Die SPD und CETA

Wunschdenken in Wolfsburg

Der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel spricht beim SPD-Parteikonvent in Wolfsburg.
Hat sich für das Freihandelsabkommen zwischen EU und Kanada stark gemacht: SPD-Chef Sigmar Gabriel. © dpa / picture alliance / Julian Stratenschulte
Hilde Mattheis im Gespräch mit Dieter Kassel  · 20.09.2016
SPD-Chef Sigmar Gabriel hat's geschafft - beim SPD-Parteikonvent hat sich die Mehrheit der Delegierten für das Freihandelsabkommen CETA ausgesprochen. Trotzdem bestehe eine große Diskrepanz zur Basis, sagt die SPD-Abgeordnete und CETA-Gegnerin Hilde Mattheis.
Der SPD-Parteikonvent hat sich grundsätzlich für das Freihandelsabkommen mit Kanada ausgesprochen, eine Mehrheit der Delegierten stimmte in Wolfsburg für das Abkommen zwischen der EU und Kanada - und damit für die Linie des SPD-Parteivorsitzenden. Also alles in Butter? Mitnichten, sagt die SPD-Abgeordnete und CETA-Gegnerin Hilde Mattheis.
Die Kompromisslösung, die ausgehandelt worden war, um auf die Bedenken der CETA-Gegner einzugehen, sei nur scheinbar ein Mittelweg, so Mattheis im Deutschlandradio Kultur. Mit dem Text nehme die Partei keine klare Haltung ein. Mattheis verwies auf Formulierungen wie 'Wir werden uns dafür einsetzen oder 'Wir wünschen uns': "Das sind Sätze, die nicht überzeugen können."

Harte Front gegen CETA an der Basis

Dass sich die Mehrheit der Delegierten dennoch für den Kompromiss ausgesprochen habe, liegt laut der SPD-Abgeordneten daran, dass die ganze Partei- und Fraktionsspitze dafür geworben hat. Gleichzeitig sei die kanadische Handelsministerin aufgetreten und habe "sehr sympathisch" für CETA geworben. Mattheis: "Das sind dann schon so Mechanismen, die nachvollziehbar sind."
Trotzdem gehe sie davon aus, "dass in der Mitgliedschaft eine harte Front gegen CETA existiert", sagt Mattheis. Parteien sind nun einmal hierarchisch strukturiert und je nachdem, welche Gremien tagten, gebe es eine überwiegende Repräsentanz von Funktionären und Mandatsträgern. "Da glaube ich ist auch ein Stück weit eine Diskrepanz zu dem, was an Meinung an der Parteibasis bei den Mitgliedern ohne Funktion und Mandaten vorherrscht."

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Sigmar Gabriel dürfte gestern ein schwerer Stein vom Herzen gefallen sein, so sah er ehrlich gesagt auch aus am Ende des Parteikonvents in Wolfsburg, wo sich immerhin eine satte Mehrheit von zwei Dritteln der SPD-Mitglieder für das CETA-Abkommen, das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada ausgesprochen hat – ein Abkommen, für das er sich ja zuvor schon so deutlich eingesetzt hatte, dass das doch sehr unangenehm geworden wäre, wenn das gestern nicht geklappt hätte. Hat es aber nun, weil ein Kompromiss ausgehandelt wurde, mit dem offenbar auch die CETA-Gegner zufrieden sind. Aber wirklich alle? Das wollen wir jetzt von Hilde Mattheis wissen, sie ist SPD-Bundestagsabgeordnete, Vorsitzende des Forums Demokratische Linke 21, gehört also damit dem linken Flügel ihrer Partei an und sie war zumindest bisher erklärte CETA-Gegnerin. Schönen guten Morgen, Frau Mattheis!
Hilde Mattheis: Guten Morgen!
Kassel: Sind Sie es immer noch?
Mattheis: Natürlich. Weil, die Argumente, die gestern ausgetauscht worden sind, haben mich nicht überzeugt, meine Haltung war gestern klar, ist heute klar und ich glaube, dass wir diese Debatte fortsetzen müssen.
Kassel: Nun heißt es doch, Sigmar Gabriel sei auf die CETA-Gegner zugegangen. Haben Sie sich nicht als zugegangenes Objekt empfunden?
Mattheis: Na ja, das ist so eine subjektive Wahrnehmung. Ich glaube, dass es gestern darum ging, Ja oder Nein zu sagen, und ein Zugehen bedeutet in meinen Augen, dass man in einem Text nach Kompromisslösungen gesucht haben, bei dem man feststellen wird, dass diese Kompromisslösungen welche sind, die nur scheinbar irgendwie einen Mittelweg bedeuten, weil ich nämlich glaube, dass wir mit diesem Text, der jetzt beschlossen worden ist, nicht eine klare Haltung einnehmen, sondern irgendwie nur auf Wünsche eingegangen sind, die sich nicht realisieren lassen.

