Dokumentarfilm

Road-Movie mit Rabbi

Ein ungewöhnlicher Gottesmann: der Rabbi Willy Wolff.
Ein ungewöhnlicher Gottesmann: der Rabbi Willy Wolff. © UliHolz / BritzkaFilm
Von Bernd Sobolla · 08.04.2016
Er pendelt zwischen Berlin, Amsterdam, London und Jerusalem, geht zu Pferderennen und macht Yoga. In ihrem Dokumentarfilm "Rabbi Wolff" porträtiert Britta Wauer den 88-jährigen jüdischen Geistlichen.
Rabbi Wolff sitzt in seinem kleinen Haus in der Nähe von London inmitten eines Bücherbergs. Doch viel Zeit zum Lesen hat er eigentlich nicht. Ständig ist er, der während der Dreharbeiten 88 Jahre alt ist, unterwegs: Jeden Mittwoch fliegt er nach Hamburg und fährt von dort nach Schwerin und Rostock, um den jüdischen Gemeinden zu dienen.
"Menschen sind mir unglaublich wichtig, und ich habe gerne Kontakt zu ihnen."
Die Filmemacherin Britta Wauer ist immer an seiner Seite: ob in Schwerin, Rostock oder Berlin, Amsterdam oder London, Jerusalem oder Tel Aviv. So ist fast ein heiter-melancholisches Road-Movie-Porträt entstanden.
"Ich habe mich von vornherein entschieden, keinen Film zu machen, der in der Vergangenheit spielt, der sein gelebtes Leben in den Vordergrund stellt, sondern ich wollte schon zeigen, was ihn jetzt ausmacht und wie vielfältig das ist."

Rabbi Wolff in Frack und Zylinder

Das Phänomenale an Rabbi Wolff ist vor allem seine Vielseitigkeit: Wir erleben ihn beim Pferderennen in Ascot mit Frack und Zylinder, bei Yoga-Übungen, beim Gebet in der Synagoge oder im Gespräch mit Gemeindemitgliedern, zum Beispiel mit Juri Rosov, dem Gemeindevorsitzenden in Rostock.
"Unsere Gemeinde hat 99 Prozent Zuwanderer, keine eingesessenen Juden. Wir sind aus ehemaliger Sowjetunion gekommen. Und 99 Prozent unserer Leute haben kein Verständnis für Religion. In der Sowjetunion war sie verboten. Und natürlich: Hier habe ich mehr und mehr Information bekommen, und jetzt weiß ich genau, was wir machen sollen."
Das ist zum großen Teil Rabbi Wolffs Verdienst. Der Landesrabbiner von Mecklenburg-Vorpommern stellte sich von Anfang an auf die Einwanderer ein und bat die Russisch-Lehrerin Olga Korneeva um Unterstützung.
"Ich habe das natürlich nicht erwartet, dass ein Herr in dem Alter noch Russisch lernen möchte. Na ja, und dann hat er mir seine Geschichte erzählt und hat seinen Terminkalender herausgeholt, und dann haben wir gleich für ein ganzes Jahr die Termine vereinbart."

Emigration nach Amsterdam und London

Britta Wauer hält diese fast komischen Momente fest, aber schildert ebenso die tragischen Aspekte im Leben des Rabbiners. Manchmal mit einer angenehmen Beiläufigkeit, meist mit dem richtigen Gespür, nur Bilder sprechen zu lassen, immer mit der nötigen Ernsthaftigkeit - zum Bespiel, wenn Rabbi Wolff erzählt, dass seine Familie bereits 1933 Berlin verließ und nach Amsterdam beziehungsweise London emigrierte, weil die Schneiderin seiner Mutter eine Tochter namens Martha hatte.
"Und Martha hat einen Politiker geheiratet, Vorname Joseph, Nachname Goebbels. So hatte meine Mutter Angst, dass wir schon früher auf irgendeine Liste kommen könnten."
Am spannendsten aber wirkt, wie Willy Wolff, der als anerkannter Journalist aus dem Parlament berichtete, 1979 begann, Theologie zu studieren. Und vor allem wie er, ein typischer Vertreter des liberalen Judentums, sich auf die verschiedenen Strömungen des Judentums einlässt, um für alle da zu sein. Auch für seine orthodoxen Verwandten in Jerusalem, wie Britta Wauer betont.
"Er hat eine Schwester, die ultra-orthodox wurde, die inzwischen nicht mehr lebt, aber deren Kindern eben auch ultra-orthodox sind. Und er, der versucht, sich an die Gebote zu halten, aber sie rein praktisch gar nicht machen kann, weil er eben am Sonnabend reist, was nach dem jüdischen Gesetz verboten ist. Und trotzdem schätzen ihn die Leute, und er schafft es, diese Welten miteinander zu verbinden."
Rabbi Wolff schafft es nicht nur, verschiedenen Strömungen des Judentums für sich in Einklang zu bringen, ihm gelingt sogar die Umarmung des Christentums. Jedes Jahr zu Weihnachten geht er zum benachbarten anglikanischen Pfarrer, liest ihm jüdische Gebete vor und singt mit ihm Weihnachtslieder.
"Rabbi Wolff" ist das Porträt eines großen Geistlichen, der trotz widriger Umstände immer Spaß am Leben hatte und der den interreligiösen Dialog nicht nur predigt, sondern lebt.
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