Ein Architekten-Rundgang

Wie die Krise das Stadtbild von Athen verändert

Geschlossene Geschäfte mit Graffiti in den Einkaufsarkaden
Geschlossene Geschäfte mit Graffiti in den Einkaufsarkaden © Rodothea Seralidou
Von Rodothea Seralidou · 23.09.2015
Was macht die Krise aus einer Stadt? Kann man sie im Stadtbild erkennen? Wie prägt sie Straßen, Häuser, Menschen? Wir haben die junge Architektin Elina Axioti bei einem Spaziergang durch Athen begleitet.
Ein ganz normaler Wochentag am Athener Syntagma-Platz: Menschen jeden Alters strömen aus der Metrohaltestelle. Ein alter Mann spielt Mundharmonika; ein paar Meter weiter fahren ein paar Jugendliche Skateboard. Die 34-jährige Architektin Elina Axioti steht vor dem Eingang der Metro. Sie schaut sich um:
"Der Syntagma-Platz ist ein sehr zentraler Punkt in der Stadt. Er ist direkt vor dem Parlament. Und er ist zum Symbol der Krise geworden; der Platz hat die Reaktionen auf die Sparmaßnahmen visualisiert. Er steht für den Widerstand der Stadt und der Menschen, die sich hier auf den Demos versammeln."
Hier, am Syntagma-Platz, entstand die Protestbewegung der Empörten, die Bilder mit den Krawallen zwischen den aufgebrachten Demonstranten und der Polizei gingen um die Welt.
Elina Axioti hatte diese turbulente Zeit hautnah miterlebt. Ihr damaliges Büro lag nur wenige Gehminuten vom Syntagma-Platz entfernt:
"Nach 2009 gab es oft Momente, da veränderte sich die Innenstadt von Grund auf. Die Stadt ist eine Plattform, die die jeweilige Situation aufsaugt. Ich werde nie das Bild von der menschenleeren Innenstadt vergessen; die Polizei sperrte die Straßen für den Verkehr und man wartete regelrecht darauf, das etwas passiert. Das Stadtzentrum wird in solchen Situationen von der übrigen Stadt abgeschirmt, das Leben hört plötzlich auf und dann füllen sich die Straßen mit Menschen."
Im Moment lebt Elina Axioti zwischen Athen und Berlin. Dort promoviert sie an der Humboldt-Universität. Der Wandel der griechischen Hauptstadt fasziniert die junge Architektin.
Die Einkaufsarkaden - typisch für Athen - stehen leer
Wir gehen die Ermou-Straße entlang, die bekannteste Athener Einkaufsstraße, und biegen in eine der zahlreichen Gassen ab. Das Stadtbild verändert sich: Es wird düster, viele Geschäfte stehen leer. Nur die Graffitis auf den Wänden und den heruntergezogenen Rollläden durchbrechen mit ihrer Farbenpracht die Trostlosigkeit.
"Griechenland hat eine große Graffiti-Szene. Die Künstler machen sich die leerstehenden Räumlichkeiten zu eigen. Warum nicht?"
Sagt die junge Architektin und geht ein paar Schritte weiter. Vor der "Stoa Zerbini", einer der zahlreichen kleinen Athener Einkaufsarkaden aus den 60ern und 70ern, bleibt sie stehen. Ein langer Gang, rechts und links kleine Geschäfte. Die meisten stehen leer. Nur ein Schlüsseldienst hat noch auf. Ein Bild der Verwahrlosung:
"Solche Arkaden sind charakteristisch für Athen. Sowas findet man nicht in anderen europäischen Städten. Es sind meinst Familienbetriebe, die hier ansässig waren: Druckereien, aber auch Kleinhandel, man konnte Türklinken finden, Glühbirnen, Materialien für Schmuck. Aber für mich hat auch dieser Anblick der leeren Geschäfte seinen Reiz. Wir müssen nicht der Vergangenheit hinterher trauern. Wir müssen sehen, wie diese Räumlichkeiten umfunktioniert werden könnten."
Laden am Syntagma-Platz mit typischem gelben Aufkleber: "Zu vermieten"
Laden am Syntagma-Platz mit typischem gelben Aufkleber: "Zu vermieten"© Foto: Rodothea Seralidou
Der Bedarf an Räumen ist in der griechischen Hauptstadt riesig
Schließlich sei in der dichtbesiedelten Fünf-Millionen-Metropole der Bedarf an Räumen enorm. Dass viele Immobilien trotzdem keinen neuen Interessenten finden, hat nicht nur finanzielle Gründe, sagt Axioti:
"Athen ist da überhaupt nicht flexibel. Wenn ein Gebäude anders genutzt werden soll, bringt es viel Bürokratie mit sich. Es muss eine Gesetzesreform geben, nur so können zum Beispiel leere Geschäftsräume zu Wohnraum werden. Das Stadtzentrum ist so dicht bebaut, da müssen wir nun einmal mit den alten Häusern arbeiten; wenn wir sie nicht zerstören wollen, um Platz für neue Gebäude zu schaffen, müssen wir sie neu nutzen."
So wie die Geschäfte rund um den Karitzi-Platz. Dort, wo früher Kleidungsstoffe verkauft wurden, schießen nun hippe Bars und Cafés wie Pilze aus dem Boden. Junge Männer mit Bart und Frauen mit schicken Brillen nippen hier an ihrem Cappuccino Freddo, einer griechischen kalten Variante des Cappuccino.
Vom architektonischen Meisterwerk ist nur die Fassade übrig
An der Ecke zur zentralen Stadiou-Straße hält Elina an. Sie zeigt auf ein großes klassizistisches Gebäude aus dem 19. Jahrhundert - ein architektonisches Meisterwerk nach Entwürfen des deutschen Architekten Ernst Ziller. Was davon übriggeblieben ist, schockiert:
"Es ist nur die Fassade geblieben. Das Gebäude ist abgebrannt und das Innere ist zerstört. Die Geschichte dieses Gebäudes ist abrupt unterbrochen worden."
Den klassizistischen Bau haben wütende Autonome 2012 bei den großen Protesten gegen die Sparmaßnahmen in Brand gesetzt. In dieser Nacht wurden so insgesamt 42 Gebäude im Stadtzentrum zerstört. Darunter auch dieses Schmuckstück, in dem unter anderem die traditionsreichen Kinos Attikon und Apollon untergebracht waren:
"Es ist kein schönes Bild. Wir alle wollen in Städten leben, die sich in einer kreativen Weise weiterentwickeln, keiner mag solche toten Flecken. Solche Gebäude müssen saniert werden. Koste es was es wolle. Es sind doch eh so wenig klassizistische Bauten übriggeblieben."

Ausgebranntes klassizistisches Gebäude aus dem 19. Jahrhundert
Ausgebranntes klassizistisches Gebäude aus dem 19. Jahrhundert© Foto: Rodothea Seralidou