"Die Zeit nationaler Alleingänge ist definitiv vorbei"

25.08.2012
Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Hans-Heinrich Driftmann, hält weitere Hilfen für Griechenland und andere notleidende EU-Staaten für notwendig - aber nur, wenn sie klar begrenzt sind. Außerdem sprach sich Driftmann für ein Verbot des Biokraftstoffs E10 aus.
Deutschlandradio Kultur: Hans-Heinrich Driftmann ist der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages DIHK. Herr Driftmann, das Wachstum in der Bundesrepublik hat sich verlangsamt. Nur noch 0,3 Prozent weist die Statistik jetzt für das zweite Quartal aus. Der Einkaufsmanagerindex als Konjunkturbarometer ist auch abgesackt und liegt deutlich unter 50, was Rezession signalisiert. Droht die deutsche Wirtschaft in den Abwärtsstrudel der internationalen Krise zu geraten?

Hans-Heinrich Driftmann: Ich glaube, so einfach kann man das nicht bejahen. In der Tat, wir leben in schwierigen Zeiten, unter problematischen Verhältnissen in Europa, die sich auswirken. Andererseits wächst die deutsche Wirtschaft eben immer noch. Dafür gibt es nicht nur Indikatoren, sondern belastbare Zahlen. Es gibt allerdings so etwas wie Krisenunsicherheit im Euroraum. Diese Dinge interdependieren. Das führt dazu, dass sich ein uneinheitliches Bild ergibt. Wir gehen aber nach wie vor davon aus, dass ein Wirtschaftswachstum von etwa 1 Prozent erreichbar ist, vorausgesetzt, es spielen nicht noch Dinge eine Rolle, die wir im Moment gar nicht absehen können. Das kann passieren, weil ja eben vor allen Dingen Politik involviert ist und die handelt ja nicht immer nach ökonomischen Prinzipien.

Deutschlandradio Kultur: Schauen wir doch gleich mal auf die Politik. Das Statistische Bundesamt hat in dieser Woche neue Zahlen für die Haushaltsentwicklung veröffentlicht. Danach sieht es rein formal ganz gut aus, ein Plus von über 8 Milliarden. Schaut man sich das aber genauer an, dann ist es in erster Linie ein Plus bei den Sozialkassen, aber deutliche Defizite bei den öffentlichen Haushalten, vor allen Dingen bei dem Haushalt des Bundes. Tut die Bundesregierung zu wenig, um wirklich in der konjunkturell guten Lage zu sparen?

Hans-Heinrich Driftmann: Die Bundesregierung tut schon eine ganze Menge. Sie wird noch weiterhin vieles Richtiges tun müssen, damit wir die Lage in den Griff bekommen. Zunächst einmal ist in der Tat es eine gute Nachricht, dass die Sozialkosten offensichtlich geringer geworden sind und daraus ein gewisser Haushaltsüberhang geschehen ist, der die Bundesregierung in die Lage versetzt, in den zukünftigen Haushalten auch positiv zu reagieren, das heißt, Probleme zu lösen, die Dinge in den Griff zu bekommen.

Aber ich sage auch ganz ehrlich, ich gehe nicht davon aus, dass die Probleme, die seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts angewachsen sind, handstreichartig in einer Legislaturperiode erledigt werden können. Damit werden wir noch eine ganze Weile zu tun haben. Wichtig für uns ist zu wissen, dass wir auf dem richtigen Wege sind, und uns nicht Illusionen hingeben, wie sie zurzeit etwa in Frankreich gepflegt werden.

Deutschlandradio Kultur: Herr Driftmann, da möchte ich nachhaken. Sie sagen also, es ist noch ein Reformbedarf da. Konkret: Wo sieht der DIHK hier den akutesten Handlungsbedarf? Wo muss die Regierung aktiv werden?

Hans-Heinrich Driftmann: Wir müssen in der Tat sparen, und zwar europaweit. Dies ist eben leider kein Problem, das wir rein national lösen können. Aber auch wir in Deutschland müssen unseren Anteil leisten, denn wir zeigen manchmal mit den Fingern auf andere Länder, andere Regierungen. Nein, wir haben auch noch unsere Hausaufgaben zu machen. Dazu brauchen wir den Schulterschluss aller Beteiligten.

