Ein Film über die Rettung

Regisseurin Annette K. Olesen im Gespräch mit Holger Hettinger · 06.02.2009
Nach Tom Tykwers "International" und der "Vorleserin" feiert nun der Film "Little Soldier" von Anette K. Olesen Premiere auf der Berlinale. Die dänische Regisseurin erzählt darin die Geschichte von Lotte, einer jungen Soldatin, die im Irak stationiert war und nun versucht, trotz Trauma wieder in Dänemark Fuß zu fassen.
Holger Hettinger: Der Wettbewerb bei der Berlinale nimmt Fahrt auf. Nach Tom Tykwers "International" und der "Vorleserin" von Stephen Daldry hatte nun der Film "Little Soldier" von Anette K. Olesen Premiere. Die dänische Regisseurin erzählt darin die Geschichte von Lotte, einer jungen Soldatin, die im Irak stationiert war als Angehörige der dänischen Armee.

Nach diesem Einsatz kehrt sie zurück nach Dänemark - aber sie kommt nicht wirklich an, ist überfordert mit ihrem Leben: Zu groß sind die Wunden, die ihre Erlebnisse an der Front gerissen haben. Eher aus Verlegenheit nimmt sie einen Job an, den ihr Vater ihr anbietet: Lotte arbeitet als Fahrerin von Lily, der nigerianischen Lieblings-Prostituierten ihres Vaters. Die Frauen fremdeln zunächst, aber kommen sich dann doch näher - und helfen einander, ihre Traumata zu verarbeiten. Hier im Berlinale-Studio von Deutschlandradio Kultur begrüße ich nun die Regisseurin des Films, Annette K. Olesen.

Frau Olesen, das Thema Kriegsheimkehrer aus dem Irak hätte ich in Amerika vermutet, aber niemals in Dänemark. Wie virulent ist das Thema in Ihrer dänischen Heimat?

Annette K. Olesen: Das ist sehr wichtig. Sie müssen wissen, dass sich Dänemark von Beginn an am Irak-Krieg beteiligt hat, an der Seite der Amerikaner. Derzeit sind dänische Soldaten in Afghanistan stationiert. Und so machen wir in Dänemark zum ersten Mal seit langer Zeit in der Geschichte unseres Landes die Erfahrung, dass wir eine Nation sind, die sich im Krieg befindet. Und zwar so richtig Krieg - nicht nur Friedenseinsätze im Auftrag der Vereinten Nationen.

Für viele Menschen in Dänemark ist das dramatisch, es fällt ihnen schwer, damit umzugehen. Man kann sagen, dass es ein Tabu ist bei uns. Und dementsprechend wird totgeschwiegen, dass es in Dänemark Menschen gibt, die zutiefst traumatisiert aus dem Krieg zurückkommen, die das alles sehr mitgenommen hat.

Hettinger: Ihr Film kreist um sehr viele verschiedenartige Themen: das Verhältnis zwischen Vater und Tochter, die seelischen Verletzungen von Kriegsheimkehrern, Armut, aus der Prostitution erwächst, die Suche nach Identität und Selbständigkeit.

Dennoch hatte ich nie das Gefühl, der Film ist überfrachtet. Wie haben Sie den Spagat geschafft zwischen Themenfülle und Leichtigkeit?

Olesen: Ich bin sehr froh, dass Sie den Eindruck haben, die Themen kommen einander nicht in die Quere. Das war nämlich unsere Hauptsorge, als wir die Geschichte geschrieben haben. Wir waren uns der Gefahr bewusst, zu viele große Themen in einen einzigen Film zu packen. Aber wir versuchen bei jedem unserer Projekte, so etwas wie ein Leitthema herauszuarbeiten.

Ich habe mich mit dem Drehbuchautor und dem Produzenten zusammengesetzt, und wir haben uns gefragt: Was hat eine Soldatin mit einer Prostituierten zu tun? Mit einem Vater, der ein Depp ist, und seine Tochter nicht versteht? Das sind für sich alleine genommen schon sehr starke Themen. Wir haben das sehr intensiv besprochen, und irgendwann war uns klar: Es gibt ein Leitthema. Und dieses Thema ist: Rettung.

Als uns das klar wurde, war alles andere einfach. Ein Soldat ist - zumindest in einer sehr idealisierten Sichtweise - jemand, der Menschen retten und beschützen soll - jedenfalls wird ihm das gesagt. Die nigerianische Prostituierte rettet ihr Kind und ihre Familie vor der Verelendung, indem Sie ihre Heimat verlässt und in der Ferne Geld verdient. Und auch der Vater ist ein Retter - jedenfalls glaubt er selbst, einer zu sein.

Er will mit seinen bescheidenen Mitteln seiner Tochter helfen, die verzweifelt ist und seelisch zerstört, als sie aus dem Krieg zurückkommt. Und der Vater denkt auch - und das habe ich im Film bewusst kontrovers angelegt -, dass er der Prostituierten Lily hilft, indem er ihr die Möglichkeit gibt, Geld zu verdienen, das sie dann an ihre Familie in Nigeria schickt.

