Ein bitterböses Buch

01.07.2013
Der zweite Roman der schwedischen Autorin Anneli Jordahl "Ein Sommer in Augustenbad" beginnt als luzider Sommertraum und endet als Anklage an die Klassengesellschaft des 19. Jahrhunderts.
Gäbe es die Gattung des Kurort-Romans, "Ein Sommer im Augustenbad" wäre ganz vorne dabei. Ein zarter Hauch von Zauberberg weht durch Augustenbad, die Protagonisten wandeln durch den Park, sitzen im Lusthäuschen und huschen in weiten Gewändern von Bad zu Bad. Damit vertreiben sie sich die Zeit, die Gäste des beschaulichen schwedischen Kurorts Augustenbad im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts.

Anzutreffen sind: ein verrückter Reformarzt, der alle möglichen Krankheiten mit kalten Wasser heilen will. Eine geheimnisvolle, an Syphilis erkrankte Frau namens Amanda, die gespenstergleich nur nachts erscheint. Eine sensible Badefrau und ihre schöne Tochter Maria, die so gerne studieren würde, aber als Büglerin arbeiten muss. Und schließlich: Der Kurgast aus der 1. Klasse, Andreas Öman. Ein Dandy und Lebemann, ein Dichter aus Stockholm.

Anneli Jordahl verhandelt in ihrem zweiten Roman Reformbewegungen, Frauenrechte, die stärker werdende Arbeiterbewegung. Schon ihr Debütroman handelte von der schwedischen Frauenrechtlerin Ellen Key. Umso erstaunlicher ist es, dass sie nun die Perspektive des Dandys Andreas wählt. Zwar wird seine Erzählperspektive durch kleine Einblicke in das Tagebuch der schwerkranken Amanda und einen kurzen Perspektivwechsel zur schönen Büglerin Maria hin relativiert, im Großen und Ganzen bleibt es aber bei Andreas’ Sicht der Dinge. Gerade dadurch offenbart sich jedoch die Grausamkeit der Erzählung, die so sanft daher kommt.

Andreas wurde von seiner Frau nach Augustenbad gezwungen, um dort sein Alkoholproblem in den Griff zu bekommen. Er leidet, wehrt sich, findet die Methoden des Kurarztes entsetzlich. Aber Andreas muss. Denn er kommt zwar daher wie ein feiner Mann, ist aber in Wirklichkeit selbst eine prekäre Existenz. Er ist vom Reichtum seiner Frau und Schwiegereltern abhängig und war selbst ein uneheliches Kind aus einfachen Verhältnissen. Den Arbeitern des Kurhauses und den Patienten aus der 2. Klasse ist er ähnlicher als es auf den ersten Blick scheint. Und dichten kann er, wie sich schnell herausstellt, auch nicht sonderlich gut.

Auf seinen nächtlichen Wanderungen begegnet er Amanda und fühlt sich zu ihr hingezogen. Ebenso ist er von der Schönheit der jungen Büglerin Maria angetan. In der Mittsommernacht kommt es zum Eklat. Andreas betrinkt sich und schläft erst mit der minderjährigen Maria, dann mit Amanda.

Maria wird schwanger und stirbt an den Folgen einer selbst durchgeführten Abtreibung. Andreas bleibt davon seltsam unbehelligt. Auch dass er selbst an Syphilis erkranken wird, ist nur eine logische Konsequenz der Ereignisse und scheint ihn nicht sonderlich zu berühren.

"Ein Sommer im Augustenbad" ist eine ironische Hommage an den Roman der Jahrhundertwende. Ein Roman von 2011, der so tut als wäre er von 1890 – das wirkt erst einmal befremdlich. Anneli Jordahl beherrscht diesen historisierenden Stil. Die Betulichkeit des Kurorts, der unreflektierte Held – all das erscheint in der ersten Hälfte des Romans ungebrochen, löst sich aber nach und nach in sanfter Ironie auf.

Als herrlich leichte, nostalgische Lektüre mit Tiefgang bewirbt der Insel Verlag das Buch. Ein Sommerbuch ist es durchaus, allerdings ein bitterböses. Nach Augustenbad sehnt sich niemand zurück.

Besprochen von Anna Mayrhauser

Anneli Jordahl: Ein Sommer in Augustenbad
Aus dem Schwedischen von Nina Hoyer
Suhrkamp Insel, Berlin 2013
286 Seiten, 18,95 Euro