"Die letzte Entscheidung muss die Politik treffen"

Wolfgang Renneberg im Gespräch mit Joachim Scholl · 30.03.2011
Um sich in Sachen Atomkraft zu beraten zu lassen, bemüht die Bundeskanzlerin verschiedene Expertenrunden und eine Ethik-Kommission. Der frühere Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium warnt vor einem Wegschieben politischer Verantwortung.
Joachim Scholl: Die Reaktorsicherheitskommission ist ein Gremium, das das Bundesumweltministerium in allen Fragen der Atomtechnik berät. Heute kommt die Kommission in Berlin zusammen, unter verschärfter Beobachtung, wie sich versteht, denn jetzt soll es um die neue Lage, um die Zukunft der deutschen Atomkraftwerke gehen. Aber wie unabhängig, wie objektiv sind die Experten der Kommission? Ich bin jetzt verbunden mit Wolfgang Renneberg vom Büro für Atomsicherheit in Bonn, elf Jahre lang war er Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium. Guten Tag, Herr Renneberg!

Wolfgang Renneberg: Ja, guten Tag!

Scholl: Drei Monate soll es dauern, das Atommoratorium für die deutschen Kraftwerke, danach, so hat es die Kanzlerin formuliert, soll nichts so sein wie vorher. Ist die Reaktorsicherheitskommission das richtige Gremium dafür, dass sich Grundlegendes ändert?

Renneberg: Die Reaktorsicherheitskommission ist eine Beraterkommission und als solche ist ihre Aufgabe, das Bundesumweltministerium zu beraten in allen Fragen, wo es um Stand von Wissenschaft und Technik geht. Wenn es um Bewertungskriterien geht, um die Frage, kann die Kernenergie noch akzeptiert werden oder nicht, sind es aber zum großen Teil Wertungsfragen, die über die technischen Kriterien hinausgehen.

Scholl: Und das heißt?

Renneberg: Das heißt, dass die Sachverständigenkommission selbstverständlich keine Empfehlung geben kann, Kernkraftwerke weiterzubetreiben oder nicht weiterzubetreiben. Das ist nicht in ihrem Rahmen, ja, ihrer Zuständigkeit oder ihrer Verantwortlichkeit, um es besser zu sagen.

Scholl: Nun ist in letzter Zeit vielfach Kritik öffentlich geworden an der Unabhängigkeit dieses Gremiums. Teilen Sie denn die Kritik an der nicht gegebenen Unabhängigkeit des Gremiums?

Renneberg: Ja, es gibt kein Gremium, was tatsächlich unabhängig ist, aber in der Nuclear Community, wie man es so nennt, also bei allen denjenigen, die Sachverstand in diesem Bereich haben, ist natürlich die Dominanz von Interessen, die eher für die Kernenergie sind, deutlich, weil das Know-how gerade aus den Betrieb von Kernkraftwerken und aus der Beschäftigung mit diesen Dingen kommt, die auch von Betreibern bezahlt werden.

Scholl: Was heißt in diesem Zusammenhang, Herr Renneberg, eigentlich noch Reaktorsicherheit, so heißt ja die Kommission? An die glaubt doch angesichts Fukushima kein Mensch mehr, an Reaktorsicherheit.

Renneberg: Ja, die Abteilung heißt ja auch Reaktorsicherheit, das ist auch nicht falsch, denn es geht ja nicht nur um die grundlegenden Fragen – soll man noch Kernenergie weiter nutzen oder nicht –, sondern es geht, solange man Kernenergie betreibt, darum, ob die Sicherheit nach den geltenden Vorschriften eingehalten wird, oder ob noch weitere Sicherheit geschaffen werden muss und Regeln weiter entwickelt werden müssen. Insofern hat auch der Begriff Reaktorsicherheit noch einen Sinn.

Scholl: Wie realistisch ist denn dieser Zeitrahmen von drei Monaten – reicht diese Zeit, um die Standards in allen Kraftwerken zu überprüfen?

Renneberg: Selbstverständlich nicht. Drei Monate ist kein Zeitraum, in dem man 17 Atomkraftwerke überprüfen kann. Man kann jedoch einen Bericht, einen Statusbericht über die Sicherheit der Kernkraftwerke anfertigen. Dieser kann aber nicht auf Untersuchungen beruhen, sondern nur auf der Sichtung von vorliegenden Materialien. Also ist der Ausdruck Sicherheitsüberprüfung mehr der Politik geschuldet als dem tatsächlichen Inhalt.

Scholl: Zugleich ist ja auch eine deutliche Distanzierung der Politik auch zur Energiewirtschaft zu vermerken. Wir brauchen die Energiewirtschaft als solche nicht für die Bewertung von Risiken, hat Kanzlerin Merkel ziemlich offensiv gesagt. Das "Handelsblatt" schreibt, dass das innige Verhältnis zur Atomwirtschaft beendet sei. Glauben Sie das auch, dass also die sogenannte Atomlobby gar nicht mehr so der Kanzlerin Ohr hat?

Renneberg: Ja, das ist jetzt eine sehr politische Frage, dazu habe ich auch eine Auffassung. Ich glaube ganz einfach, dass die Parteien, und zwar alle Parteien, auch die CDU, ihre Existenz nicht aufs Spiel setzen kann, ohne in die Bedeutungslosigkeit abzugleiten. Und wenn die Öffentlichkeit so eindeutig positioniert ist wie in der Frage der Kernenergie, dann würde die CDU auch ihre Mitgliederbasis verlieren. Und das … Die Erhaltung überhaupt der Partei als solches wiegt natürlich mehr als ein gutes Verhältnis zu den Energieversorgern.

