Die Vermessung der Nachbarwelt

Von Jörg Wunderlich · 08.06.2013
Die geglückte Landung und erfolgreiche Arbeit des NASA-Rovers Curiosity hat eine Euphorie rund um die Erkundung des Mars ausgelöst. Hilfestellung geleistet bei dieser spektakulären Mission haben auch die Europäer. Die ESA-Sonde MarsExpress unterstützte die Landung mit Datenübertragungen.
Genau zehn Jahre ist es her, als mit der Raumsonde MarsExpress der erste europäische Weltraumflug zu einem anderen Planeten gestartet wurde. Seitdem umkreiste der mit Hightech ausgestattete Satellit über 12.000 Mal den Planeten. Die Mission wurde eine der erfolgreichsten Weltraumprojekte der Europäer überhaupt. Am dritten Juni 2013 zog die Europäische Weltraumagentur ESA in Darmstadt nach einer Dekade Bilanz.

Führende beteiligte Wissenschaftler wie Jean-Pierre Bibring oder Olivier Witasse fassten die Forschungsergebnisse der ESA bei der Marserkundung zusammen. Ausgestattet mit hochauflösender Kamera, Radar, Spektrometern und Sensoren lieferte die Sonde tiefenscharfe Bilder und ermöglichte eine genaue geophysikalische Kartierung. Untersucht wurden alle Sphären des Planeten, sodass ein wirklich umfassendes wissenschaftliches Bild des Mars entstehen konnte.

Die Mission wurde schon viermal verlängert
Unter anderem wurden auch die kilometerdicken Eisschichten am Nord- und Südpol vermessen und auf ihre Bestandteile untersucht. Mit überraschendem Ergebnis: Auf der Marsoberfläche gibt es so viel gefrorenes Wasser, dass es in flüssiger Form den Planeten komplett überfluten würde. Für die rote Färbung des Mars scheidet Wasser als Ursache jedoch aus. Trotzdem weisen geologische Spuren auf flüssiges Wasser in früherer Zeit hin. Die ESA-Forscher vermuten eine dramatische Klimaveränderung vor 3,5 Milliarden Jahren als Ursache für die Austrocknung. Die Mission, die ursprünglich nur für zwei Jahre vorgesehen war, wurde wegen der vielen Entdeckungen schon viermal verlängert und soll auch noch in den kommenden Jahren noch weitergeführt werden.
"Es ist immer wichtig, dass man nicht nur eine globale Abdeckung hat, sondern dass man auch sieht, wie die sich entwickelt hat, wenn man ein paar Jahre später noch mal guckt.
Jeder zusätzliche Monat, den MarsExpress noch aktiv ist, wird dazu beitragen."

Sagt Michael Khan, Missionsanalytiker bei der ESA in Darmstadt, und nennt gleich zwei Highlights, die in den kommenden Monaten auf den Mars-Satelliten warten.

"Dass man den einen Mond Phobos noch mal aus nächster Nähe beobachten und einen Kometen am nahen Vorbeiflug am Mars beobachten, ja vielleicht sogar interagieren kann, also durch die äußersten Schichten der Gashülle fliegt, das ist natürlich ein Glücksfall."

Michel Deny ist als Leiter des Flugkontrollteams von Anfang an bei der MarsExpress-Mission dabei. Nach all den Jahren hat er nicht nur ein besonderes Verhältnis zum Mars, sondern auch zu seinem eigenen Planeten bekommen:

"Wenn ich so neben meinem kleinen Fluss laufe, denke ich, so viel Wasser, so viel Grün, oh, Gott sei Dank, ist es so schön hier. Weil der Mars ist sehr interessant, aber so mineralisch - es ist eine Wüste."

Antworten auf eine der wichtigsten Fragen der Menschheit
Eines steht fest: Die heutigen Bedingungen auf dem Mars sind tatsächlich unwirtlich im Vergleich zur Erde. Die einhundertmal dünnere Atmosphäre besteht zu 95 Prozent aus Kohlendioxid und ähnelt in ihrer Zusammensetzung den von Menschen produzierten Autoabgasen. Die Durchschnittstemperaturen liegen etwa bei minus 68 Grad Celsius und können auf unter minus 100 Grad sinken. Hinzu kommen globale Staubstürme, die eine Mächtigkeit von Tausenden Metern und Spitzengeschwindigkeiten von über 100 Kilometern in der Stunde entwickeln können. Weil der Mars weder eine Ozonschicht hat noch von einem Magnetfeld umgeben ist, prallt zudem tödliche UV-Strahlung der Sonne auf die Oberfläche.

Trotz dieser widrigen Bedingungen könnte gerade die Erforschung dieses Planeten Antworten auf eine der wichtigsten Fragen der Menschheit liefern.
"Wenn man in diesem Jahrzehnt tatsächlich den Nachweis bringen könnte, dass Leben irgendwo anders außerhalb dieser Erde existiert, dann kann dieser Nachweis auf Mars gebracht werden."