Kompromiss ohne klare Haltung

Kassel: Ich habe bei diesem Text, den Sie da meinen, bei diesem Kompromiss das Gefühl, man hat jetzt beschlossen, es dürfen viel mehr mitreden als bisher geplant, aber ja nichts entscheiden, oder?
Mattheis: Na ja, es dürfen mehr mitreden, das haben wir bisher auch getan, und es geht vor allen Dingen um solche Wörter wie "Wir werden uns dafür einsetzen …" oder "Wir wünschen uns …" oder wir hätten gerne, dass …". Das sind natürlich so, sage ich mal, Sätze, die nicht unbedingt überzeugen können.
Kassel: Aber fassen Sie doch bitte mal zusammen, weil ich das immer noch nicht im Detail verstanden habe, ich bin ganz ehrlich, was ist denn jetzt nach dem Konvent wirklich anders in Bezug auf CETA als vorher? Sind das wirklich nur warme Worte?
Mattheis: Ja, also, es geht darum, dass wir anstreben wollen – jetzt übernehme ich die Sprachregelung –, dass wir anstreben wollen, dass keine vorläufige Anwendung in Teilbereichen umgesetzt werden soll von CETA, des Vertragstextes, der im Prinzip nationale Gesetzgebungen berührt, und dass man zusammen mit dem Europäischen Parlament, zusammen mit nationalen Parlamenten diese Debatten fortsetzen will und nach Lösungen suchen will, was zum Beispiel diese internationalen Schiedsgerichtshöfe anbelangt, zum Beispiel.
Kassel: Das …
Mattheis: Also, Sie merken schon an meinem Wortgeschwirbel, dass es im Prinzip so ein bisschen eine Formulierungsgeschichte ist, die eigentlich schwer umzusetzen ist, weil wir weder im Europäischen Parlament als Sozialdemokraten eine Mehrheit haben, noch sicher sein können, dass andere Nationalstaaten dem folgen werden.

Kritische Wortmeldungen spielten keine Rolle

Kassel: Aber was hat denn in Ihren Augen dann doch immerhin zwei Drittel der anwesenden SPD-Vertreter dazu bewogen zu sagen, ja, das reicht uns jetzt?
Mattheis: Na ja, es geht natürlich schon auch ein Stück weit darum, dass gestern auf diesem Parteikonvent quasi die ganze Partei- und Fraktionsspitze dafür geworben hat, das ist schon sehr beeindruckend und das ist auch nachvollziehbar, dass natürlich auch eine kanadische Handelsministerin aufgetreten ist beim Konvent, die sehr sympathisch und wirklich auch nachvollziehbar dafür geworben hat.
Da spielt es dann eben keine Rolle, dass die große Mehrheit derer, die aus der Delegiertenschar sich zu Wort gemeldet haben, sich dagegen ausgesprochen hat. Also, das sind dann schon so Mechanismen, die nachvollziehbar sind, weil viele natürlich auch aus den Landesverbänden kommen und dort eine andere Debattensituation hatten und sich auch verpflichtet fühlen. Also, das ist jetzt für mich nichts Erstaunliches nach diesen ganzen auch Vorfelddiskussionen.
Kassel: Nun gab es aber am Wochenende große Demonstrationen in Deutschland gegen CETA und auch gegen TTIP und die Zahlen gehen ein bisschen auseinander je nachdem, welche Quelle man fragt, aber man kann schon behaupten, Hundertausende waren da auf der Straße, die …
Mattheis: Ja.
Kassel: … diese Abkommen ja nun beide nicht wollen. Ist es nicht aus Sicht einer Partei, die bei der nächsten Bundestagswahl Erfolg haben will, ein bisschen ungeschickt, sich dann für dieses Abkommen auszusprechen?
Mattheis: Also, das ist jetzt eine Beurteilung, die man so treffen kann. Ich selber argumentiere, dass es uns natürlich wichtig ist als SPD, zum Beispiel in der AWO, bei den Naturfreunden, beim BUND und auch in den Kirchen sehr stark repräsentiert zu sein, weil, das sind wichtige NGOs, also Vorfeldorganisationen im gesellschaftlichen Bereich, die wir natürlich erreichen wollen. Und dass alle diese Organisationen mit aufgerufen haben, fand ich schon beeindruckend, oder viele davon aufgerufen haben, fand ich schon beeindruckend.
Und von daher habe ich persönlich das nicht irgendwie als Nebensache abgetan, sondern glaube, dass man damit auch so was wie einen gesellschaftlichen Mainstream dokumentiert hat, mit diesen ganzen Demonstrationen am Samstag. Ich fand es auch beeindruckend – ich selber war in Stuttgart mit dabei –, wie viele Leute einfach auch über, sage ich mal, Generationen hinweg … Da war die Großmutter mit ihrem Enkel dabei, also, es waren wirklich alle Altersstufen vertreten und haben mit großer Überzeugung gegen CETA demonstriert.

Diskrepanz zwischen Parteispitze und Mitgliedern

Kassel: Ja, aber sie haben offenbar einen nicht überzeugt, nämlich die SPD.
Mattheis: Also, das ist jetzt meine bescheidene Wahrnehmung. Ich glaube, dass in der Mitgliedschaft eine harte Front gegen CETA existiert. Und das ist in Parteien nun mal so, die relativ hierarchisch auch strukturiert sind. Das ist jetzt nicht ausschließlich eine Geschichte der SPD, sondern kann man bei den anderen Parteien auch beobachten, dass es natürlich je nachdem, welche Gremien tagen, dann eben auch eine Repräsentanz von Funktionären, Mandatsträgern überwiegt. Und da, glaube ich, ist auch ein Stück weit eine Diskrepanz zu dem, was an Meinung an der Parteibasis bei den Mitgliedern ohne Funktion und Mandaten vorherrscht, zu spüren. Aber das ist wie gesagt meine bescheidene Wahrnehmung.
Kassel: Ich stelle mal fest, Frau Mattheis: Wer willens und in der Lage ist, zwischen den Zeilen zu lesen, für den war das glaube ich gerade ein hoch interessantes Gespräch. Ich danke Ihnen sehr, dass Sie es mit uns geführt haben!
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