Eine Ansammlung von Individuen

05.07.2012
Wenn der Name Worpswede fällt, denkt man sofort an bekannte Künstler wie Rainer Maria Rilke, Fritz Mackensen oder Paula Modersohn-Becker. Sie alle lebten in Worpswede und bildeten ab 1889 die wohl berühmteste Künstlerkolonie in der deutschen Kulturgeschichte. Jetzt hat die Göttinger Kunsthistorikerin Friederike Schmidt-Möbus ein Buch darüber geschrieben.
Worpswede bei Bremen - dem Namen haftet noch immer eine besondere Aura an: Man denkt an Rilkes Beschreibungen der weiten grauen Himmel über der Moorlandschaft und an viele ikonische Bilder der Künstlergruppe, die sich Ende des 19. Jahrhunderts hier ansiedelte und den losen kleinen Siedlungsverbund zu einem bedeutenden Ort der deutschen Kulturlandschaft machte.

Dieser Gruppe von Künstlern, hat nun die Kunsthistorikerin und Literaturwissenschaftlerin Friederike Schmidt-Möbus einen schönen kleinen Band gewidmet. Sie konzentriert sich dabei auf die sogenannte erste Generation um Fritz Mackensen, Otto Modersohn, Hans am Ende, Fritz Overbeck, Heinrich Vogeler, Carl Vinnen und Paula Modersohn-Becker, die ab 1889 die Künstlerkolonie Worspwede begründete, und bei dieser Generation wiederum auf die 20 ersten Jahre, in denen Worpswede zu Ruhm und Anerkennung gelangte. Die spätere, sehr unterschiedliche Entwicklung der Protagonisten, etwa Mackensens nationalsozialistische Karriere oder Vogelers Emigration in die Sowjetunion in den 1930er Jahren, bleibt außen vor.

Die Autorin beschreibt detailreich und mit vielen Originalzitaten, zum Teil aus bisher unveröffentlichten Tagebüchern und Briefen, das Zusammenkommen und das bald schon einsetzende Auseinanderdriften der Künstlerkolonie: Die teils abenteuerliche frühe Besiedlung des Ortes durch junge Künstler, die sich von der Düsseldorfer Kunstakademie kannten, ihre beengten Behausungen im Bauerndorf, der gemeinsame Impuls, im Freien zu malen (und manchmal auch da zu wohnen, wenn die Unterkünfte nicht ausreichten); die ersten Erfolge, die sich nach der Internationalen Kunstausstellung in München 1895 einstellten, den Zuwachs, den die Kolonie aufgrund des wachsenden Ruhmes der Künstler erfuhr, unter anderem auch an weiblichen Künstlerinnen, allen voran Paula Modersohn-Becker, die 1897 dazu stieß, und 1900 Otto Modersohn heiratete.

Auch die Bildhauerin Clara Westhoff und der Dichter Rainer Maria Rilke, dessen literarische Darstellungen des Künstlerortes entscheidend zum Bild von Worpswede beitrugen, wurden hier ein Paar und werden ausführlich gewürdigt. Oder Heinrich Vogelers Barkenhoff, eine Bauernkate, die der Künstler liebevoll zu einem Wohnhaus als Gesamtkunstwerk formte.

Der Band enthält Abbildungen einiger der bekanntesten Werke aus Worpswede, ist aber nicht als Kunstgeschichte angelegt. Schmidt-Möbus konzentriert sich eher auf die dichte Beschreibung biographisch-historischer und sozialer Verhältnisse. Dass die Künstlerkolonie zu kaum einem Zeitpunkt wirklich eine Gruppe genannt werden konnte, sondern immer eher eine Ansammlung von Individuen war, die in zum Teil nur sehr losen Verhältnissen zueinander standen, und dass das Etikett "Worpswede" bald schon eher Zwecken der Vermarktung diente, als dass es eine wirklich Gemeinschaft ausdrückte, zeigt die Autorin deutlich. Es ist darum vielleicht auch nicht verwunderlich, dass ihre Darstellung trotz vieler interessanter Details ein bisschen auseinander fällt und eher ein zerstreutes Panorama als ein konzentriertes Gesamtwerk bildet.

Besprochen von Catherine Newmark

Friederike Schmidt-Möbus: Worpswede. Leben in einer Künstlerkolonie
Reclam, Stuttgart 2012
298 Seiten, 22,95 Euro.
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