Die Versklavung durch Bits und Bytes

25.01.2012
In dem Thriller von Florian F. Weyh wird die zunehmende Erfassung unserer Lebenswelt durch das Netz zum paranoiden Szenario ausbaut. Ein streckenweise arg spekulatives, grundsätzlich aber unterhaltsames Buch.
Wer bei den Empfehlungen von Facebook und Google schon immer ein mulmiges Gefühl hatte - woher wissen die, welche Musik ich höre, welche Filme ich mag oder welche Menschen mir nahestehen? -, der kann sich seine Ängste jetzt in Romanform bestätigen lassen.

Man könnte das Buch einen Dokuroman mit fantastischen Momenten nennen: Alle Institutionen des World Wide Web kommen in leicht verschlüsselter Form zum Tragen. Google ist Toggle, Facebook wird zu Myface, die Google-Gründer Larry Page und Sergei Brin treten als Cage und Grin in Erscheinung. Sie sind es auch, die in einer Fernsehsendung der amerikanischen Moderatorin Aphra (also: Oprah Winfrey) einen Suchwettbewerb ausloben: Wer ein bestimmtes Lösungswort ergoogelt, erhält die Stimmrechtsmehrheit im Konzern. Die Aktion läuft zwei Tage, Millionen laden wie verrückt Bücher herunter, weil sie darin Antworten auf die Quizfragen vermuten. "Wir blenden Anzeigen ein", sagt ein Toggle/Google-Mann erfreut. Was für ein Marketingkniff!

Nur beunruhigt die Geschäftsaktion gleich mehrere Akteure stark: den amerikanischen Präsidenten etwa, weil die Sicherheitsdienste aus den Suchanfragen innenpolitische Gefahrenlagen errechnen und Nachbarländer ausspionieren können, worauf sie in Zukunft nicht verzichten möchten. Beunruhigt ist auch ein russischer Oligarch, der Myface und Toggle fusionieren will, um mit deren Hilfe eine Revolution anzuzetteln. "Kommunismus ist Oligarchenmacht plus Digitalisierung", erklärt der Milliardär und Lenin-Kenner und meint damit eine Umwälzung des Staatswesens gemäß der Galiani-Formel, die Bürgern das Stimmrecht gemäß ihren sozialen Fähigkeiten zuerteilt. Diese lassen sich am Besten über die Algorithmen von Toggle und Myface errechnen. Warum auch soll die Wählerstimme eines Rentners ebenso viel Einfluss haben wie die eines gut vernetzten Medienschaffenden Anfang 20?

Galiani, das war ein neapolitanischer Nationalkökonom des 18. Jahrhunderts (er ist auch der Namenspatron von Weyhs Verlag, einem Imprint von Kiepenheuer & Witsch). Das Buch stellt ihn uns in Rückblenden als genialen Emporkömmling vor, der mit seiner Formel das Steuerwesen umkrempeln wollte. In der Gegenwart des Romans ist das Verfahren dann das Objekt der Begierde einer ganzen Riege von Dunkelmännern und Intriganten, darunter neben dem besagten Oligarchen ein ominöser "Clubs der Tausend", eine Vereinigung von Hochbegabten, die eine Diktatur der Intelligenzbestien errichten will.

Gibt es denn gar keine Guten in diesem Szenario? Doch, da wäre Herr Holzwanger, der Chef von Toggle Deutschland. Ein liebenswürdiger, vom Unternehmen als Marionette eingesetzter Familienmensch, der aber am Ende höchst selbständig und mit Hilfe seiner supersmarten Gattin dem Verschwörungstreiben ein Ende setzt. Bis es soweit ist, hat man eine streckenweise arg spekulative, grundsätzlich aber unterhaltsame Bebilderung unseres liebsten Zeitgeistschreckens genossen: die Versklavung durch Bits und Bytes, weil sich eine Suchmaschine zum Weltgeist aufschwingt.

Besprochen von Daniel Haas

Florian Felix Weyh: Toggle
Galiani, Berlin
428 Seiten, 19,99 Euro