Natürlich ist der Primat der Politik ausschlaggebend. Natürlich muss die Regierung richtige Haushaltsentscheidungen treffen. Aber das Problem lösen werden wir nur, wenn Politik, Wirtschaft, der Staatsapparat und viele andere gesellschaftliche Gruppen - etwa Arbeitnehmerorganisationen - gemeinsam alles tun, damit wir aus den Problemen herauskommen. Das erfordert viel Einsichtsfähigkeit.

Deutschlandradio Kultur: Gemeinsam alles tun, diese Frage stellt sich ja ganz besonders mit Blick auf die gemeinsame europäische Währung, den Euro. Jetzt war der griechische Regierungschef Samaras bei der Kanzlerin, hat um Zeitaufschub gebeten. Die Kanzlerin hat dem natürlich nicht entsprochen, weil sie das im Moment gar nicht verantworten kann. Möglicherweise stellt aber auch Spanien Antrag auf ein weiteres Hilfspaket. Haben Sie das Gefühl, dass Sie in den kommenden fünf Jahren noch mit dem Euro weiter werden leben und handeln können?

Hans-Heinrich Driftmann: Der Euro hat für die deutsche Volkswirtschaft eine ganze Reihe an Vorteilen. Denken Sie nur an das Wechselkursrisiko. Wir sind nun mal global aufgestellt in Bezug auf unser wirtschaftliches Handeln. Und unsere Hauptkunden sind in Europa. Das wird sich in den nächsten Jahren möglicherweise etwas verschieben, aber Europa behält seine Bedeutung. 40 Prozent unserer Exporte gehen nun mal nach Europa. So schnell wird sich das nicht ändern. Und da zahlt sich dann der Euro auch als Positivum aus.

Von daher haben wir durchaus ein Interesse, den Euroraum zu erhalten und uns intensiv Gedanken zu machen, wo wir an der einen oder anderen Stelle helfen, beraten, unterstützen können. Und das tut die Bundesregierung.

Deutschlandradio Kultur: Nun gibt es ja ein ganz konkretes Hilfsersuchen von Griechenland. Sie sagen, wir schaffen die versprochenen Reformen nicht in dem vorgegebenen Zeitrahmen. Sollte man Griechenland mehr Zeit geben? Wäre die Alternative einfach auch für die deutsche Wirtschaft zu kostspielig?

Hans-Heinrich Driftmann: Wir können für Griechenland, denke ich, noch einiges tun. Auf der anderen Seite muss ich eben immer wieder darauf hinweisen, dass es auch politisch-taktische oder, sagen wir, wirtschaftspsychologische Gründe gibt, Griechenland deutlich zu machen, dass es nichts umsonst gibt - für uns nicht und für die anderen auch nicht und auch nicht für Griechenland - und dass man sich auf ein vernünftiges politikstrategisches Konzept einigen muss. Und das muss verbindlich sein. Darauf muss man sich verlassen können.

Hier eine Lösung zu finden, wird uns noch eine Weile beschäftigen und auch die Fähigkeit zur Flexibilität der Bundeskanzlerin herausfordern. Einen Selbstbedienungsladen aufzumachen, wäre aber völlig falsch.

Deutschlandradio Kultur: Im Moment läuft aber alles darauf hinaus, als ob die Europäische Zentralbank zu dem Rettungsmechanismus der kommenden Monate wird. Glauben Sie, dass unbegrenztes Gelddrucken, wie es ja von Teilen in Südeuropa mehr oder weniger gefordert wird, der Ausweg sein kann?

Hans-Heinrich Driftmann: Der Ausweg sicher nicht, zumindest kein langfristiger Ausweg. Ich glaube, dass das, was von den Mittelmeeranrainern von uns erwartet wird, so nicht erfüllbar ist. Aber man wird sicher über Maßnahmen nachdenken müssen, diesen Ländern ein bisschen stärker zu helfen. Und man muss dabei bedenken, dass die Dosis das Gift macht und nicht die Maßnahme als solche.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt, Sie wären bereit, temporär weitere Maßnahmen der Europäischen Zentralbank zu dulden, um das ganze System nicht infrage zu stellen?

