Die Kunst des Scheiterns

Rezensiert von Paul Stänner · 29.12.2005
Scheitern wird oft mit Versagen gleichgesetzt oder als Niederlage empfunden. Dass darin auch eine Chance stecken kann, zeigt Christiane Zschirnt anhand von literarischen und historischen Beispielen. In ihrem Essay "Keine Sorge, wird schon schief gehen" weist sie nach, dass Scheitern sogar zu Größe führen kann.
Im März 2005 verkündete die Gattin des damaligen Wirtschaftsministers Clement unbekümmert, wer eine Arbeit wolle, der finde auch eine. Was wollte sie uns damit sagen? Dass die über fünf Millionen Arbeitslosen faul sind oder allesamt Versager? Angesichts dieser erschreckend weltfremden Aussage fragte sich eine wohlwollende Öffentlichkeit: Worüber redet man eigentlich – so beim Mittagsessen - im Hause des Wirtschaftsministers, jetzt Ex-Ministers, eines Mannes, der durchaus nicht unter Erfolgen litt?

Schwamm drüber! Halten wir lediglich fest, dass sich das schnelle, dumme Urteil vom Menschen in einer Notlage als Versager immer noch hartnäckig zu halten scheint. Da kommt ein Buch gerade recht, das sich mit diesem Thema beschäftigt: "Keine Sorge, wird schon schief gehen", heißt es.

Nicht nur Arbeitslose schlagen sich mit der Erfahrung des Scheiterns herum. Auch Karrierehoffnungen erfüllen sich nicht immer, oder es hat einer etwas Tolles erfunden, was dann aber den Wirklichkeitstest nicht übersteht. Biographien entwickeln sich oft sprunghaft – nach oben und nach unten.

Von Christiane Zschirnt stammen u. a. das "Shakespeare-ABC" und der Bildungsführer "Bücher. Alles was man lesen muss" – die Hamburger Autorin ist also eher literarisch ausgerichtet. Und so hat sie Beispiele des Scheiterns durchdekliniert, wie sie in der Literatur und der Geschichtsschreibung zu finden sind – von Odysseus über Don Quichotte bis hin zu John D. Rockefeller.

Aber was hilft es uns, wenn wir beispielsweise lesen, wie die Polarforscher Scott und Amundsen ihre Projekte angingen - der eine vernachlässigte mit Hybris und Arroganz seine Planung und beging dümmste Fehler, der andere siegte am Südpol - durch brillante Planung.

Wir lernen: Planung ist gut. Aber da kommt uns Ernest Shakeleton dazwischen, der seine Südpolexpedition detailliert und kompetent vorbereitete, dann an den Naturgewalten scheiterte, aber durch Improvisation und seelische Größe bei der Rettung nach dem Scheitern größten Ruhm erwarb. Im ersten Anlauf war er ein Fehlschlag, ein Sieger wurde er auf einem Feld, das er eigentlich nie betreten wollte. Wir lernen: Planung rettet nicht vorm Scheitern. Scheitern führt zu Größe. Der Nachteil scheint zu sein, dass wir aus solchen Beispielen nicht viel lernen können. Dies zeigt sich am deutlichsten in der Literatur: Christiane Zschirnt analysiert Horatio Algers Traktate, die die amerikanische Traum-Formel "Vom Tellerwäscher zum Millionär" in zahlreichen Geschichtchen umspielen. Und sie weist darauf hin, dass in all diesen Erzählungen von armen Jungen, die durch Fleiß, Gottesfurcht und Selbstvertrauen zu gemachten Männern werden, eine ungeheuere Portion Glück die Entscheidung herbeiführt; mehr Glück, als man gemeinhin im Alltag zur Verfügung hat. Ganz unten zu sein bietet also nicht notwendig die Chance, nach ganz oben zu kommen.

Man könnte gegen Christiane Zschirnts bunte Folge aus literarischen und historischen Beispielen einwenden, dahinter stecke kein System, aber darum geht es der Autorin auch nicht, sondern um "Ideen", wie man mit dem Scheitern umgeht. Und da ist jede Anregung willkommen. Ihr Buch ist keine wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas, eher ein Essay, ein Versuch herauszufinden, wie wir heute mit dem Phänomen des Scheiterns umgehen können und müssen. Damit hat sie literarhistorisch die angemessene Gattung gewählt, denn schon Kurt Tucholsky lehrte: Wenn’s nichts wird, wird’s ein Essay. Der Essay ist die literarische Form des Scheiterns - mit der intellektuellen Offenheit, die Christiane Zschirnt auf den letzten viereinhalb Seiten empfiehlt: "Besser scheitern können" heißt dieses Kapitel, das uns helfen will, das Scheitern einzuordnen und zu überprüfen, wie wir Scheitern begreifen: als Chance oder als Niederlage, als persönliches Versagen oder als allgemeines Unglück, als Ausnahme oder als Bestandteil nahezu jeder Biographie. Scheitern ist ein Fakt, wir können nur lernen, besser zu scheitern.

Christiane Zschirnt: Keine Sorge, wird schon schief gehen. Von der Erfahrung des Scheiterns - und der Kunst damit umzugehen
Goldmann Verlag 2005
256 Seiten, 18.00 Euro
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