Ein Wild-West-Killer im Ruhestand

26.09.2011
"Deadwood" ist die Geschichte eines alten Revolverhelden, der sich in einer hochgefährlichen Goldgräberstadt zur Ruhe setzen will. Pete Dexter ist mit diesem Roman ein zynischer Anti-Western gelungen - und ein düsterer Blick in die Seele der amerikanischen Gesellschaft.
Deadwood gibt es tatsächlich. Die amerikanische Kleinstadt liegt in den Black Hills, auf dem Gebiet des heutigen South Dakota. 1874 war hier Gold gefunden worden, und schnell fand sich eine ganze Reihe von Trappern, Kopfgeldjägern und Revolverhelden ein. Unter ihnen war auch James Butler Hickock, besser bekannt als Wild Bill Hickock. Er hatte sich in Kansas und Nebraska einen Namen als lawman gemacht, als Killer im Auftrag des Gesetzes. "Ohne Frage hatte Gott ihn mit einer außergewöhnlichen Gabe bedacht", schreibt Pete Dexter in seinem Roman "Deadwood", "und Bill ging, wohin sie ihn führte".

Pete Dexter ist ein amerikanischer Schriftsteller und Drehbuchautor, Jahrgang 1943. In Deutschland ist er erst spät bekannt geworden. Seit einigen Jahren erscheinen seine Thriller aus den Achtzigern und frühen Neunzigern, zuletzt "God's Pocket". Jetzt ist endlich auch "Deadwood" übersetzt worden, ein historischer Roman, der im Amerika des Jahres 1876 spielt, unter Goldsuchern, Glücksrittern und gunmen. Einfach gesagt: Es handelt sich um einen Western – und damit um ein Genre, das in Deutschland leider nur als bedingt literaturfähig gilt. Rezipiert wird die nordamerikanische western fiction hierzulande höchstens in ihrer postmodernen Variante. Michael Ondaatje schmales Debüt "Die gesammelten Werke von Billy the Kid" oder Robert Coovers "Die Geisterstadt" sind Beispiele für ein smartes Spiel mit verblassten Film-Bildern.

"Deadwood" konzentriert sich dagegen zunächst einmal auf eine ganz einfache Geschichte: Es ist die Geschichte eines amerikanischen Revolverhelden, der sich ausgerechnet in der gefährlichsten Stadt seines Staates zur Ruhe setzen will. Er trinkt bereits zum Frühstück den ersten Gin and Bitters, spielt Poker um kleine Summen, und wenn er seinen Revolver zieht, dann nur, um einer Bulldogge zur Unterhaltung der übrigen Gäste ein Schnapsglas vom Kopf zu schießen: Wild Bill Hickock ist schon lange nicht mehr wild. Er hat sich eine "Bluterkrankung" zugezogen – vermutlich handelt es sich um Syphilis –, und auch die anderen Protagonisten, deren Aufenthalt in Deadwood tatsächlich historisch belegt ist, sind keine strahlenden Western-Helden, sondern ziemlich kaputte Typen: Calamity Jane ist eine vor Dreck starrende Zicke mit Alkoholproblem, der Kopfgeldjäger Daniel Boone May schleppt tagelang die sterblichen Überreste von Frank Towel in einem schmutzigen Sack mit sich herum, weil ihm niemand die versprochene Prämie zahlen will, und Seth Bullock, der sich zum Sheriff hat wählen lassen, verlässt sein Büro nur, um in einer von ihm gegründeten Ziegelsteinfabrik nach dem Rechten zu sehen.

Recht und Ordnung, das heißt in der Goldgräberstadt am Whitewood Creek Lynchjustiz und die Verteidigung von Kapitalinteressen, und wenn es einen Grund braucht, um diesen bis in das letzte Satzzeichen zynischen Anti-Western zu lesen, dann den, dass Pete Dexter mit "Deadwood" einen düsteren Blick in die Seele der amerikanischen Gesellschaft wirft. In den Siedlungen entlang der wild frontier wurden die Grundlagen für einen Staat gelegt, der sich heute, knapp 150 Jahre später, in der Rolle des globalen lawman gefällt und die politischen und moralischen Spielregeln für die ganze Welt festlegt.

Wild Bill auf jeden Fall hat keine Gerechtigkeit erfahren. Zwei Wochen nach seiner Ankunft in Deadwood schießt ihm ein ein geistig minderbemittelter Katzenhändler aus Cheyenne mit einem verrosteten Revolver in den Kopf. Der Mörder wird von dem Geschworenengericht der Stadt kurzerhand freigesprochen. Das Grab von James Butler Hickock, genannt Wild Bill Hickock, kann man in Deadwood angeblich noch heute besuchen.

Besprochen von Kolja Mensing

Pete Dexter: Deadwood
Aus dem Amerikanischen von Jürgen Bürger und Kathrin Bielfeld
Liebeskind Verlag, München 2011
447 Seiten, 22 Euro