Hans-Heinrich Driftmann: Ich würde begrenzte Maßnahmen für nachvollziehbar halten, allerdings klar begrenzte Maßnahmen ohne überschwappende Gefahren, die sich daraus ergeben könnten - also, klare Begrenzung.

Deutschlandradio Kultur: Das ist mir trotzdem noch ein bisschen zu vage, Herr Driftmann. Also, kurzfristige Maßnahmen mit Begrenzungen, begrenzter Horizont, heißt das, dass die EZB vielleicht ganz gut beraten wäre, wie es einige Ökonomen fordern, noch einmal den Leitzins um einen halben Prozentsatz zu senken? Sollte sie Staatsanleihen von den krisengeplagten Ländern aufkaufen? Ein bisschen mehr Konkretes wünsche ich mir da von Ihnen.

Hans-Heinrich Driftmann: Ja, und genau da wird es schwierig, weil wir heute nicht wissen, was für Informationen morgen hereinkommen und welche anderen Politikbereiche mit berührt sind, wenn wir diese oder jene Maßnahme treffen.

Die Schwierigkeit, auch in der Diskussionen unter Ökonomen, ist ja heute die, dass eigentlich alle Recht haben in Bezug auf ihr eigenes Fach, in Bezug auf ein Problem, das sie sich vorgenommen haben, auf die eine Lösung für das eine Problem. Dass aber alle diese Probleme interdependieren, Politikbereiche, die mit Haushalt nur begrenzt etwas zu tun haben, auch berührt sind - bis hin zu Sicherheitsinteressen -, alles das wird nicht genügend berücksichtigt. Wir müssen aber eine Gesamtschau haben, das, was früher die Amerikaner lächelnd als "The German Gesamtkonzept" apostrophiert haben.

In der Tat, wir brauchen das jetzt. Denn wir können keine Maßnahme ergreifen, ohne dass das nicht Folgen auf ganz anderem Gebiet hätte. Deswegen sage ich Ihnen: Wenn wir alles durchbuchstabiert haben, was aus welcher Maßnahme der verschiedenen Zentralbanken resultiert, dann können wir die eine oder andere Maßnahme ins Auge fassen und ergreifen. Aber die Dinge müssen zu Ende gedacht werden und alle anderen Beteiligten müssen mitspielen.

Deswegen immer wieder mein Plädoyer: Wir brauchen nicht weniger Europa, wir brauchen mehr Europa, damit wir diese Dinge abstimmen können. Die Zeit nationaler Alleingänge ist definitiv vorbei.

Deutschlandradio Kultur: Sollte zu diesem gerechteren Gesamtkonzept möglicherweise auch eine gerechtere Lastenverteilung gehören? Wir debattieren den ganzen Sommer beispielsweise über eine mögliche Vermögensabgabe. Bisher werden ja die Lasten der Sparprogramme recht ungleich verteilt. Die Millionäre in Griechenland machen sich davon mit ihrem Geld, suchen das Weite. Ihnen fällt das leicht, während die einfachen Menschen des Landes durch niedrige Einkommen, höhere Sozialabgaben die Last der Krise tragen müssen. Braucht es da Umverteilungsmodelle anderer Art?

Hans-Heinrich Driftmann: Ich sträube ich mich gegen den Begriff "Umverteilung" und "Umverteilungsmodelle", weil hier Lösungen suggeriert werden, die gar keine Lösungen sind. Der Sachverhalt, der dem zugrunde liegt, ist allerdings vorhanden. Es kann nicht sein, dass in Griechenland wichtige Bevölkerungsschichten keine oder wenig Steuern bezahlen, dass Gelder abfließen ins Ausland, nicht im eigenen Land wieder investiert werden. Das sind Fehlentwicklungen, gegen die man etwas unternehmen muss. Aber das ist ein griechisches Problem. Das kann man nur in Griechenland lösen.

