"Die Spreu vom Weizen trennen"

Wolf-Dieter Ludwig im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 16.05.2013
Durch das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz könne die Qualität der Medikamente verbessert werden, sagt Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission. Auch bereits zugelassene Medikamente könnten damit erneut überprüft werden. Doch das neue Gesetz ist nur ein erster Schritt.
Jan-Christoph Kitzler: Das Geschäft mit der Gesundheit - ein gigantischer Markt ist das hierzulande. In Deutschland werden zum Beispiel jedes Jahr über 31 Milliarden Euro für Arzneimittel ausgegeben. Und wenn man darüber nachdenkt, wo man denn sparen könnte, dann ist das natürlich ein Ansatzpunkt.

Müssen es immer die neuesten und oft teureren Medikamente sein, oder reichen nicht auch die bewährten Mittel, die vielleicht genau so gut wirken? Diese Frage hat auch die Bundesregierung sich gestellt und 2011 beantwortet mit dem sogenannten Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz. Ein spannendes Wort, vorgesehen ist unter anderem, dass Medikamente, auch die, die schon auf dem Markt sind, noch einmal neu bewertet werden, was denn die Basis ist für die Verhandlung über die Preise zwischen Herstellern und Krankenkassen.

Dagegen hat der Pharmakonzern Novartis geklagt - gestern aber hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg entschieden, die Pharmakonzerne können zwar gegen Preissenkungen juristisch vorgehen, aber nicht gegen eine erneute Überprüfung von Medikamenten sich wehren. Darüber spreche ich mit Wolf-Dieter Ludwig, er ist Chefarzt der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie am Helios-Zentrum in Berlin-Buch und zugleich auch Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft.

Schönen guten Morgen, Herr Ludwig!

Wolf-Dieter Ludwig: Guten Morgen, Herr Kitzler!

Kitzler: Ist denn dieses Urteil eine gute Nachricht für uns Patienten?

Ludwig: Dieses Urteil ist unbedingt eine gute Nachricht, da wir dadurch die Qualität der Arzneimittelversorgung verbessern werden und erstmals in Deutschland auch die Möglichkeit haben, Arzneimittel, die sich bereits auf dem Markt befinden, hinsichtlich ihres Nutzens oder auch ihres Zusatznutzens gegenüber den bereits zugelassenen Arzneimitteln zu beurteilen.

Kitzler: Bei all dem muss man sagen, es geht möglicherweise noch vor dass Bundessozialgericht - also das ist noch nicht die letzte Instanz -, aber wir können ja vielleicht schon mal versuchen zu verstehen, wie man sich das vorstellen muss: Bringen die Pharmakonzerne denn neue Medikamente auf den Markt, die nicht unbedingt besser sind, aber für die sie dann mehr Geld verlangen können?

Ludwig: Gut, die Vorstellungen von Innovation unterscheiden sich sehr bei pharmazeutischen Unternehmen und Ärzten und Patienten. Pharmazeutische Unternehmen gehen von einem innovativen Arzneimittel aus, wenn es ein neuer Wirkstoff ist, der möglicherweise auch in einem neuen Verfahren hergestellt wurde, zum Beispiel ein Antikörper, und dieser neue Wirkstoff dann natürlich auch neue Umsätze generieren wird.

Für Ärzte und Patienten ist eine Innovation erst dann entscheidend, wenn sie auch einen therapeutischen Fortschritt für die Patienten bedeutet, egal, ob es sich um einen neuen Wirkstoff oder ein neues Wirkstoffprinzip handelt. Und gerade diese Innovation, der therapeutische Fortschritt, kommt viel zu selten auf den Markt, wir können für die letzten 20 Jahre sagen, dass nur etwa 20 von 100 neuen Arzneimitteln tatsächlich einen Fortschritt bedeuten. Das heißt, 80 dieser neu zugelassenen Arzneimittel sind eigentlich überflüssig.

Kitzler: Das heißt, 80 Prozent sind reiner Kommerz, kann man das so zusammenfassen?

Ludwig: Das ist vielleicht übertrieben, weil natürlich sich der Nutzen eines Arzneimittels dann auch erst auf dem Markt zeigt. Aber wir können sagen, dass bei 80 der 100 Arzneimittel zum Zeitpunkt der Zulassung wir absolut unsicher sind, ob sie überhaupt irgendeinen Nutzen haben, aber in der Regel sind sie natürlich deutlich teurer als die bereits auf dem Markt befindlichen Arzneimittel.

Kitzler: Jetzt könnte man natürlich den schwarzen Peter einfach Ihnen zuschieben, also den Ärzten, und sagen: Na, dann verschreibt doch einfach das günstigere Medikament, wenn es genau so gut wirkt.

