Ein ökonomisches Desaster

26.06.2008
Die US-Regierung war davon ausgegangen, dass es ein schneller und kostengünstiger Krieg im Irak werden würde. Die Bush-Administration sprach von 50 Milliarden Dollar. Joseph Stiglitz und Linda J. Bilmes haben nachgerechnet und ziehen in ihrem Buch "Die wahren Kosten des Krieges" eine drastische Bilanz: Der Waffengang schlägt mittlerweile mit drei Billionen Dollar zu Buche.
Vielleicht muss einer Buchhalter sein, um den ganzen Irrsinn des Irak-Kriegs darstellen zu können. Vielleicht braucht es so einen nüchtern kalkulierenden Geist, wo politische Argumente und Appelle an die Menschlichkeit wenig bewirken. Der US-Ökonom Joseph Stiglitz ist (gemeinsam mit seiner Co-Autorin, Harvard-Professorin Linda Bilmes) in diese Buchhalter-Rolle hineingeschlüpft.

Stiglitz, Jahrgang 1943, gilt als Star seiner Zunft. Er war Professor in Yale, Princeton, Oxford und Stanford, Berater der Clinton-Regierung und (1997-2000) Chefvolkswirt bei der Weltbank. Heute lehrt er an der Columbia University in New York. 2001 bekam Stiglitz (mit zwei Kollegen) den Nobelpreis für Wirtschaft. Seine Studien über die Schatten und Chancen der Globalisierung sind Bestseller. Für "Die Zeit" ist er schlicht "der kreativste und einflussreichste Wirtschaftswissenschaftler" der Gegenwart.

Eine staatsferne, gar regimekritische Haltung wird man einem Experten mit dieser Biographie nicht unterstellen. Stiglitz ist ein Mann des Systems. Desto schwerer wiegt, was er und Frau Bilmes über das Versagen von Staat und System zu sagen haben. Knapp und klar: Der Irak-Krieg war und ist "ein schrecklicher Fehler". Der Einmarsch der US-Truppen im März 2003 – Resultat falscher Prämissen. Die Belastungen für die Weltwirtschaft (etwa durch Explosion der Ölpreise) – noch nicht abzuschätzen. Das Kriegsziel (Aufbau einer Demokratie im Irak) – heute unerreichbar fern. Und, schlimmer noch: Das Land wurde "Magnet für alle Arten von Terroristen", die ganze Region instabil. "Der Hass auf die Vereinigten Staaten lässt sich im Nahen Osten mit Händen greifen."

In ihrem Buch konzentrieren sich Stiglitz und Bilmes auf die Folgen des Waffengangs für die USA. Da ist zum einen der "Blutzoll": 4000 Soldaten gefallen, 59.000 verwundet, 100.000 psychisch gestört. Und da sind die finanziellen Folgen. Es sollte ein schneller, ein kostengünstiger Krieg werden. Die Regierung sprach einst von 50 Milliarden Dollar. Kapitel um Kapitel addieren Stiglitz und Bilmes nun die "wahren Kosten". Sie kommen auf drei Billionen Dollar (unfassbar: eine drei mit zwölf Nullen), das Sechzigfache der offiziellen Schätzung. (Mit dieser Rechnung avanciert das Irak-Desaster zum zweitteuersten Krieg der USA, nach dem Zweiten Weltkrieg). Wie kommt die Differenz zustande? Schuld sei die Verschleierungstaktik der Führung, seien mangelhafte Haushaltspläne und irreführende Buchführungssysteme. Und was macht den Konflikt so teuer? Etwa die "Auslagerung" des Kriegsgeschäfts an private Firmen. Sowie der stetige, noch Jahrzehnte fließende Geldstrom für invalide US-Veteranen und für den Aufbau einer zerstörten Region – zwei gigantische Kostenfaktoren, die von den Kriegstreibern unterschlagen werden. Auf Generationen hinaus sind Staat und Gesellschaft belastet.

"Die Frage lautet nicht, ob sich die USA drei Billionen Dollar leisten können. Das können sie." Die entscheidende Frage sei, sagen die Autoren: "Was hätten wir mit einer, zwei oder drei Billionen Dollar tun können?" Nun, zum Beispiel: Die US-Konjunktur ankurbeln und die Immobilienkrise vermeiden. Neue Energien fördern, um die Abhängigkeit von den Öl-Ländern zu verringern. Das marode Rentensystem sanieren. Millionenfach Wohnungen, Stipendien, Lehrergehälter finanzieren. Einen Marshallplan für den Nahen Osten realisieren, "mit dessen Hilfe es vielleicht gelungen wäre, die Herzen und Köpfe der Menschen dort zu gewinnen". Oder: Milliarden Menschen der Dritten Welt aus der Armut holen. "Die Vereinigten Staaten unterstützen heute Afrika, den ärmsten Kontinent, mit etwa fünf Milliarden Dollar jährlich: Diese Summe liegt unter den Kosten von zehn Kampftagen."

Stiglitz und Bilmes haben eine provokante Studie vorgelegt, eine Streitschrift. Das Buch ist gut lesbar, streckenweise allerdings arg detaillastig. Bisweilen verirren sich die Autoren im Dschungel ihrer Zahlenspiele. Und, trotz aller Kritik an Bush & Co.: Am Ende des Werks zeigen sich die Professoren als Patrioten. Mit einer Liste von Reformvorschlägen, gerichtet an künftige US-Regenten, kommen sie zu einem für deutsche Leser verblüffenden Schluss. Kriege unter Beteiligung der Supermacht sollten in Zukunft, nein, nicht verhindert, sondern effizienter und transparenter geführt werden.

Rezensiert von Uwe Stolzmann

Joseph Stiglitz, Linda J. Bilmes: Die wahren Kosten des Krieges. Wirtschaftliche und politische Folgen des Irak-Konflikts
Aus dem amerikanischen Englisch von Thorsten Schmidt
Pantheon Verlag, München 2008
304 Seiten, 16,95 Euro