Ehrgeizige Sänger

Von Petra Marchewka · 09.01.2009
Jeden Dienstagabend treffen sich die Sängerinnen und Sänger im Hamburger Stadtteil Bergedorf. Sie alle verbindet ein markantes Merkmal: Ehrgeiz. Anspruchsvolle Chorarbeit haben sie sich auf die Fahnen geschrieben. Die Sängerinnen und Sänger haben ihren Schwerpunkt im A-cappella-Repertoire.
Stephan Taschke: "Das beeindruckt mich schon, dass man tatsächlich mit den Leuten, mit denen man auch hinterher in geselliger Runde seinen Spaß haben kann, tatsächlich so anspruchsvolle Musik hervorbringen kann."

Es ist Dienstagabend. Die Sängerinnen und Sänger des Bergedorfer Kammerchores treffen sich zur Probe im Musikraum des Luisengymnasiums.

Taschke: "Wenn man sich das hinterher mal auf einer Aufnahme anhört, ist man selber manchmal doch ganz angetan."

Stephan Taschke singt hier seit 1993, als Tenor.

Monica Rösler: "Ganz besonders sind immer alle wieder fasziniert von dem absoluten Gehör von Professor Löhr, eine Stimmgabel oder, wie er es auch nennt, ‚Tonprothese’ braucht er also nicht um..." - Löhr unterbricht: "Lass das mal, das kommt nicht mit in die Sendung..."

Die Stimmung ist locker bei den Bergedorfern. Gleichzeitig haben alle Respekt vor dem Können ihres Chefs - so wie Monica Rösler, seit 23 Jahren dabei.

Monica Rösler: "Also ‘ne Stimmgabel braucht er zum Töne angeben nicht, was doch einige Zuhörer immer wieder fasziniert, dass also die Töne von irgendwo her geflogen kommen..."

Frank Löhr, Professor für Orchesterdirigieren und Chordirigieren an der Musikhochschule Hannover und seit 2003 Leiter dieses Chores, hat sich viel vorgenommen. Bis zum Juni soll die Doppelchörige Messe des Schweizer Komponisten Frank Martin aufführungsreif sein.

Der Komponist hat die Messe 1922 verfasst, mit 32 Jahren, zugeschnitten auf zwei vierstimmige Chöre. Um das Werk zu bewältigen, hat Frank Löhr seinen Kammerchor in zwei Hälften geteilt - und weil sich jede Hälfte im Verlauf der Komposition ein weiteres Mal aufteilt, landen die Bergedorfer schließlich bei 16-stimmigem Gesang.

Löhr: "Und das kann man sich ja leicht ausrechnen bei 50 Leuten, welche Verantwortung auf dem einzelnen Chorsänger lastet..."

Löhr: "Zweiter Tenor, zweiter Bass. Laudamus te. Es geht vor allem um die T’s, dass wir da die Quinte ganz genau bekommen."

Gibt Töne vor, Tenor und Bass singen.

"Ja! Quinte ist sehr gut, aber der Vokal ist ein bisschen eng."

Gibt Ton vor, Gesang.

Höchst konzentriert seziert der 37-Jährige mit dem jungenhaften Gesicht und der randlosen Brille jedes Detail, erwartet von den Stimmen seiner Sänger das Herausmodellieren feinster klanglicher Nuancen.

Julia Bissling: "Ich denke, es ist eine sehr präzise Analyse der zur erarbeitenden Stücke..."

Die 18-jährige Julia Bissling ist seit zwei Jahren dabei.

Julia Bissling: "...wenn wir einen schwierigen Übergang haben von einer Tonart in eine andere und man den Zusammenhang sehr schwer versteht, werden wir eigentlich von unserem Chorleiter an die Hand genommen und da durchgeführt, es wird uns erklärt, damit wir das selbst nachvollziehen können."

Löhr: "Ja. A-cappella-Musik ist das, was der Chor am Allerliebsten singt, (...) weil dort die musikalischen und sängerischen Ansprüche noch weitaus höher liegen. Es ist nichts da, was die Intonation irgendwie stützen könnte, man muss es als Chorsänger alles selbst machen, der ganze Klang liegt völlig offen, es kommt auf jede Kleinigkeit in der Artikulation, in der Vokalfärbung an."

Der Bergedorfer Kammerchor, erzählen die Mitglieder stolz, sei ein Klangkörper mit Tradition - von dem für seine künstlerische Arbeit vielfach geehrten Hellmut Wormsbächer 1946 gegründet. Die 50 aktiven Chormitglieder - zumeist engagierte Hobbysänger mit sehr guten Notenkenntnissen - sind zwischen 17 und 60 Jahre alt. Nachwuchsprobleme? Die gibt es hier nicht, sagt Julia Bissling, die schon als Kind in Chören gesungen hat.

Julia Bissling: "Ich kenne auch den Fall, dass man jetzt nicht irgendwie von klein auf mit Musik in Kontakt stand, aber durch einen besonderen Auslöser, durch eine Person, die einen dafür begeistert hat, von so einem Chorvirus infiziert wurde."

Ein Chorvirus?

Julia Bissling: "Ja!"

Lacht, alle anderen lachen mit.


Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.