Die Macht der Macht

05.01.2012
Es ist eine klassische Frage der Philosophie, was es mit der Macht auf sich hat, vor allem mit dem Streben der Menschen danach. Jetzt hat sich der spanische Philosoph José Antonio Marina über das Thema gebeugt: Keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern ein anregender Essay.
Die Frage danach, was es mit Streben des Menschen nach Macht auf sich hat, ist ein philosophischer Klassiker. Von Plato über Spinoza und Nietzsche bis zu Michel Foucault ist stets viel über Macht nachgedacht worden. Trotzdem bleibt die Philosophie der Macht ein unübersichtliches Feld, nicht zuletzt, weil sich das Phänomen an so vielen Orten auf so viele unterschiedliche Weisen finden lässt: Macht ist wesentlicher Bestandteil der Politik, aber auch von persönlichen Beziehungen, sie begegnet uns in sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen, in Religionen und Glaubenssystemen, in der Wissenschaft, auch die Medien haben ihre eigene Macht.

Der spanische Philosoph José Antonio Marina hat nun ein Buch über Macht geschrieben, das den Charme hat, sich dem Phänomen locker und unbeschwert zu nähern und die vielen verschiedenen Facetten der Macht gleichzeitig in den Blick zu nehmen, ohne aber eine abstrakte Theorie der Macht zu liefern. Marina ist bekannt für seine gut verständlichen und einem breiten Publikum zugänglichen philosophischen Essays. Um wissenschaftlichen Apparat, Fußnoten, Belege für seine Zitate und Ähnliches kümmert er sich nicht; sein Vorgehen ist essayistisch, oft assoziativ und sogar literarisch-metaphorisch, aber gerade dadurch über weite Strecken sehr erhellend.

Im ersten Teil beschäftigt er sich mit den klassischen philosophischen Macht-Definitionen und bringt sie mit moderner Soziologie und Psychologie zusammen. Für Marina ist das Moment, das alle unterschiedlichen Machtformen zusammenbringt, das Gefühl der Euphorie, welche Machtausübung mit sich bringt: von abstrakter bürokratischer Macht bis hin zu physischer Gewalt auf der Straße.

Marina beschreibt und analysiert Machtmechanismen in Politik und Gesellschaft, er fragt nach Gewalt und Krieg, befasst sich mit der charismatischen Macht von Führerfiguren, dem Problem der ideologischen Indoktrination und der Frage, inwiefern Verführung eine Machtausübung darstellt. Ein ausführlicher Teil ist auch der Macht in der Familie und in Paarbeziehungen gewidmet, von den alltäglichen kleinen Reibereien in einer Ehe bis hin zum physischen Missbrauch von Ehefrauen und Kindern, der, wie Marina ausführlich zeigt, nicht nur im katholischen und von der Franco-Diktatur geprägten Spanien eine lange und andauernde Geschichte hat.

Eine weitere zentrale These des Buches schließlich wird zum Schluss präsentiert, sie betrifft die Legitimation von Macht. Die Frage, wie sich Macht rechtfertigen lässt, wird oft mit Bezug auf Gott, die Natur oder das Gemeinwohl beantwortet; und immer wieder wird viel Aufwand getrieben, um die Notwendigkeit von Macht als vernünftig zu verteidigen.

Für Marina sind das alles Fiktionen, die keinerlei tiefere Berechtigung haben. Aber - das ist der elegante Schluss der Argumentation: Der Mensch als Vernunftwesen ist auf solche Fiktionen angewiesen. Wir können nicht anders, als einander schöne Geschichten zu erzählen. Als eine solche kann man auch Marinas Werk auffassen: keine streng philosophische Abhandlung, aber ein anregender Essay über ein so schwieriges wie wichtiges Thema.

Besprochen von Catherine Newmark

José Antonio Marina: Die Passion der Macht. Theorie und Praxis der Herrschaft
Aus dem Spanischen von Gerd Lamsfuß-Buschmann
Schwabe, Basel 2011
189 Seite, 13,80 Euro
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