Scholl: Die Reaktorsicherheitskommission, wir hören hier im Deutschlandradio Kultur die Einschätzungen von Wolfgang Renneberg, früher zuständig im Bundesumweltministerium, heute leitet er das Büro für Atomsicherheit in Bonn. Nun hat, Herr Renneberg, die Kanzlerin nicht nur diese Kommission an ihrer Seite, ganz aktuell hat sie auch eine Ethikkommission einberufen für die gesellschaftlichen Fragen zur Atomsicherheit, wie es heißt. Dazu gehören etwa Klaus Töpfer, früherer Bundesumweltminister, der Münchner Kardinal Reinhard Marx, auch der Soziologe Ulrich Beck ist dabei. Wie bewerten Sie denn diese Expertenrunde?

Renneberg: Ich habe den Eindruck, dass gerade die Beauftragung von Expertenrunden in dieser Situation in erster Linie erst mal dazu dient, die Verantwortung von der Politik auf Sachverständige zu verschieben. Indem ich sage, ich prüfe das erst mal, ich höre die Experten an und richte mich nach ihrem Urteil, komme ich aus dem Fokus der politischen Anforderungen. Das ist natürlich äußerst problematisch, denn die Frage, welches Risiko eine Gesellschaft noch akzeptieren kann und welches nicht, das ist eine Frage, die ganz grundlegend durch die Politik – und das heißt letztendlich auch durch das Parlament – entschieden werden muss. Ich kann solche Kommissionen allenfalls dazu nutzen, mir vielleicht etwas Expertise zu verschaffen, aber die Debatte und der Diskurs, der muss in der Öffentlichkeit geführt werden, und der muss auch geführt werden, indem sich nicht nur nominierte Sachverständigengremien äußern, sondern hier müssen sich alle Interessengruppen der Gesellschaft einbringen können in einen Mediationsprozess, wie wir ihn ja auch in anderen Fällen schon erlebt haben. Soweit das jetzt nicht stattfinden soll, sondern die Bundeskanzlerin sich letzten Endes auf diese Kommissionen alleine stützen will, wäre das fatal für das ganze demokratische System in Deutschland.

Scholl: Nun gut, Herr Renneberg, aber umgekehrt könnte man ja auch sagen, schön, dass die Politik auf den Rat der Fachleute erst mal hört.

Renneberg: Fachleute sind ja auch ganz notwendig. Ich möchte auch gar nicht Stellung nehmen dagegen, dass man solche Kommissionen mit Fragen in die Diskussion bringt und in die Diskussion mit einbezieht. Aber wenn es beispielsweise bei der Reaktorsicherheitskommission darum geht, welche Sicherheitsmaßstäbe werden denn jetzt für die Prüfung beziehungsweise für den Abschlussbericht, für einen Statusbericht über die Sicherheit angelegt, dann ist das eine Frage, die das endgültige Ergebnis selbstverständlich hoch beeinflusst. Die Bewertungskriterien müssten also verbindlich vorgegeben werden, statt sie der Reaktorsicherheitskommission zu überlassen. Ich habe Zweifel daran, dass das passiert. Und damit werden schon Weichenstellungen an Experten überantwortet, die gar nicht dafür da sind, diese Fragen zu beantworten.

Scholl: Aber ist denn ein Politiker in der Lage, diese Bewertungskriterien zu formulieren, der jetzt vielleicht also von den technischen Dingen einer Reaktorsicherheit nicht unbedingt die Ahnung hat?

Renneberg: Ja, das Bundesumweltministerium ist ja oberste Aufsichtsbehörde, gerade deshalb, weil es hier um solche wichtigen Fragen geht, hat man ja auch die Ministerien zu Aufsichtsbehörden über die Kernenergie gemacht. Und das Bundesumweltministerium hat technische Experten, es hat juristische Experten, und diese sind dazu da, den Minister entsprechend zu beraten und auch solche Kriterien aufzustellen. Dass sie sich dabei auch der Sachverständigen bedienen können und sich dort beraten lassen können, das ist völlig klar. Aber die letzte Entscheidung über diese Bewertungskriterien muss die Politik treffen, das heißt, muss der Bundesumweltminister treffen, und dann muss überprüft werden.

Scholl: Aber der Bundesumweltminister ist natürlich in dem Sinne jetzt auch Partei, das heißt, ist ihm zuzutrauen, dass er wirklich solche harten Sicherheitsmaßstäbe anlegt – die vielleicht dann heißen, wir müssen ganz schnell aus der Kernenergie raus, und die Energiewirtschaft oder die Atomlobby steht dann plötzlich auf der Stelle und sagt, um Gottes Willen, so geht es nicht?

Renneberg: Faktisch kann das natürlich immer ein Problem sein, aber wenn wir nicht unterstellen würden, dass ein staatliches Amt, indem man dem Parlament verantwortlich ist, auch eine Eigenständigkeit hat gegenüber dem, was man als Interessenvertreter möglicherweise einer Partei entscheiden würde, dann würde unser ganzes staatliches System nicht mehr funktionieren. Denn solche Konflikte gibt es natürlich nicht nur in der Kernenergie, das gibt es in der Gentechnik oder in der Verkehrspolitik oder Energiepolitik oder wo auch immer sonst. Also man muss schon davon ausgehen, dass der gewählte und eingesetzte Minister verantwortlich entscheidet, und das hat den Grund auch, weil er allein dem Parlament verantwortlich ist. Eine Sachverständigenkommission ist niemals dem Parlament verantwortlich, sondern nur sich selber.

Scholl: Kommissionen sind am Werk über die Zukunft der Atomkraft in Deutschland, das war Wolfgang Renneberg, früher zuständig für Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium, heute leitet er in Bonn das Büro für Atomsicherheit. Herr Renneberg, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Renneberg: Okay, vielen Dank!

Links auf dradio.de:
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