Ludwig: Gut, da muss man natürlich berücksichtigen, dass in dem Moment, wo ein Arzneimittel auf den Markt kommt, eine enorme Marketingstrategie einsetzt, die ist umso größer, desto weniger der Nutzen bewiesen ist. Das bedeutet, dass Ärzte häufig zum Zeitpunkt der Zulassung gar keine richtigen, unabhängigen Informationen haben, was dieses Arzneimittel eigentlich leisten kann, und gerade deswegen ist auch dieses Gesetz, was Sie erwähnt haben, zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes so wichtig, weil erstmals in Deutschland innerhalb des ersten Jahres nach Zulassung unabhängige Informationen erzeugt werden, an denen sich dann verordnende Ärzte auch orientieren können.

Kitzler: Die Pharmakonzerne haben natürlich Bauchschmerzen mit diesem Gesetz, schon aus wirtschaftlichen Gründen, natürlich, auf der anderen Seite führen sie ein Argument ein, dass nämlich Innovation gehemmt wird. Viele Ihrer Krebspatienten zum Beispiel, die Sie behandeln, sind schwer krank, hoffen vielleicht auf neue Medikamente, neue Präparate, und hält dieses Gesetz nicht die Pharmakonzerne davon ab, bessere Medikamente zu entwickeln?

Ludwig: Das glaube ich nicht. Gerade im Bereich der Krebsmedizin gibt es eine Vielzahl neuer Medikamente, die auf den Markt kommen, wir können sagen, fast ein Drittel der neu zugelassenen Wirkstoffe weltweit sind Medikamente zur Behandlung von Krebserkrankungen, auch hier gilt natürlich, dass nicht unbedingt ein neuer Wirkstoff ein besserer Wirkstoff ist.

Und gerade in der Onkologie erwarten wir, dass diese neuen Wirkstoffe dann auch in unabhängigen klinischen Studien gründlich untersucht werden, damit wir unseren Patienten den Nutzen dieser Arzneimittel auch vernünftig erklären können.

Kitzler: 31 Milliarden Euro im Jahr werden ausgegeben für Arzneimittel, das ist ein riesiger Batzen. Ist das, was da jetzt an Einsparung erzielt werden kann durch dieses neue Gesetz ausreichend, oder sehen Sie da auch noch weiteres Potenzial?

Ludwig: Gut, wir haben gesehen, wenn man sich nur mit den neuen Wirkstoffen beschäftigt, werden die Einsparungen nie und nimmer die 2,2 bis 2,4 Milliarden Euro erreichen, die sich die Politik bei Verabschiedung dieses Gesetzes erhofft hat. Deswegen ist es so wichtig, dass dieses Urteil jetzt auch erlaubt, Arzneimittel des Bestandsmarktes zu untersuchen, einer frühen Nutzenbewertung zu unterziehen.

Und ich denke, es geht jetzt nicht um die 31 Milliarden Euro, die wir für die gesetzliche Krankenversicherung ausgeben, es geht um die Frage, ob diese 31 Milliarden Euro wirklich für bessere Arzneimittel ausgegeben werden, oder ob wir nicht in diesem Bereich, auch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, ein deutliches Einsparpotenzial haben, was dann für andere Ausgaben in unserem Gesundheitssystem vielleicht besser eingesetzt werden kann.

Kitzler: Kann ich Sie so zusammenfassen, das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz - jetzt sage ich es noch mal - ist eine gute Maßnahme der Bundesregierung?

Ludwig: Es ist aus meiner Sicht ein erster Schritt, wir würden uns unbedingt im Zusammenhang mit diesem Gesetz auf eine verstärkte unabhängige klinische Forschung nach der Zulassung neuer Arzneimittel wünschen, wenn wir dann die wichtigen Fragen für unsere Patienten endgültig beantworten können.

Kitzler: Wie ist eigentlich das Zusammenspiel von Ärzteschaft und der forschenden Pharmaindustrie? Zieht man da an einem Strang oder sind die Interessen wirklich so gegensätzlich, wie Sie das zum Teil beschrieben haben?

Ludwig: Ich denke, mit den wissenschaftlichen Abteilungen der forschenden Arzneimittelindustrie ziehen wir absolut an einem Strang. Wir können unsere Erfahrungen aus dem klinischen Alltag einbringen. Was wir vehement kritisieren, auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, sind die unseriösen Marketingstrategien, die Nutzen suggerieren, der nicht vorhanden ist.

Kitzler: Und für die Patienten bedeutet das Gesetz jetzt auch neue Hoffnung, indem es vielleicht günstiger wird?

Ludwig: Ich glaube, für die Patienten ist dieses Gesetz auch ein wichtiger erster Schritt, da wir jetzt wirklich die Spreu vom Weizen trennen können und sagen können, diese Arzneimittel haben einen eindeutigen Zusatznutzen. Bei einigen wissen wir es nicht, da brauchen wir weiter klinische Studien, und bei einigen wissen wir es, oder sehen wir, dass sie überhaupt keinen Zusatznutzen haben, aber sehr hohe Preise dafür zu bezahlen sind.

Kitzler: Wolf-Dieter Ludwig, Chefarzt der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie am Helios-Klinikum in Berlin-Buch, zugleich ist er Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Herr Ludwig, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

Ludwig: Ich danke Ihnen, Herr Kitzler!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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