"Eine Bühne für die Bürger"

Von Ruth Kinet · 15.12.2009
Die israelische Stadt Tel Aviv feiert in diesem Jahr ihr hundertjähriges Bestehen. Einer der letzten Höhepunkte ist die Eröffnung des "Hauses der Stadt". Das Museum, das die Stadtgeschichte präsentiert, soll nach dem Willen seiner Direktorin nie fertig werden.
Ayelet Shlonsky: "Ich möchte, dass dieser Ort eine Bühne für die Bürger und als solcher wirklich bedeutsam wird. Dass er ein Ort wird, an dem urbane Bewegungen entstehen und Dinge verändern können."

Ayelet Shlonsky, einen Tag vor der Eröffnung des Neuen Stadtmuseums Tel Aviv. Sie ist die Direktorin und leitende Kuratorin des Museums, das im früheren Rathaus der Stadt untergebracht ist. Noch haben die Handwerker die Schlüsselgewalt. Wenige Stunden vor der Eröffnung ist das Museum noch Baustelle. Unfertig.

Ein Zustand, der Teil des inhaltlichen Konzepts des Hauses ist. Das Neue Stadtmuseum Tel Aviv soll nach dem Willen seiner Direktorin nie fertig werden mit dem Erzählen seiner eigenen Geschichte und dem Gestalten seiner Gegenwart. Es soll nicht nur ein von Ausstellungsmachern und Historikern definiertes Narrativ der Stadtgeschichte beherbergen.

Ayelet Shlonsky: "Was bedeutet ein Museum für die Geschichte der Stadt? Du stellst ein kollektives Gedächtnis her. Wenn es nur um die Lebensgeschichte einer Person geht, weißt Du, womit Du es zu tun hast. Aber wenn es um eine Stadt geht, ist es ein weites Feld. Was hebst Du hervor? Es gab also seit dem Beginn der ersten Planungen mehr Fragen als Antworten."

Tel Aviv, 1909 im Norden von Jaffa gegründet, auf Sanddünen gebaut. Einwanderer aus der ganzen Welt, ashkenasische, sephardische, orientalische und äthiopische Juden, religiöse und säkulare, Handwerker und Intellektuelle haben seither ihre Sprachen, ihre Musik, ihre Umgangsformen und kulinarischen Vorlieben mitgebracht an diesen Ort. Sie haben das unberührte Blatt Papier, das Tel Aviv vor einhundert Jahren war, nach und nach beschrieben mit unzähligen Geschichten. Ihren je eigenen. Diesen Geschichten gibt Ayelet Shlonsky im neuen Stadtmuseum ein Forum.

Ayelet Shlonsky: "Tel Aviv steht für ein Zusammenwirken von alt und neu. Das 'Tel' steht für die aufeinandergeschichteten Geschichten, 'Aviv' steht für den Frühling, der die Wiedergeburt will. Wir haben dieses Haus als Zusammenspiel zwischen dem alten Gebäude und dem Neuen konzipiert, einem 'white cube', der die Sprache des Bauhauses und der Moderne spricht."

In dem weißen Würfel, dem über drei Etagen hin geöffneten zentralen Ausstellungsraum des "Hauses der Stadt" sind im Moment unter anderem Fotos zu sehen, die 300 Volontäre über viele Monate hinweg bei den Bewohnern eingesammelt haben. Fotos, die private Erinnerungen aus den einhundert Jahren der Stadtgeschichte festhalten. Aber alles im Museum, alle Exponate und Ausstellungen, sind temporäre Gäste.

Ein Raum allein ist als Dauerausstellung konzipiert: das frühere Büro des ersten Bürgermeisters, Meir Dizengoff. Ayelet Shlonsky nennt es eine Zeitkapsel. Hut und Mantel Dizengoffs hängen auf dem Garderobenständer, als wäre der 1921 gewählte Bürgermeister nur für einen kurzen Moment aus dem Raum gegangen. Auf dem Schreibtisch liegt eine Unterschriftenmappe, darüber hängt der erste Grundstücksplan Tel Avivs. Vom Schreibtisch aus ist der Bialik-Platz zu sehen, der Blick reicht über die ganze Länge der Bialik-Straße.

Ayelet Shlonsky: "Das Haus der Stadt ist ein Konzept. Es ist nicht nur ein Name. Es soll die Verbindung zwischen den Menschen und der Stadt, zwischen der Stadtverwaltung und den Einzelnen stärken. Ich möchte, dass die Tel Aviver einbezogen werden in die Ideen zur Weiterentwicklung der Stadt, dass sie mitmischen und nicht nur abseits stehen und zusehen, was passiert."

Deshalb gibt es im neuen Museum auch einen Empfangsraum für den jeweils aktuellen Bürgermeister, im Moment ist das Ron Huldai. Die Bürger sollen dort Gelegenheit haben, mit demjenigen zu diskutieren, der ihre Stadt gestaltet. Noch ist der Raum unmöbliert. Offen für alle denkbaren Formen der Bestuhlung.

Norman Bentwich, der ab 1918 elf Jahre lang Generalbevollmächtigter der britischen Mandatsregierung Palästinas war, beschrieb Tel Aviv einmal so: "Die Stadt ist wie eine Ausstellung am Tag vor der Eröffnung." In diesem lebendigen Sinne spiegelt das neue Museum seinen Gegenstand auf gelungene Weise.