Donaudelta in Rumänien

Ein Paradies für Wildtiere und Naturtouristen

Sonnenaufgang über dem Donaudelta in Rumänien.
Sonnenaufgang über dem Donaudelta in Rumänien. © imago/imagebroker
Von Gaby Beck · 26.05.2016
Das Donaudelta ist UNESCO-Welterbe und ältestes Naturschutzgebiet Rumäniens. Das Reservat bildet das größte Feuchtgebiet Europas mit riesigen von Schilfrohr bedeckten Flächen: Ein Lebensraum für seltene Pflanzen- und Tierarten.
Tulcea das Tor zum Donaudelta. Die 70.000 Einwohner Stadt brodelt. Es sind Leute aus den Dörfern oder Urlauber, die vom Fischen kommen.
"Wir waren in Crishan angeln. Wir haben das Motorboot, wir haben die Angeln, mein Freund ist auf dem Boot."
Alex kommt gerade aus dem Delta zurück: Olivgrünes Outfit, ein Lächeln auf dem Gesicht, er scheint zufrieden über sein Wochenende. Viele Männercliquen machen das so. Ein paar Tage Ausspannen beim Fischen. Das Donau-Delta lockt mit wilder Natur, vielen Fischsorten in den weitverzweigten Flussarmen und Ruhe pur. Stolz zeigen die beiden ihre Ausbeute der sieben Tage Fischen im Delta.
"Nicht viele – aber es macht Spaß zu angeln. Barsche, Zander, Hecht, Karausche."
Er und sein Freund sehen so aus, als hätten sie das Leben in der Natur genossen, ein Rückzug aus dem stressigen Alltag: der Dreitagebart ist gewachsen, Duschen war auch nicht so wichtig, sagt er lachend: abends Feuerchen, Kamin, ein paar Bier, ein Plausch, Männerträume.
"Wenn ich dahin gehe, in mein Haus, da verbringe ich den ganzen Sommer ohne Schuhe und bin sehr glücklich dort."
Vor dem Gebäude der Reservatsverwaltung stehen die nächsten Schlange. Sie wollen noch heute los ins Delta. Hier am Hafen ist viel los. Taxis warten auf die Ankommenden. Andere werden hergebracht. Sie schleppen große Rucksäcke für ihren Trip ins Delta. Äpfel, Trauben, Bananen, Gemüse und vor allem frischer Fisch werden hier verkauft. Daneben einige Kleidung, Schuhe, und Dinge des täglichen Gebrauchs.
Pavia, der Taxifahrer lebt gerne in Tulcea. 15 Jahre lang hat er in Padua in Italien gewohnt. Bis er dort seinen Job verlor. Dann kam der 61-Jährige zurück.
"Hier ist das Zentrum, der Hauptplatz, wo die Einkäufe erledigt werden. Hier sind die Geschäfte für Touristen, hier sind die Taxis und das Schiff, das die Leute ins Delta bringt."

Ein Fleckchen Erde ohne Vorzeige-Tourismus

Die Stadt am östlichsten Rand Europas wirkt geschäftig. Aber auch etwas heruntergekommen. Nicht der Vorzeige-Tourismus, der westliche Luxus-Touristen herlocken würde.
"Ja, es ist angenehm. Im Sommer waren viele Touristen hier. Jetzt sind es weniger, aber es ist trotzdem sehr angenehm."
"Ja, die Sprachbarriere gibt es, aber die Leute sind offen. Uns gefällt die wilde Seite. Viele Vögel, die man nirgendwo sonst sieht. Das Klima ist sehr angenehm. Es regnet nicht viel – dafür viel Sonne und immer geht ein Lüftchen."
"Klar, es gibt Stechmücken, aber an die gewöhnt man sich und sie gewöhnen sich an uns."
Gille und Noelle erzählen begeistert von ihrem Sommer am Delta. Und wirklich – das Biosphärenreservat hat die weltweit größte Pelikankolonie. Ein Paradies nicht nur für Vogelkundler. Am östlichsten Ende Europas, am Schwarzen Meer an der Grenze zur Ukraine, laufen die Uhren noch langsamer. Gille und Noelle sagen: es ist das Ende der Welt, Dort, nach Sulina komme man nur mit dem Boot, nicht mit dem Auto.
Drei Hauptkanäle, von denen unzählige kleinere abgehen, durchqueren die Auenlandschaft. Schätzungen zufolge lebten dort 2010 rund 1500 Pferde. Behörden und Umweltschützer sahen darin eine Gefahr für das Reservat und beschlossen, die Pferde zu töten. Mit dem wachsenden Tierbestand stieg auch der Bedarf an Futter- und Weideland; die Pferde wanderten immer weiter in den streng geschützten Waldbereich des Biosphärenreservats hinein, wo sie auch Baumrinden und seltene, geschützte Pflanzen fraßen.