Deutschlandradio Kultur: Es gibt aber auch in Deutschland den Appell an die Bereitschaft von Wohlhabenden, mehr für die Bewältigung der Krise zu tun, beispielsweise über eine begrenzte Vermögensabgabe.

Hans-Heinrich Driftmann: Diese Lösungsansätze gibt es durchaus. Sie sind aber nicht besonders sinnvoll. Sie sind deshalb nicht besonders sinnvoll, weil sie nicht weit genug reichen. Ganz Reiche, wie wir sie etwa in Griechenland kennen, gibt es so in Deutschland sehr wenige. Von daher hilft es nicht viel, wenn wir nun die erwischen.

Wir haben ein großes Problem in Deutschland, was zugleich eine Stärke ausdrückt, nämlich den Mittelstand. Wenn Sie dem Mittelstand Mittel entziehen, wird weniger investiert, werden Arbeitsplätze weniger sicher, wird viel Innovation nicht mehr stattfinden können. Das ist genau das, was wir nicht wollen. Wir haben nun mal in der Krise eine Vielzahl von Vorzügen gegenüber unseren Nachbarn gezeigt. Die drei wesentlichsten sind: Wir haben noch industrielle Kerne, anders wie in weiten Teilen Großbritanniens. Zweitens, wir haben einen funktionierenden Mittelstand, der in der Lage ist, kurzfristig und trotzdem nachhaltig zu agieren. Und wir haben drittens das duale Ausbildungssystem, was dafür sorgt, dass realitätsnah, bezogen auf die Arbeitswelt, Jugendliche vorbereitet werden, die dann auch mit großem Engagement in den Unternehmen starten.

Dieses alles sollten wir nicht infrage stellen, auch nicht dadurch, dass wir eine Vermögenssteuer erheben, die zum Beispiel den Mittelstand erheblich treffen würde.

Deutschlandradio Kultur: Nun könnte man ja Wege finden, den Mittelstand weitgehend auszunehmen, weil, wie Sie richtig sagen, Sie sind Mittelständler, aber Sie sind auch Wirtschaftspsychologe, der Mittelstand das Rückgrat der Wirtschaft ist. Aber als Wirtschaftspsychologe, Herr Driftmann, müssen Sie doch auch sehen, dass die Bevölkerung es vielleicht satt hat und den Eindruck hat, als würden die Lasten auch für die Krise ungerecht verteilt. Die Reichen sind eben durch die freien Flüsse des Kapitals reicher geworden. Die Statistiken weisen das eindeutig auch für die Bundesrepublik nach. Müsste man die nicht stärker beteiligen?

Und Prof. Kirchhof, der ja nun wirklich nicht im Ruf steht, ein Linker zu sein, hat sich ja sogar für eine Vermögensabgabe ausgesprochen.

Hans-Heinrich Driftmann: Ja, aber wir müssen uns dann darüber unterhalten, wie eine solche Abgabe aussehen kann, wie sie definiert wird. Herr Kirchhof hat vom Ansatz her in jedem Falle Recht. Wie das dann aber umgesetzt würde, ist eher problematisch. Denken Sie allein an den Bürokratieaufwand, der damit verbunden wäre. Da fehlt mir ein bisschen die Zuversicht, dass ein solcher Weg zielführend sein könnte.

Deutschlandradio Kultur: Die Argumentation, die man aus manchen südeuropäischen Ländern hört, lautet ja auch: Deutschland und zum Teil auch die deutsche Wirtschaft sei ja ein extremer Krisengewinnler in der Zeit, weil sowohl die Exportindustrie boomt, einen großen Nutzen erwirtschaftet von der Schwäche in anderen Ländern und auf der anderen Seite auch der deutsche Staat im Moment davon profitiert. Ist das so? Sind Sie Krisengewinnler?

