten, die niemand tröstet, "

so beschrieb der Assistent der Politikwissenschaft Michael Naumann 1974 die "Horror-Architektur" in der "Zeit" deren Herausgeber er später wurde. Die Selbstmord-Universität hieß sie damals. Die unwirtliche Architektur lud angeblich dazu ein, sich von den Balkons zu stürzen. Auch das ist nur ein Mythos – man hat nachgerechnet, dass die Bochumer Studierenden nicht stärker als andere suizidgefährdet sind.

Nur eine Minderheit der Studierenden wohnte in dem universitären Ghetto in Querenburg vor der Stadt, die meisten kamen morgens zum Schichtbeginn mit dem eigenen Wagen, um das unwirtliche Gelände spätestens um 16 Uhr wieder zu verlassen. So ist es mittlerweile auch an vielen anderen Hochschulen.

Der Historiker Hans Mommsen, damals einer der ersten jungen Professoren an der Ruhr-Universität:

" Sie können z. B. nicht wie es in Heidelberg oder Tübingen üblich war, die Studienanfänger einfach in die Seminarbibliothek reinwerfen und sagen, orientiert euch da, der durchschnittliche Ruhrstudent wäre vor einer geschlossenen Bücherwand zurück gescheut, und es war nur durch persönlichen Kontakt und Tutorien zu erreichen, das die Studenten sich nicht nach Hause zurückzogen und mit den drei, vier Schulbüchern, die sie hatten ihre nötigen Vorbereitungen machten. "

"Der Ruhr-Student", so hieß eine Studentenzeitschrift damals, und der Ruhr-Student war in der Tat ein neuer Typ. Häufig kam er über den zweiten Bildungsweg, hatte schon Frau und Kind zuhause. Die in sich geschlossene Universität auf der grünen Wiese hat nichts gemein mit einem Elfenbeinturm, allerdings auch nicht mit der Exklusivität eines amerikanischen Campus. Für die 32.000 Studenten von heute ist aber noch immer jeder Hörsaal, jedes Institut in zehn Minuten zu Fuß erreichbar.