Pure Stille im Donaudelta

Nach anderthalb Stunden Fahrt erreicht das Boot Letea. An einem sandigen Ufer legt das Boot an. Nicht weit von der Anlegestelle wohnt die Familie Petrescu. Zwischen Ufer und Haus der liebevoll gepflegte Gemüsegarten. Stille pur – kein künstliches Licht, nur ein immens präsenter Sternenhimmel.
Die Häuser sind meist schlichte Holzhäuser, wer etwas mehr Geld hat, der hat sie hübsch angemalt, blau, rot, rosa weiß – genauso wie die Holzzäune. Manche Häuser sind aber auch heruntergekommen, wirken verlassen.
Maria und Toni George vermieten ab und zu ein paar Gasträume. Aber wenige Touristen verirren sich im Sommer hierher. Jetzt beherbergen sie die Leute von "Vier Pfoten". Vier Pfoten hat sich zur Aufgabe gemacht, die Pferdepopulation zu erhalten und sie gleichzeitig nicht so wachsen zu lassen, dass sie die Natur zerstört.
Das Dorf ist still, wie am Abend herrscht nur etwas Leben vor dem einzigen Laden im Ort. Er ist auch gleichzeitig Kneipe, ein paar Jugendliche sitzen davor und trinken, hören Musik. Ladenbesitzer George hat noch zwei weitere Läden hier in den Dörfern. Ein stämmiger Rumäne, er hat schon die Welt gesehen, wie er sagt:
"Ich bin in Sulina geboren, meine Großeltern kommen aus Letea. Als ich jung war, habe ich hier immer meine Ferien verbracht, danach bin ich nach Tulcea gegangen, danach bin ich nach Rumänien gegangen arbeiten, nach Russland, Deutschland, dann bin ich gerne wieder zurückgekommen."
Er liebt seine Heimat, sagt er noch, hier sei Natur. Seine Tochter fängt jetzt in der Hafenstadt Costanza eine Lehre an. Wie eigentlich alle Jugendlichen zieht es sie weg aus dem Donaudelta. Am nächsten Morgen zieht Ovidiu und sein Kollege von "Vier Pfoten" los in den Letea Wald. Mit dem einzigen Jeep weit und breit.
"Da könnte es sein, dass man steckenbleibt."
Sand unter den Rädern des Jeeps, der schwerfällig hier langhoppelt. Neben der weiten Steppe dann gleich der Letea-Wald. Robert Hengl von "Vier Pfoten" hat so eine Landschaft hier im Osten Europas so nicht erwartet.
"Es schaut ein bisschen aus wie in Kenia, es hat einen Hauch von Afrika hier."
Das Biosphärenreservat existiert seit 1990. Seit 2014 ist Lucian Eduard Simion Reservatsleiter. Er hat einen Management Plan ins Leben gerufen, der 400 Seiten umfasst. 1,5 Milliarden Euro soll seine Umsetzung kosten, die Welt Bank wird es finanzieren, sagt er.
"Wir haben ein Gleichgewicht zwischen der Umwelt und den Einwohnern des Donau Deltas etabliert. Weil es eines der wenigen Biosphärenreservate ist, das bewohnt ist. Der größte Teil der Projekte unterstützt die traditionellen lokalen Aktivitäten im Donau Delta. Aktivitäten, die das Ökosystem schützen und wir versuchen so viele Informationen wie möglich zu bekommen, um herauszufinden, was getan werden muss. Wir sprechen von Wasser-Zirkulation, Zugang zum Wasser und zum trockenen Land, wir reden über Bildung, Gesundheit und lokale Traditionen. Hier fehlt kein Kapitel."
So sehr sich der Reservats-Chef mit seinen Projekten brüstet; wie überall ist seine Politik umstritten. Gerade angesichts der Gelder, die aus der EU hierher in die schwache Region fließen, entsteht Neid. Remus nennt es Korruption. Er ist gerade auf dem Heimweg vom Angel-Wochenende mit seinem Freund.
"Das ganze Geld wird in große Hotels investiert, kein einziger Dollar wird dafür verwendet, um sauber zu machen zum Beispiel, das halbe Geld geht in ihre eigene Tasche."