Hans-Heinrich Driftmann: Wir sind, wenn wir Krisengewinnler sind, das nicht geplanterweise. Es gibt ohne Zweifel Nebenaspekte, die sich im Moment positiv bei uns auswirken. Aber das ist ja keine Strategie, die angewendet worden ist. Ohne Zweifel, der Euro, der im Moment eher schwach sich darstellt, hilft schon beim Export. Wir sind eine erhebliche Exportnation. Das ist das Positive daran. Auf der anderen Seite haben wir natürlich mit vielen, vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, denn wir müssen zum Beispiel an Rohstoffe denken, die genauso wie unsere Preise von den anderen wahrgenommen werden, von uns als sehr hoch wahrgenommen werden. Also, Rohstoffe zu kaufen, ist eines der großen Risiken, eine der großen Belastungen, mit denen wir es im Moment zu tun haben.

Deutschlandradio Kultur: Herr Driftmann, Sie haben die Rohstoffpreisentwicklung angesprochen. Insbesondere ist ja auch eine Preisentwicklung im Bereich der Lebensmittel zu spüren, die besorgniserregend ist und eine Frage in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt hat. Sollte man überhaupt noch mit Getreide oder mit Mais Biosprit herstellen, wenn keine genügenden Nahrungsmittel vorhanden sind?

Hans-Heinrich Driftmann: Ich halte die Entwicklung nicht nur für psychologisch, aber auch für psychologisch verheerend. Ich habe immer, seit Jahren darauf hingewiesen, dass diese Entwicklung, die ja nicht nur in Deutschland vorangeht, sondern die weite Teile der Welt berührt, umgekehrt wird. Wir können es uns nicht leisten, wichtige Fläche für Rohstoffe, die in die Produktherstellung der Ernährung geht, für Biosprit, für Gammelmais im Wesentlichen zur Verfügung zu stellen. Ich mache mir da ganz, ganz große Sorgen, denn wir haben in früheren Zeiten mit dem Überhang von Getreide, aber auch mit Milchseen und anderen Vorräten, die hier vorhanden waren, mancher Ernährungskrise in der Welt durch Hilfslieferungen die Spitze nehmen können. Dazu sind wir nicht mehr in der Lage.

Das heißt, eine Krise irgendwo in der Welt wirkt sich jetzt unmittelbar aus, ohne dass wir wirklich in der Lage wären zu helfen. Und auch die Nahrungsmittelpreise bewegen sich natürlich deutlich nach oben, weil es gar nicht anders geht. Jede Mangelerscheinung treibt die Preise. Auch das ist durchaus nicht im Sinne der Ernährungsindustrie. Wir stellen uns vor, auf einem normalen, auf einem nachvollziehbaren Niveau zu verbleiben und lieber durch Kreativität, also neue Produkte und neue Märkte, unser Geschäft zu machen.

Deutschlandradio Kultur: Das könnte aber dazu führen, dass wir im Endeffekt dann auch auf Biosprit und auf Zusätze, wie bei dem Kraftstoff E10, Biozusatzstoffe, verzichten sollten. Plädieren Sie dafür?

Hans-Heinrich Driftmann: Ja, ich plädiere dafür, allerdings nicht nur national, sondern auch das wieder mindestens europäisch. Wir müssen aufhören, so etwas rein im Bereich unserer eigenen heimischen Industrie zu verorten.

Deutschlandradio Kultur: Ich will das mal ganz praktisch machen: Sie sind der Chef eines großen mittelständischen Lebensmittelherstellers, der im Getreidesektor, um es mal ganz allgemein zu sagen, unterwegs ist. Spüren Sie da in den letzten Jahren durch die Entwicklung beim Biosprit und bei anderen Sachen auch eine drastische Veränderung etwa Ihrer Preisstruktur oder überhaupt eine gewisse Knappheit auf Ihren Märkten?

Hans-Heinrich Driftmann: Die Knappheit ist evident. Und wenn Sie die Preisentwicklung sich anschauen, in den letzten Jahren ist der Haferpreis, um den einmal herauszugreifen, um etwas über 100 Prozent gestiegen. Das steckt man nicht so einfach weg. Das erfordert erhebliche Maßnahmen, denn 1:1 weitergeben an die Kunden ist bei der vorhandenen Handelsstruktur, bei den Erwartungen der Kunden gar nicht möglich.

