Die Weintrinker in der Tierwelt

Von Udo Pollmer · 01.11.2009
Die Zeit der Weinfeste ist gekommen, aber statt sich, wie von Experten empfohlen, an den süßen Trauben gütlich zu tun, spricht der Verbraucher lieber dem jungen Wein oder gar den Obstbränden zu, bis der Schädel brummt. Wäre es da nicht besser, dem Menschen wäre die Kunst der Alkoholherstellung versagt geblieben und er müsste sich, wie die Tiere, am naturbelassenen Obst gütlich tun?
Es stimmt schon: Tiere legen keinen Weinkeller an und brennen auch keinen Grappa. Aber zum Weinfest sind sie gern zur Stelle. Aber dennoch steht in Sachen Alkohol die Tierwelt dem Menschen in nichts nach. Denn alle Lebewesen, die Beeren, die Früchte verzehren, sollten auch an den Konsum von Alkohol angepasst sein. Nach der Reife, nach den ersten Nachtfrösten, gehen die Früchte in Gärung über. Wer da in der Tierwelt nicht einigermaßen trinkfest ist, bleibt beim Kampf ums Fallobst auf der Strecke. Das brachte Evolutionsbiologen auf die Idee, daher rühre der Hang des Menschen zu fruchtigen Likören und Longdrinks.

Tiere suchen meist sogar gezielt nach Vergorenen – angefangen von der Fruchtfliege bis hin zum Elefanten. Aus Asien kommen immer wieder Klagen über Dickhäuter, weil sie in den Dörfern nach Vorräten von Reisbier suchen. Sturzbesoffen fangen sie dann an zu randalieren. Andere Tiere bauen im trunkenen Zustand Verkehrsunfälle. Vögel zum Beispiel fliegen betrunken gegen Bäume und bleiben dann k.o. liegen. Merke: Auch in freier Natur gilt "Don’t drink and fly!" Aber offenbar interessiert das kein Schwein. Man sieht: Tiere sind auch nur Menschen. Auch sie trinken gern einen über den Durst. Und müssen dann die Folgen tragen.

Vorbildlich hingegen verhält sich ein Tier namens Ptilocercus lowii, - das malaysische Federschwanz-Spitzhörnchen, auch Saufhörnchen genannt. Nicht etwa, dass es sich nur selten auf einem der vielen Weinfeste blicken ließe, nein, es ist ein Stammgast: Das Tierchen nährt sich tagein tagaus vom vergorenen Nektar der Bertampalme. Mit fast vier Volumenprozent ist das die höchste Alkoholmenge, die in freier Wildbahn gemessen wurde. Obwohl die Hörnchen nachts mehr als zwei Stunden in ihrer Wipfel-Kneipe frisch gezapften Palmwein picheln und auch tagsüber an den Blütenständen nuckeln - der Mediziner spricht vom "Spiegeltrinker" -, zeigen sie keinerlei Anzeichen von Suff – einmal abgesehen von ihren rötlich schimmernden Säufernäschen.

Weinfeste oder auch Kneipen sind also keine originäre Erfindung des Menschen. Sie sind, wenn ich so sagen darf, das natürlichste der Welt. Die Formulierung mag dem einen oder anderen viel zu hoch gegriffen sein, aber selbst am Himmelzelt wird der Zecher fündig. Astronomen haben in den letzten Jahren im Weltall unvorstellbar große Nebel voller Alkohol gefunden – so wurde die Gaswolke Sagittarius B2 auch unter Ernährungsfachleuten populär. Sie enthält entgegen den politisch-korrekten Darstellungen unserer Medien nicht nur giftiges Methanol. Selbstverständlich gibt’s auch im Weltall reichlich Ethanol. Wenn also Captain Spock im Raumschiff Enterprise absonderlichen Gestalten begegnet sein will, hat er vielleicht nur zu tief ins Fernglas geschaut.

So bleibt uns Irdischen nur noch das Panschen als evolutionäre Eigenleistung, das uns vom Tier unterscheidet. Doch woher hat die Menschheit diese Gabe? Woher kam das gefürchtete Frostschutzmittel der Weinpanscher, das Ethylenglykol? Vielleicht brachte es ein himmlischer Bote in die Weinkeller: Im Schweife des Kometen Hale-Bopp entdeckten Astronomen – na was wohl: lupenreines Äthylenglykol. Insofern ist der Himmel, wenn er blau ist, nicht nur voller Geigen, sondern auch voll des gepanschten Weines. Prost!

Literatur:
-Beloche A et al: Increased complexity in interstellar chemistry: detection and chemical modelling of ethyl formate and n-propyl cyanide in Sagittarius B2(N). Astronomy & Astrophysics 2009; 499: 215-232
-Bhaumik S: Drunken elephants die in accident. BBC News v. 23. Jan. 2004
-Brookes M: Beastly drunk. New Scientist 1999, 27.11. p.44-47
-Crovisier J et al: Ethylene glycol in comet C/1995 O1 (Hale-Bopp). Astronomy & Astrophysics 2004; 418: L35-38
-Wiens F et al: Chronic intake of fermented floral nectar by wild tree shrews. PNAS 2008; 105: 10426-10431