Ein Buch mit nur einem Gedicht

24.01.2008
Der neueste Band des Dichters Ulf Stolterfoht "holzrauch über heslach" beinhaltet ein einziges langes Gedicht. Heslach ist der Name einer Arbeitersiedlung in Stuttgart, die regelmäßig von den Geruchsschwaden der "Stuttgarter Hofbräu" heimgesucht wird. Vor allem der "Gaststätte Notter" schenkt Stolterfoht eine frenetisch anmutende Hymne.
Der Dichter Ulf Stolterfoht hat sich sein eigenes Metrum erschaffen, konsequent seit seiner ersten Veröffentlichung sieht es so aus: ein langer, in wilden, unberechenbaren Rhythmen voranschreitender Sechszeiler, der eine ungeahnte Sogwirkung entfalten kann. Jede Zeile meist mit einem Break in der Mitte, markiert durch einen Punkt. "Break" muss man hier tatsächlich sagen, denn dieser Begriff stammt aus der Musikersprache, in die der 1963 geborene Stolterfoht hineingewachsen ist: die Sprache des Jazz, der freien Improvisation, der ihre engeren Grenzen sprengenden Rock- und Popmusik natürlich auch.

"holzrauch über heslach" heißt sein neuester Band, er wurde jetzt mit dem Peter Huchel-Preis ausgezeichnet. Heslach ist ein Teil von Stuttgart, der sich dem bürgerlich-soignierten Ambiente dieser Stadt schon immer so weit wie möglich entzogen hat: eine Arbeitersiedlung, die regelmäßig von den Geruchsschwaden der "Stuttgarter Hofbräu" heimgesucht wird. In "holzrauch über heslach" tauchen immer wieder Fragmente aus früheren Epochen auf, über das 18. Jahrhundert bis ins Mittelalter, autobiografischen Zuordnungen konsequent entrückt. Und dennoch schmuggelt sich dann und wann ein charakteristisches Zeitgefühl hinein, wie unversehens: für "weiße schulverweigerer" gab es "nur lyrik und improvisierte musik, um dem ghetto zu entkommen".

Stolterfoht hat sich früh in verschiedene Fachsprachen eingearbeitet, in Psychiatrie oder Geologie etwa, er versenkte sich in Schriften wie "Der kleine Radiotechniker" oder Anweisungen zur Schweinezucht aus volkseigenen Betrieben der DDR. Also deklarierte er seine Lyrik ebenfalls als Fachsprache. Seine ersten Gedichtbände tragen alle den Titel "fachsprachen" – 27 Abschnitte, unterteilt in drei Bücher.

Durchdrungen von Sprachtheorie thematisiert sich die Sprache immer wieder selbst, einmal gibt sich der Text den Imperativ: "arbeit am wortschatz. liebevolles eindringen in den sprachleib". "holzrauch über heslach" überrascht daher durch den unverkennbar autobiografischen Stoff. "reste von biographie: da find man dich nie" verkündet er gleich anfangs programmatisch. Das Geschehen rings um den Ochsenplatz verdichtet sich allerdings immer wieder. Da gibt es etwa den Gegensatz zu den unerreichbaren Vaihingern oben auf dem Berg: diesseits wirbt "radio-sattler" noch selbstbewusst mit dem Spruch "alles außer soul", den "zentralen dogmata geschuldet: weiß, schwäbisch, pietistisch, hetero". Jenseits jedoch, nicht zuletzt wegen der amerikanischen Kasernen, "standen illinois-massai, gurkha-regimenter".

Allein die Namen der Wirtshäuser! Vor allem der "Gaststätte Notter" schenkt Stolterfoht eine frenetisch anmutende Hymne. Dennoch besteht dieser Text vor allem aus anderen Texten, von der titelgebenden Heißenbüttel-Zeile bis zu einer rhythmischen Verneigung vor dem legendären "Ostend-Roman" von Manfred Esser aus den 70er Jahren. Stolterfoht hat die damalige "Stuttgarter Schule" von Max Bense nun endlich literarisch nobilitiert.

Rezensiert von Helmut Böttiger

Ulf Stolterfoht: holzrauch über heslach. Gedicht.
Urs Engeler Editor, Weil am Rhein/Basel. 124 Seiten, 19 €.