Deutschlandradio Kultur: Wenn wir jetzt Ihren Vorschlag umsetzen und sagen, wir machen eben keinen Biosprit mehr, ist denn dann überhaupt die Energiewende noch zu schaffen? Das heißt, wir müssen ja doch verstärkt auf erneuerbare Energien setzen. Und da bleibt ja sonst nicht mehr viel außer Biokraftstoff. Die Windenergieparks, aber reicht das dann?

Hans-Heinrich Driftmann: Ich habe natürlich mit der Bundeskanzlerin auch das Gespräch geführt über die Zeitvorstellungen, eine Energiewende seriös zu schaffen. Ich hätte mir gewünscht, wir hätten etwas mehr Zeit dafür. Ich gehöre aber nicht zu denjenigen, die sagen, alles rückwärts, wir wollen die Energiewende nicht haben, war eine Fehlentscheidung. Nein, das glaube ich nicht.

Deutschlandradio Kultur: Sie stehen also zum Atomausstieg?

Hans-Heinrich Driftmann: Ich stehe zum Atomausstieg. Wir müssen ihn nur professionell organisieren. Und dazu gehört, dass man alle diejenigen, die eine Rolle dabei spielen müssen, nicht nur die Industrie, auch die kommunalen Gebietskörperschaften, die Länder, an einen Tisch bekommt, um zu einer Strategie zu finden, die wirklich tragfähig ist.

Und da kann ich mir schon einiges vorstellen, was noch zu tun ist, ohne dass man Biosprit bräuchte oder ohne dass man nun Getreide vergasen müsste oder ähnliche Dinge zu tun hätte. Allein die Windenergie wird ja hier in Norddeutschland zum Beispiel im Überfluss produziert. Wir können sie ja gar nicht transportieren, weil Speicherkapazitäten und Leitungen fehlen. Da müssen wir ansetzen, um die Probleme aufzuarbeiten. Und da gibt es noch viele andere Technologien, die wir noch gar nicht berücksichtigt haben. Ich denke an Wasserstofftechnologie, viele andere Dinge, die wir schleunigst auf Machbarkeit überprüfen müssen, auf Nutzbarkeit überprüfen müssen. Dann sehe ich eine Möglichkeit, die Energiewende sinnvoll zu schaffen.

Aber, wie gesagt, wir müssen alle an einen Tisch holen und in eine gemeinsame Richtung marschieren. Sonst wird es mit dem Zeitplan etwas schwierig werden.

Deutschlandradio Kultur: Haben wir da nicht auch schon wieder ein großes psychologisches Problem, dass eben die Bereitschaft, wenn wir mal beispielsweise an den Ausbau der Netze der Stromnetze denken, dass in weiten Teilen der Bevölkerung die Bereitschaft fehlt, solche Investitionen in die Zukunft überhaupt vorzunehmen, weil man Angst hat vor unmittelbarer Bedrohung durch magnetische Felder oder was auch immer?

Hans-Heinrich Driftmann: Also, ich habe von den Amerikanern und dem "German Gesamtkonzept" gesprochen. Es gibt auch "The German Angst". Wir müssen aufpassen, dass wir diese Dinge rational begreifen. Und ich stehe hinter dem Bundespräsidenten, der eingefordert hat, dass wir immer wieder sehr sorgfältig erklären, warum welche Maßnahme erforderlich ist, welche Weiterungen das hat, welche Vorteile und Nachteile das mit sich bringt.

Ich glaube, dass jeder Deutsche, jeder Staatsbürger so rational ist, so rational denken kann, dass er Argumenten gegenüber zugänglich ist. Man muss sie ihm nur plausibel erklären. Dass viele derjenigen, die sich gegen Atomkraft gewendet haben, teilweise sehr massiv und öffentlich wirksam, jetzt sich gegen Netze wenden, die erforderlich sind, um die Energiewende hinzukriegen, kann ich nur als interessante Taktik zur Kenntnis nehmen.

