Ein Cineast als Jury-Vorsitzender

Von Christian Geuenich · 10.02.2009
Der 36-jährige Regisseur Matthias Luthardt ist der Präsident der Jury in der Berlinale-Sektion "Perspektive Deutsches Kino". Insgesamt zwölf Filme werden in dieser Reihe gezeigt. Zusammen mit sieben jungen deutschen und französischen Filmliebhabern entscheidet er über die Preisvergabe.
Während die Menschen aus dem Saal eines Kinos am Potsdamer Platz strömen, versammelt sich eine siebenköpfige Gruppe junger Menschen um einen schmalen 36-jährigen in schwarzem Mantel und Sneakers.

Miriam Leonardi: "Wollen wir nicht erst mal aus dem ganzen Trubel raus hier?"
Émilien Médail: "Maintenant? Okay, on y va!"
Matthias Luthardt: "Sollen wir mal rüber in den Jury-Besprechungsraum?"

Sagt der Mann mit den dunkelbraunen Haaren, Seitenscheitel und Dreitagebart: Matthias Luthardt - Filmemacher und Jury-Präsident.

"Präsident klingt natürlich toll (lacht) aber es ist eine große Ehr, überhaupt gefragt zu werden, dass man mir das Vertrauen entgegen bringt, in dieser Position einen Preis zu vergeben, über den ich mich sehr freuen würde als Macher","

erklärt Matthias Luthardt und erinnert sich daran, wie sehr er sich vor zwei Jahren in Cannes über den Preis der jungen Filmkritik für seinen Debütfilm "Pingpong" gefreut hat. Dass der Preis der Perspektive nicht von einer Jury aus Filmemachern vergeben wird, sondern von jungen Cineasten, macht die Auszeichnung für ihn umso wertvoller.

""Weil es keine tendenziösen Meinungen gibt. Es gibt keine geheimen Seilschaften und Sympathien, es sind Leute, die gucken wie ein 'Normalzuschauer' auf die Filme. Und das ist ja letztendlich das, wofür wir die Filme machen, für das Publikum. Und das macht es spannend."

Dass Luthardt für den Vorsitz der deutsch-französischen Jury ausgewählt wurde, hat sicherlich auch mit seinem frankophilen Werdegang zu tun. In Frankreich hat er mit Anfang 20 seine Liebe zum Kino entdeckt und zum ersten Mal richtig Filme geguckt. Damals hatte er gerade sein Studium der Germanistik, Romanistik und Rhetorik in Tübingen begonnen und ging für ein halbes Jahr nach Lyon, um französisch zu lernen.

"Und bin dann als Cineast zurückgekommen nach Deutschland und habe in Deutschland viele französische Filme gesehen. Ich habe für ein französisches Filmfestival gearbeitet in Tübingen. Und als ich in Frankreich war, habe ich so ein paar deutsche Filme gesehen, die ich gar nicht kannte - also die frühen Wenders-Filme und Fassbinder, da gab es dann die Gelegenheit, die im Kino zu sehen."

Matthias Luthardt ist in Leiden in Südholland geboren und aufgewachsen. Sein Vater arbeitet dort als Chemiker, die Mutter als Chemotechnikerin. Zu Hause spricht er deutsch, in der Schule holländisch. Nach der ersten Klasse zieht die Familie in die Nähe von Waiblingen, nach Neustadt - ein Ort ohne Kino.

"Der erste Film nach Bambi war 'Die Supernasen' mit Thomas Gottschalk und Mike Krüger (lacht). Und dann dachte ich, okay, Kino heißt wahrscheinlich Unterhaltung auf dem Niveau, und das hat mich dann nicht besonders interessiert.

Und als ich dann in Frankreich war, habe ich gesehen, da wird Kino, auch das Autorenkino, richtig gefeiert und kultiviert, und es gibt Reihen zu bestimmten Regisseuren. Und ich wurde dann neugierig."

Bis er allerdings tatsächlich selber Filmregisseur wird, dauert es eine Weile. Bis zum Abitur möchte er noch Berufscellist werden, spielt lange in einem Jugendorchester in Hamburg, wo die Familie hinzieht, als er 15 ist. Irgendwie hätten aber wohl doch Talent und Disziplin nicht ausgereicht, sagt Matthias Luthardt lachend. Dann beginnt er ein Germanistik-Studium in Tübingen, um das richtige Studentenleben zu erfahren.

"Ich wollte journalistisch arbeiten und hatte eine etwas romantische Vorstellung von diesem Beruf, was ein Journalist so macht. Also, ich wollte rumreisen und darüber schreiben, wollte eigentlich Reiseschriftsteller oder Reisejournalist werden."

Aber das Kino und die Liebe zum Film, wie er sie in Frankreich entdeckt hat, lässt ihn nicht mehr los. Er begeistert sich für die "nouvelle vague" und das europäische Autorenkino und möchte selbst Filme machen. Mit 27 Jahren wird er an der Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" in Potsdam-Babelsberg angenommen.

Sein Diplomfilm "Pingpong" über einen Jugendlichen, der seinen Vater verloren hat und die scheinbar intakte Familie seiner Verwandten durcheinander bringt, wird von der Kritik gefeiert und bekommt zahlreiche Preise.

Matthias Luthardts Filme sind nüchterne Beobachtungen von präzise gezeichneten Figuren. Ihn interessieren psychologische Themen, Studien über die Verhaltensweisen von Menschen in Extremsituationen.

"Wenn ich jetzt die beiden Filme anschaue, die ich gemacht habe, dann geht es ja in beiden Filmen um traumatisierte Figuren, und was macht so ein Trauma mit einem Menschen. In meinem letzten Film, 'Der Tag, an dem ich meinen toten Mann traf': Was passiert, wenn eine Frau eine Hiobsbotschaft kriegt, dass ihr Mann vermutlich tot ist, wenn sie aber das nicht wahrhaben will? Warum will sie es nicht wahrhaben, und was passiert, wenn sie ganz fest davon ausgeht, dass er wiederkommt?"

Auch der nächste Film von Matthias Luthardt wird von einer traumatisierten Figur handeln - von einem jungen Deutschen, der nach Halt im Leben sucht und zum Glaubenseiferer wird.

Seine Filmleidenschaft lässt den Regisseur auch privat nicht los. Er ist dann froh, wenn er jeden Montagabend beim Training mit der Fußball-Autorennationalmannschaft (www.autonama.de) aus Schriftstellern, Dramatikern und Journalisten abschalten kann. Das gelingt ihm sonst nur beim Cellospielen.

""Ich würde gerne regelmäßig Kammermusik machen, auch weil es mich wegführt von dem permanenten Nachdenken über Filmstoffe - und was könnte man noch, und wäre das nicht auch eine spannende Geschichte? Und dem muss ich nachgehen, und den Film muss ich auch noch sehen, und alle reden von dem Film, und ich habe den noch nicht gesehen.

Und all diese Fragen aus dem Kopf zu kriegen, das schaffe ich beim Fußball, und wenn ich Cello spiele."