Hengst, Stute und zwei Fohlen

Zurück auf der Düne vor dem Letea Wald: In der Ferne haben die Leute von "Vier Pfoten" eine kleine Pferde-Familie ausgemacht. Hengst, Stute und zwei Fohlen. Sie grasen.
Die Tierärzte von "Vier Pfoten" haben sie bisher noch nicht geimpft. Ovidiu deckt ihr die Augen mit einem Tuch ab. Dann muss er ganz schnell gehen: Jetzt müssen schnell die Haare am Ohr abgeschnitten werden, damit die Plakette eingeknipst werden kann.
"Ich habe jetzt hier eine Ohrmarkierbefestigungsgerät, da habe ich jetzt die rote Nummer zwei drauf und werde jetzt das zweite Ohr der Stute markieren, zuerst die Haare runter vom Ohr dann geben wir Antibiotika drauf, und dann geben wir die rote Nummer zwei auf diese Zange drauf."
Außerdem stehen mehrere Untersuchungen an: Blut muss abgenommen werden. Das Serum wird später im Labor untersucht werden, um zu schauen, ob sie gesund ist. Aus dem After wird eine Kotprobe entnommen, Temperatur wird gemessen und das wichtigste ist die Impfung. Die Zähne werden fotografiert.
"Wir müssen sie in drei Wochen noch einmal finden, weil wir ihr eine Auffrischung mit dem Gewehr und einem Pfeil geben müssen, die Chancen stehen gut: zu 95 Prozent wird sie in der nächsten Saison nicht trächtig sein."
Dann wird sie nur eine Auffrischung bekommen. Ohne Betäubung. Aus der Ferne gezielt mit dem Gewehr. Das ist der Plan.
Am nächsten Morgen macht Tierarzt Ovidiu erst einmal Visite in dem Dorf Letea; die Leute haben gesehen, dass er da ist. Da ist zum Beispiel der kleine Hund Rex, der von einem Auto angefahren wurde und sein Hinterbein gebrochen hat, und sich nicht mehr bewegen kann.
"Er ist gelähmt, bei einem Autounfall ist er unter die Räder gekommen. Nun versuchen wir hier mit diesem Rollstuhl, dass er sich besser bewegen kann, mal sehen, ob er passt."
In Sulina, etwa 20 Kilometer weiter am schwarzen Meer, mündet einer der drei Kanäle. Der Crisan Kanal. Ein Mini-Bus verkehrt zweimal am Tag zwischen den Dörfern des Deltas und der Hafenstadt. Hier fahren die großen Tanker mit griechischer, ukrainischer oder türkischer Flagge ein. Wer in den Ortskern will, der muss für einen Leo die wacklige Fähre nehmen, ein kleines Motorboot, das den Kanal überquert.
Sulina ist klein und doch lebendiger als die Dörfer des Deltas. Strand, einige Bars. Am Hafen starten die Tragflügelboote zurück ins Land den Kanal zurück nach Tulcea. Fischkutter, die am frühen Morgen vom schwarzen Meer zurückkehren: Störe werden hier zur Produktion von Kaviar gefangen. Wer hier nicht hektisch mit Rucksack oder Koffer in Richtung Anlegestelle hastet, der hat Zeit für einen kleinen Plausch, oder schaut einfach den Matrosen zu, wie sie die Boote reinigen.
Sulina wirkt verschlafen, entspannt, einige Kinder gehen zur Schule, Hausfrauen kaufen in einem der Supermärkte ein. Mediterrane Stimmung; viele freilaufende Hunde. Der Strand ist nur im Sommer etwas belebt. Während der oft warmen Herbsttage wirkt er ungenutzt. Touristen Fehlanzeige: ansonsten Stille und der Blick aufs schwarze Meer, die Grenze Europas.
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