Das Motiv der Rettung ist also das, was diese ganzen Konstellationen verbindet. Und im Lauf der Geschichte ist es Lotte, die Soldatin, die sich dafür entscheidet, die Prostituierte Lily vor dem Vater zu retten. Doch dann macht Lotte die Erfahrung, dass Lily gar nicht gerettet werden will. Wir haben also ein zentrales Thema umkreist, es auf ganz viele Arten gespiegelt, fast schon in einer kaleidoskopartigen Weise.

Hettinger: Besonders bemerkenswert fand ich den Kontrast zwischen diesen ganz gewöhnlichen, für deutsche Augen hochgradig idyllischen Wohnhaussiedlungen und der afrikanischen Prostituierten, die anschaffen geht, um ihr kleines Kind in Nigeria finanziell zu unterstützen. Ist das erfunden, oder hat das einen realen Hintergrund?

Olesen: Nein, wir forschen schon sehr genau nach, wenn wir eine Geschichte schreiben, wir haben uns schon sehr genau mit dieser Form der Prostitution befasst. Am Anfang sind wir davon ausgegangen, wir stoßen auf Hunderte von Frauen, die in irgendeinem Keller an der Heizung angekettet sind, und die von den Zuhältern tagtäglich verprügelt werden.

Aber die Realität war dann ganz anders - die meisten Frauen, die aus Afrika hierher kommen, wissen recht genau, was sie hier in Dänemark erwartet. Sie verstehen sich als Geschäftsfrauen, die sich bewusst dafür entschieden haben, ihre Heimat zu verlassen und in der Ferne Geld für ihre Familien zu verdienen. Das haben wir uns ganz anders vorgestellt. Natürlich ist das auch ein Statement, dass diese Form der Prostitution in diesen netten, aufgeräumten dänischen Wohnvierteln stattfindet.

Selbst hier, wo alles so idyllisch aussieht, ist die harte soziale und politische Realität der Welt angekommen - weil die Welt kleiner wird. Von den sozialen und politischen Problemen Afrikas erfährt man kaum etwas in unseren Nachrichten. Aber man kann die Augen nicht davor verschließen - denn die Probleme sind in unseren Vorgärten, sind in unserer unmittelbaren Nachbarschaft angekommen. Das ist ein wichtiges Thema für unsere westliche Wohlstandswelt, und wir müssen damit umgehen lernen.

Hettinger: Es geht also - zusätzlich - auch noch um Globalisierung?

Olesen: Ich denke ja. Es geht uns in erster Linie nicht um den politischen Aspekt beim Filmemachen - wir wollen Geschichten erzählen von Menschen und ihren Schicksalen, ihren Gefühlen. Aber natürlich handelt der Film auch von der Globalisierung - Lotte war in einem Krieg, weit weg von ihrer Heimat, und Lily kommt aus Nigeria nach Dänemark. Und so fokussiert sich in diesem Film die weite Welt in einem kleinen Vorort von Kopenhagen. Alle Figuren vereinen die Realitäten der unterschiedlichsten Welten.

Hettinger: Die Szene, die bei mir den stärksten Eindruck hinterlassen hat, war die, wo Lily und Lotte gemeinsam in einem Bett übernachten, und es dann irgendwann aus Lotte herausbricht. Da habe ich mich - in Erinnerung des Titels "Little Soldier" - gefragt: Wer von beiden ist denn hier der Soldat?

Olesen: Schön, dass Sie das fragen - denn ich finde, die Beziehung zwischen den beiden Frauen ist sehr schön und sehr intensiv. Es verbindet sie nicht nur eine Freundschaft - sondern auch der Umstand, dass sie in derselben Situation sind. Sie haben beide ihren Körper verkauft, um Gutes zu tun. Und auch wenn es nicht ausgesprochen wird im Film: In diesem Moment erkennen sie genau das. Dass sie ihre Köper und ihre Leben aufs Spiel gesetzt haben, um etwas zu tun, was aus ihrer Perspektive wichtig erscheint.

Lotte ist damit gescheitert - doch Lily glaubt immer noch an ihre Bestimmung. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ja, sie sind beide "little soldiers". Außerdem war es für mich sehr interessant, mit der Darstellung des weiblichen Selbstverständnisses zu arbeiten - und zwar in dem Sinn, dass die Soldatin Lotte so überaus maskulin wirkt, ihre weibliche Seite und ihre Sexualität komplett weggesperrt hat. Lily ist das genaue Gegenteil: Sie stellt ihre Sexualität aus, sie verkauft sie. Für mich als Frau war es eine wundervolle Erfahrung, mit diesen beiden fantastischen Schauspielerinnen zu drehen, und zwar, ohne viele Worte zu verlieren, mit diesen beiden Frauentypen zu arbeiten.