Deutschlandradio Kultur: Herr Driftmann, rational erklären, dieses Stichwort möchte ich jetzt mit Bezug auf ein anderes Themenfeld aufgreifen. Hat die Regierung Ihrer Meinung nach das Betreuungsgeld rational erklärt? Oder setzen wir hier nicht auf das falsche Pferd? Brauchen wir nicht mehr Kitas, brauchen wir nicht mehr Möglichkeiten auch für Mütter, die dann in Ihrem mittelständischen Betrieb auch arbeiten können?

Hans-Heinrich Driftmann: Ich gehe davon aus, dass es - das entspricht dem Wissensstand von heute - viele Frauen gibt, die gerne arbeiten möchten. Und für die muss eine Lösung gefunden werden, damit nicht Kinder unter diesem Wunsch der Mütter leiden. Und da wir ja auch ein Problem mit der Bevölkerungspyramide haben, kann ich mir vorstellen, dass dazu eine Menge getan wird, etwa mit Hilfe der Kitas. Auch pädagogisch halte ich einen solchen Weg wirklich für vertretbar.

Deutschlandradio Kultur: Besser als Betreuungsgeld?

Hans-Heinrich Driftmann: Mit dem Betreuungsgeld habe ich so meine Probleme. Das ist hin und her diskutiert worden. Ich habe auch mit der Frau Familienministerin sehr intensive Gespräche darüber gehabt. Die Sinnhaftigkeit eines solchen Betreuungsgelds hat sich mir nicht erschlossen.

Deutschlandradio Kultur: Als wir mit dem Taxi vom Bahnhof hierher fuhren, sagte der Taxifahrer zu uns: "Wenn alle so handeln würden, wie der Herr Driftmann in seinem Unternehmen, dann ginge es der deutschen Wirtschaft, dem deutschen Mittelstand zumindest, deutlich besser." Was machen Sie anders als viele andere?

Hans-Heinrich Driftmann: Wir haben den Vorteil eines familiengeführten Mittelstandsunternehmens. Das heißt, wir können fürsorglich sein unseren Mitarbeitern gegenüber, ohne dass wie in einer internationalen Kapitalgesellschaft Aktionäre ankämen und sagen: "Wo bleibt die Rendite?" Es bleibt uns überlassen, ob wir mal an der einen oder anderen Stelle Verzicht üben. Es ist wichtiger, unsere Mitarbeiter wirtschaftlich abzusichern, die ja in Teilen schon in dritter Generation bei uns arbeiten. Diese Möglichkeiten, die schöpfen wir aus.

Deutschlandradio Kultur: Herr Driftmann, Sie haben erklärt, Sie wollten nicht für eine zweite Amtszeit als DIHK-Präsident kandidieren. Liegt das daran, weil Sie einfach die reguläre Altersgrenze erreichen? Oder haben Sie keine Lust mehr, sich immer mit der Politik anlegen zu müssen?

Hans-Heinrich Driftmann: Nein, im Gegenteil, das hat durchaus Freude gemacht, auch mal kritische Töne in Richtung Politik zu versenden. Ich glaube, dass vier Jahre in einer Krisenzeit richtig sind, ausreichend sind und dass nun auch jemand rankommen sollte, der nach Möglichkeit jünger ist als ich.

Deutschlandradio Kultur: Eric Schweitzer zum Beispiel von der Berliner Kammer?

Hans-Heinrich Driftmann: Ich habe gehört, dass der Name in Berlin ventiliert wird. Es sind auch andere Namen im Gespräch. Aber den könnte ich mir in der Tat zum Beispiel vorstellen.

Ich glaube, dass es nach vier Jahren richtig ist, sich auf andere Felder zu stürzen. Ich muss hier die Unternehmernachfolge noch sicherstellen. Hier gibt es einiges zu tun. Und natürlich bin ich ja im öffentlichen Bereich nicht ausgeklinkt, sondern habe noch eine Reihe anderer Funktionen, in denen ich noch ein bisschen mitarbeiten kann.
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