Ein derbes und blutiges Kaspertheater

Rezensiert von Bernhard Doppler · 07.06.2007
Louis-Ferdinand Celine beschreibt in seinem Roman "Norden" die Flucht eines französischen Kollaborateurs. Frank Castorf hat den Roman als Vorlage genutzt und daraus ein schrilles Schauspiel bei den Wiener Festwochen gemacht.
Ein Roman, in einem wilden Stakkato über das Ende des Zweiten Weltkrieges, was bricht da alles beim Autor heraus?

Es ist zunächst einfach ein autobiographischer Roman. Celine beschreibt seine Flucht als Kollaborateur in den letzten Tagen des dritten Reichs durch Nazideutschland über Baden-Baden, Berlin, wo er einen Nazibozen trifft, der ihn dann in der Mark Brandenburg unterbringt. Er floh nach Dänemark, wurde dann in Abwesenheit in Frankreich verurteilt - ihm wurden die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt – aber in Dänemark wurde er nicht ausgeliefert. Das ist der Hintergrund dieses sarkastischen Romans voller schwarzen Humors.

Benn nannte es die Sprache eines "Kotzers". Wie ist das, wenn man dies auf der Bühne sieht?

Castorf nennt seine Bearbeitung eine Grandgouinolade, also ein derbes blutiges Kaspertheater. Er hat nicht die Stationen der Autobiographie bebildert, es gibt für Celine – aber auch für andere Personen – verschiedene Schauspieler, sondern er hat den Roman choreographiert: schrill, derb, meist im hysterischen Schreiton – und das dreieinhalb Stunden lang!

Kann man dabei den Inhalt nachvollziehen?

Wenn man zur Vorbereitung den Roman gelesen hat, wohl schon, wenn nicht, dann wäre ich skeptisch. Denn manchmal ist das schrille Schreien der Personen über weite Strecken unverständlich, wohl deshalb haben auch einige Zuschauer die Vorstellung verlassen. Auf der Bühne (Bert Neumann) steht ein großer Eisenbahn-Waggon, in dem man wohnt, tanzt, Orgien feiert, Kriegsbeute aufbewahrt – ein schönes Bild für die letzten Tage des Dritten Reichs – andererseits kann man den Waggon auch als Theaterwagen sehen, fast wie bei Fellini, wenngleich nicht so sentimental. Theater und Theatralik sind ja auch Thema: Celine geht zusammen mit einer Katze, seiner Frau, einer Balletttänzerin und einem Schauspieler durch Deutschland. Dieser Schauspieler ist ein in Frankreich berühmter Christusdarsteller gewesen, seine Erinnerungen an seine Tätigkeit als Schauspieler werden öfter behandelt.

Wie haben das die Schauspieler in den Griff bekommen?

Die waren sehr erleichtert, als es nach dreieinhalb Stunden höchster Anstrengung viel freundlichen Beifall gab, solange in einem forcierten lauten Ton durchzuhalten, und dabei so agil über die Bühne zu tanzen, ist schon allein eine große, auch körperliche Leistung (zu nennen zum Beispiel: Milan Peschl und Bernhard Schütz), eine Anstrengung freilich auch für die Ohren der Zuschauer. Übrigens wurden von den Festwochen, um Hörschäden vor allem bei den Schießereien zu vermeiden, Ohrenstöpsel ausgegeben. Aber das hat nicht funktioniert: Entweder leuchtete das Warnlicht zu spät, um rechtzeitig die Ohrenstöpsel einzustopfen, oder das rote Licht ging so früh auf, dass man zehn Minuten Dialog verpasste. Auch insofern: Die Ohrenstöpsel nützten nichts, der Abend ging auch mit ihnen unter die Ohren. Ein Spektakel. Die Stunde Null, oder die Minuten vor der Stunde Null als sehr inkorretes Kaspertheater von einem Autor, der nicht auf der "richtigen" Seite gestanden ist, um über 1945 zu berichten, der aber doch sehr sarkastisch und scharfsinnig berichtet hat.

Insgesamt ein Erfolg für Castorf?

Die Reaktionen waren gegensätzlich. Einige Leute haben diese Art von Theater nicht durchgehalten, andererseits gab es auch sehr freundlichen Beifall. Castorf hat sich seit einigen Jahren in Wien – vielleicht sogar mehr noch als in Berlin – eine Gemeinde sc

Nord
Von Louis-Ferdinand Celine
Regie und Bearbeitung: Frank Castorf
Wiener Festwochen