Eine Ausstellung als Karrieresprungbrett

Von Barbara Wiegand · 08.09.2011
Seit elf Jahren gibt es den Preis der Nationalgalerie für junge Kunst - als Gegenentwurf zum britischen Turner Prize. Vier Kandidaten, die in die engere Wahl der diesjährigen Auszeichnung kamen, dürfen nun im <papaya:link href="http://www.hamburgerbahnhof.de/" text="Hamburger Bahnhof" title="Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart, Berlin" target="_blank" />in Berlin ausstellen.
Recht bescheiden wirkt der Auftritt der vier Kandidaten auf den ersten Blick. Denn wenn man nicht aufpasst, läuft man am ersten, im Museumshof postierten Kunstwerk glatt vorbei. So geschickt getarnt ist der "Pflanzencontainer" von Klara Liden inmitten von Beeten und Bänken. Eine auf Müllbehälter-Format getrimmte Hecke, gewachsen aus allerlei Unkraut, das die junge Schwedin in der Gegend gesammelt hat.

Im Museum tritt die Künstlerin gar komplett den Rückzug an: Sie hat sich dabei gefilmt, wie sie sich am Schreibtisch den Kopf – wohl über einem neuen Werk - zerbricht, bevor sie in einer Abfalltonne abtaucht. Das gut einminütige, tragisch-komische Video ist eine von drei Filmarbeiten in dieser Ausstellung. Womit der Schwerpunkt diesmal eindeutig auf den bewegten Bildern liegt. Um diese zu betrachten muss man aber nicht in kleinen, düstren Boxen verschwinden. Vielmehr werden die Filme in unterschiedlich gestalteten Ausstellungsräumen gezeigt.

Kurator Joachim Jäger: "Ich finde auch da sind wir einen Schritt weiter. Der Film braucht auch eigene Inszenierungen wie eine Skulptur, da sind sich die Künstler sehr darüber bewusst. Machen sehr genaue Vorstellungen. Das heißt der filmische Raum gehört mit zur Installation, deshalb arbeiten wir beim Aufbau sehr eng mit den Künstlern zusammen."

So ist Andro Wekuas Film "Never Sleep with a strawberry in your mouth" Teil eines theatralen Arrangements: schwarze Wände und Teppiche, mysteriös ausgeleuchtete Wachsfiguren sind das passende Ambiente für verstörend hyperreale Bilder auf der Leinwand.

Hier begegnet man Protagonisten, die mit ihren maskenhaften Gesichtern an Schaufensterpuppen erinnern, folgt der Kamera vorbei an gleißend helle Farbfeldern durch Gänge und um Ecken, hinter denen vermutlich nichts Gutes wartet.

Andro Wekua: " Das kann man schon sagen, es ist bestimmt auch unheimlich. Aber ich versuche nicht von Anfang an etwas Unheimliches zu machen, das kommt einfach so raus. Das sind schon Geschichten, etwas sehr Erzählerisches. Aber es entsteht auch. Es gab ein Drehbuch aber schlussendlich ist es auch eine abstrakte Geschichte, wie eine Inszenierung, die auch aus dem Bild funktionieren könnte. Es ist einfach narrativ, weil es in Bewegung bleibt."

So ergeben scheinbar zusammenhanglose Szenen ein Ganzes - das immer wieder beklemmend, aber mitunter auch gekünstelt wirkt.
Nüchterner geht es nebenan bei Cyprien Gailliard zu. In einem nur leicht abgedunkelten weißen Raum zeigt der Franzose seinen im vergangenen Sommer im Irak entstandenen Film. Mit dem iPhone aufgenommene und für die Ausstellung auf das 35 Millimeter Format aufgeblasene Filmaufnahmen aus Bagdad und Babylon, ganz anders als die Bilder von Tod und Terror, die wir heute aus den Nachrichten kennen.

Umso irritierender ist es, wenn hier Aufnahmen etwa des verlassenen Palastes von Saddam Hussein neben archäologischen Stätten zu sehen sind. Ist man sich doch nie ganz sicher, ob die Spuren des Verfalls vom jüngsten Krieg stammen, oder alte Wunden zeigen. Ein Film, der weder Dokumentation ist noch politische Botschaft.

Cyprien Gaillard: "Nein, nein, da steckt keinerlei pazifistische Botschaft drin. Dafür ist das Ganze zu komplex. Sicher, es geht um die aktuelle Situation im Irak. Aber es geht mir mehr um die Spuren, die die Menschen hinterlassen haben, als um die Menschen selbst. Mich interessiert es, neue Zusammenhänge zu entdecken, zwischen alter Zivilisation und Moderne. Über die Zeiten hinweg. Also, es geht nicht so sehr um die Nostalgie des Verlustes."

Auch wenn ein gewisses Unbehagen bleibt, dass Gaillard das krisengeschüttelte Land als Bühne nutzt für seine Kunst, sein Film ist nie Effekt heischend. Vielmehr beeindruckt er mit seinem Blick fürs Detail und mit gekonnt aneinander geschnittenen Bildern. Eine aufwendige Arbeit, der gegenüber das Werk von Kitty Kraus fast spröde wirkt. Und doch - es wirkt.

Für die Ausstellung im Hamburger Bahnhof hat die 1976 in Heidelberg geborene Künstlerin kinetische Objekte aus Metallstangen und Einkaufswagengriffen entworfen. Hin- und herzuckende Pendel, um die eigene Achse rotierende Konstrukte als Metaphern für eine hektische, konsumorientierte Zeit. Ein leiser und doch nachdrücklicher Schlusspunkt dieser Kandidatenschau, die insgesamt überzeugt.

Denn selten gab es einen Jahrgang bei diesem Preis der Nationalgalerie, bei dem man jedem der Kandidaten, für sich betrachtet, etwas abgewinnen konnte. Und selten hinterließen die Einzelpositionen gemeinsam einen so starken Eindruck. Denn nach mancher Eventlastigkeit in den vergangenen Jahren und konzeptueller Gimmicks wirkt das meiste, das die jungen Künstler hier zeigen, ernsthaft durchdacht – und manchmal sogar hintergründig heiter.