Echte und falsche Wunder

Von Klaus Hart · 13.02.2010
In Brasilien ist der Glaube an böse Geister, Spuk und Hexerei sehr lebendig, Sekten praktizieren Wunderheilungen und Exorzismus. Der katholische Priester Oscar Quevedo ist ein streitbarer Gegner der Scharlatane - doch an Wunder glaubt auch er. In Sao Paulo betreibt er ein Institut für Parapsychologie.
"Jetzt geschehen Wunder, wird die Hölle in ihren Fundamenten erschüttert, werden Krebskranke geheilt und können Querschnittsgelähmte wieder gehen!"

Das ist die evangelikale Wunderheilerin Lanna Holder in einem Fußballstadion. Bei solchen pseudoreligiösen Großveranstaltungen, die in Brasilien beinahe täglich stattfinden, steht Padre Quevedo häufig mitten in den Massen und studiert, wie die Wunderheiler und Sektenführer mit immer ausgefeilteren psychologischen Tricks und sogar mit Schrei-Kaskaden regelrecht Hysterie erzeugen. Kopfschüttelnd kehrt Quevedo dann in sein kleines, viel zu enges Institut für Parapsychologie zurück und baut die Beobachtungen anderntags in seine Kurs-Vorlesungen für Bischöfe und Priester ein.

"Die Brasilianer sind das abergläubischste Volk der Erde. In jeder größeren Stadt gibt es mehr Wunderheiler, Spiritisten, Mystiker mit Visionen und mehr angeblich von Dämonen Besessene als im Rest der Welt. Jede Dummheit wird zum Wunder erklärt. Diesen Rekord macht uns leider niemand streitig. Der Brasilianer hat keine gute religiöse Bildung, es fehlt religiöse Kultur. So viele Sekten nutzen psychologische Phänomene, um daraus Profit zu schlagen. Unglücklicherweise wendet man die Gesetze gegen Scharlatanerie nicht an."

Padre Quevedo wurde in Brasilien zur populären Figur, weil er humorig, witzig und ironisch in zahlreichen TV-Sendungen die Tricks der Scharlatane erläuterte, einige bis auf die Knochen blamierte. In einem Video sieht man Quevedo gar bei einer der in Brasilien praktizierten "spirituellen Chirurgien" – da wühlt er scheinbar im Unterleib seiner Assistentin, holt gar, wie es aussieht, kranke, blutige Teile heraus.

Padre Quevedo kritisiert besonders die politisch einflussreiche Universalkirche vom Reich Gottes, die Brasiliens zweitgrößten TV-Sender "Rede Record" besitzt und sogar die Republikanische Partei dominiert. Diese stellt immerhin den Vize von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva.

"Die Universalkirche predigt den Leuten, dass der Teufel an allen Krankheiten schuld sei und man ihn deshalb im Gottesdienst per Wunderheilung austreiben müsse. Doch wenn einer von diesen Exorzismuspastoren krank wird, geht er nicht etwa zu einem Kollegen, damit der den Dämon vertreibt, sondern natürlich zu einem Arzt. Wir haben das untersucht."

Aber praktiziert die katholische Kirche denn nicht auch Exorzismus?

"Exorzismus ist ein Irrtum, ein Fehler der Kirche - denn vom Teufel besessen zu sein, so etwas gibt es nicht, das ist Aberglaube. Manche ungebildete Päpste glaubten an Dämonen und hinterließen entsprechende Dogmen. Doch die Parapsychologie, diese schöne, spannende Sache, machte Fortschritte und räumte damit auf, zwang die Kirche, sich mehr und mehr zu korrigieren. Wer heute noch das römische Exorzismus-Ritual ausführt, handelt völlig falsch. Sao Paulos deutschstämmiger Erzbischof Odilo Scherer hat den Exorzismus hier abgeschafft."

Dies heißt indessen nicht, dass in Brasilien nun auch die vom Vatikan abgesegneten Wunder angezweifelt, in Frage gestellt werden. Ganz im Gegenteil – in einem Land tiefer Volksfrömmigkeit gelten diese Wunder als unumstößlich. Für christliche Gläubige ist keineswegs widersprüchlich, Wunderheiler zu verurteilen, aber zu den Wundern der eigenen Kirche zu stehen. Dies gilt auch für Padre Quevedo.

In seinem Parapsychologie-Institut von Sao Paulo hängen gleich mehrere Gemälde der heiligen Jungfrau Maria von Guadalupe in Mexiko – die der Vatikan bereits 1910 zur Patronin von ganz Lateinamerika ernannt hat. Padre Quevedo verehrt diese wundertätige Heilige tief, blickt immer wieder zu ihr auf – denn echte, authentische Wunder, daran lässt er keinen Zweifel, die gibt es natürlich.

"Zwei bis drei Jahrhunderte vor Christus ereigneten sich wahrhaftige Wunder nur in jüdischem Ambiente - nach Christus nur noch im katholischen Umfeld. Protestanten und Evangelikale haben keine Wunder, Katholiken dagegen sehr viele. Der Heilige Franz Xaver predigte in etwa 400 Sprachen und Dialekten - das ist ein Wunder, da manifestierte sich Gott. Und dann jene Hunderte von Wiedererweckungen, bis zu zehn Tage nach dem Tode - das sind wahre Wunder, wissenschaftlich bewiesen! Wunder sind Signale Gottes und tragen dessen Unterschrift, sind dessen Markenzeichen. Christus und die Apostel bewirkten viele phantastische Wunder."

Ein Gottesdienst der rasch wachsenden katholischen Bewegung "Charismatische Erneuerung" in einer Kirche an der Copacabana in Rio de Janeiro. Die Messe erinnert an die Kulte evangelikaler Religionsgemeinschaften, weil den Gläubigen die sofortige Heilung vieler Krankheiten durch Gottes Wirken versprochen wird.

"Menschen werden von Krebs geheilt", sagt Charismatiker-Priester Joao Henrique, "eine gelähmte Frau stand aus dem Rollstuhl auf, konnte wieder gehen - so etwas ist doch wunderbar."

Erschreckend und absurd nennt dagegen Padre Quevedo, dass Gott nun auch noch bei den katholischen Charismatikern die gleichen Wunder bewirken soll wie bei den Evangelikalen. Er kommentiert es ironisch:

"Das ist illegale Ausübung der Medizin und per Gesetz verboten. Wenn jemand in deren Gottesdiensten eigenartige, unverständliche Dinge stammelt, bezeichnen sie das als Fähigkeit, in anderen Sprachen zu sprechen - und nennen es ein Wunder, die Sprache der Engel. Pures Unwissen! Inzwischen gelingt es den Charismatikern schon vereinzelt, meine Kurse in anderen Städten zu verhindern. Ich muss also weiter kämpfen. Aber wurde Christus nicht auch verleumdet? Wir werden sehen, wie es weitergeht!"