Fasst Thomas Reiter, deutscher Rekordastronaut und ESA Direktor für bemannte Raumfahrt, das oberste derzeitige Forschungsziel zusammen. Denn es ist durchaus möglich, dass der Mars in früherer Zeit ähnlich wie die Erde komfortable Bedingungen für die Entstehung einer Biosphäre geboten hat. Dass der NASA-Marsrover Curiosity bislang keine Spuren organischen Lebens finden konnte, ist für Reiter kein Grund zu voreiligem Pessimismus:

"Es kann damit zusammenhängen, dass man nicht am richtigen Ort ist, dass man eben auch nicht genau diese wissenschaftliche Zielstellung hat. Klar - wenn man jetzt natürlich auf der Oberfläche zum Beispiel Versteinerungen von irgendwelchen Mikroorganismen finden würde, dann wäre das solch ein Durchbruch. Die Wahrscheinlichkeit, dass man das mit Curiosity findet ist nicht sehr hoch. Man muss dazu auch tatsächlich auch mal in die Tiefe gehen, um solche Proben dann zu analysieren und möglicherweise das Leben dann nachzuweisen."

Die nächste europäische Marsmission heißt ExoMars und soll 2016 starten. Die Vorsilbe Exo steht dabei nicht nur für Exploration, also Erkundung, sondern auch für Exobiologie - Leben außerhalb unseres Planeten. Ein automatisches Forschungsfahrzeug soll ab 2019 dann besagte Tiefenbohrungen bis zu zwei Metern durchführen. Mit einem bordeigenen Labor wird der Rover auch eventuell vorhandene Spuren von Bioorganismen erkennen können. Die Chancen, dass zu diesem Zeitpunkt der verdienstvolle Satellitenveteran MarsExpress immer noch funktioniert, stehen gar nicht schlecht, meint Flugoperationsleiter Michel Deny:

"Ich schätze mal, wir können mindestens sechs bis acht Jahre überleben. Natürlich ist das ein alter Satellit und könnte jederzeit kaputtgehen, aber wenn er bis 2017 überlebt, dann kann er als Relay für die ExoMars - Mission danach 2019 als Relay für den ExoMars Rover, den Exobiology Rover eine Funktion spielen."

Foto vom "ExoMars"-Lander
Foto vom "ExoMars"-Lander© ESA
Alles erinnert an den Wettlauf um die erste Mondlandung
Bislang ist es nur den USA geglückt, einen fahrbaren Forschungsroboter heil auf der Marsoberfläche zu landen. Nasa Chef Charles Bolden ließ es sich nicht nehmen, persönlich die erste interplanetarische Voicemail nach der Landung im August 2012 von Curiosity auf die Erde zu senden. Den ersten Popsong vom Mars gab es bei diesem Medienspektakel gleich noch mit dazu.

Parallel zur europäischen ExoMars-Mission will auch die Nasa 2016 einen weiteren Erkundungssatelliten zum Mars schicken. 2020 soll dann der nächste US-Forschungsroboter nach Curiosity folgen. Bei ExoMars sind die Amerikaner dagegen wegen angeblicher Finanzierungsprobleme vorerst als Partner ausgestiegen. Das alles erinnert an den Wettlauf um die erste Mondlandung in den sechziger Jahren.

Neu ist aber, dass nicht nur Staaten, sondern auch Privatunternehmen als Konkurrenten beteiligt sind. ESA-Raumfahrtdirektor Thomas Reiter ist sich sicher, dass das große Ziel einer bemannten Marsmission nicht mehr fern ist und rechnet mit einer kooperativen Zusammenarbeit aller Akteure:

"Ich hab keinen Zweifel, dass in zehn, zwanzig, dreißig Jahren tatsächlich Menschen zu unserem Nachbarplaneten aufbrechen, landen und wieder zurückkehren werden. Und ich denke, es gibt ganz klare Anzeichen dafür, dass man Kooperation nicht nur unter den rein politischen Gründen sieht, sondern auch aus Zweckgebundenheit."

Denn eines werden diese Marsflüge garantiert nicht: billig. Und genau hier liegt die Chance für private Raumflugfirmen, die bereits gezeigt haben, dass sie als Dienstleister Transporte sicher und wesentlich günstiger als die großen staatlichen Agenturen in den Orbit bringen können.

"Klar gibt es dort eine ganz deutliche Entwicklung in den USA, nun muss man schauen, wie sich das weiterführen lässt. Die ersten Missionen die wir hier gesehen haben von der Firma SpaceX sind sehr vielversprechend."

Eine Absage dagegen erteilt der erfahrene Langzeitastronaut Thomas Reiter den viel diskutierten Plänen privater Konsortien von einer baldigen kommerziellen Marsbesiedlung mit freiwilligen Pionieren:

"Die Reisezeit ist ein wichtiger Faktor. Zweitens, wenn man auf dem Weg zum Mars ist, ist man natürlich einer erhöhten Strahlung ausgesetzt. Hier macht man heute schon Forschung, möglichst leichte Abschirmmaterialien zu finden, um das zu ermöglichen. Die Versorgung der Crew, wenn man dann auf der Oberfläche des Nachbarplaneten steht, möglicherweise dortige Ressourcen zu nutzen, da gibt es noch einige Dinge, die zu lösen sind, und damit befassen sich die großen Raumfahrtagenturen. Aber so, wie das heute von manchen Entrepreneuren dargestellt wird - wir machen eine kommerzielle Mission ohne Rückfahrticket - das halte ich ehrlich gesagt für ein bisschen Utopie."


Aktuelle Bilder von der Marsoberfläche, aufgenommen mit der in Deutschland entwickelten hochauflösenden Kamera, gibt es auf der Website der ESA
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