Die Küchenkatze als Stofftier im Museumsshop

Von Jochen Stöckmann · 01.04.2010
Liam Gillicks Küchenkatzen-Beitrag zur Biennale in Venedig hinterließ viele Besucher ratlos - jetzt ist das Tier wieder da und zwar in der Bundeskunsthalle Bonn. Dort ist Gillick eine Überblicksausstellung gewidmet - gedacht als eine Art Erläuterung und Vertiefung des Biennale-Auftritts.
Nun sitzt wieder die Katze auf dem Schrank, am Ende einer endlosen, schlichten Küchenzeile aus Holz - und diesmal kündigt das ausgestopfte Tier seine Abenteuer auf Deutsch an. Ansonsten aber das gleiche Bild - Pardon, der gleiche Eindruck wie im deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig: kein Stäubchen, keine Spuren, weder Verzierungen noch Graffiti; in Liam Gillicks Installation fühlt man sich allein gelassen, deplaziert - fern jeder Kunst.

"Ich will den Betrachter nicht kontrollieren. Stattdessen versuche ich, Brücken zu bauen. Wie man das aus Comics kennt: entweder, die Brücke endet abrupt über dem Abgrund oder eine Comicfigur baut rasend an der Konstruktion weiter, um voranzukommen. Dazwischen ist meine Position."

Seltsam anschaulich umreißt Gillick das Niemandsland, in dem der Absolvent des renommierten Londoner Goldsmith College sein Kopftheater zu inszenieren pflegt. Die Überblicksausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle, gedacht als eine Art Erläuterung und Vertiefung des Biennale-Auftritts, entpuppt sich als Aneinanderreihung von Pausenräumen, von Leerstellen, die jeder Betrachter sich nach Gusto ausgestalten darf - aber eben nur vor dem geistigen Auge. An der Decke hängen akkurat gestaffelte Tafeln mit einem Endlostext, den es sinnfällig zu gliedern gilt. In einer Nachbarhalle sind minimalistische Stahlblechregale und Holzgitter streng geometrisch angeordnet, einen weiteren Raum gliedern mannshohe Farbtafeln. Nur die Titel geben einen Hinweis auf Sinn und Zweck dieser Arrangements: Aber was genau steht hinter "Discussion Island", Inseln des Gesprächs, und "Volvo Bar"?

"Es sind Schatten, eine Art verborgenes Werk. Da geht es um Bilder und Ideen, die präsent sind, aber nie sichtbar werden. Dieses Ausweichen ist meine Strategie, gerichtet gegen die Auffassung, dass man eine Situation nur in direkter Konfrontation meistern kann."

So ganz direkt zur Sache zu kommen, das ist nicht Gillicks Art. Er umkreist Problemstellungen ausdauernd wie ein intelligenter Boxer den Gegner, "sidestepping" heißt diese Taktik des geschickten Ausweichens. Wie Menschen in unserer Gesellschaft zueinanderfinden oder auch die Analyse des vom Autokonzern Volvo und seinen von humanen Produktionsbedingungen geprägten Wohlfahrtsstaats, das sind Fragen, die den Sohn einer Arbeiterfamilie bewegen. Der Großvater musste bereits mit zwölf in die Fabrik, der Vater mit fünfzehn Jahren:

"Aus Verpflichtung gegenüber dieser Familiengeschichte wollte ich der Gebildete sein und Aktivist der Arbeiterbewegung. In letzter Minute änderte ich meine Meinung - und ging auf die Kunstschule. Ohne Vorbereitung, niemand hatte mir beigebracht, mit Büchern umzugehen: Ich las auch die längsten, schwierigsten Texte von Anfang bis Ende - und war dann erschöpft. Heute geht es kunterbunt durcheinander - und ich bin ein besserer Leser."
Mehr durcheinander lesen, weniger geradeaus schauen - das mutet Gillick auch seinem Publikum zu. Mit frei schweifenden Assoziationen, mit ästhetischen Geschmacksurteilen ist ihm nicht beizukommen, er verlangt die ungezielte, aber nie nachlassende Aufmerksamkeit. Ohne solides Geschichtswissen ist das Geheimnis des schwarzen Würfels mit der Aufschrift "think tank" nicht zu ergründen: es geht um die RAND-Corporation, eine Denkfabrik, die während des Vietnamkriegs für den US-Verteidigungsminister Robert McNamara arbeitete. Dessen Name taucht in dem ausliegenden Drehbuch auf. Und der Film wäre wohl auch das ideale Medium für Gillick, das komponierende, schreibende und an Architektur interessierte Vielfach-Talent. Nicht zur Vermittlung von Inhalten, sondern um den Prozess des Zustandekommens dieser Kunst sichtbar zu machen - wie in den Filmen von Jean-Luc Godard:

"Ich bin stark beeinflusst von Godard, was die Haltung angeht. Godard ist wichtig, weil er eine Sache sagt - und etwas ganz anderes tut."
Was Gillick ausstellt, fügt sich selten, eigentlich nie in seine eloquenten Erklärungen. Zu den intellektuell anspruchsvollen Plaudereien, sozusagen dem "Hirnschmalz", wird kein Augenfutter gereicht.
"In meinem Werk gibt es einen Überfluss an Mangel, da fehlen viele Dinge. Mal gibt es Inhalt, dann fehlt der Rahmen - oder umgekehrt. Dann gibt es Abstraktionen, aber die Grundlage dafür sind greifbare Industrieprodukte: nicht immer Objekte im Wortsinn, sondern Zeichen einer Mentalität. Also durch die Bank: Abwesenheiten."
Aber dann sind es eben diese Abwesenheiten, die den Gang durch das in zwei Jahrzehnten gewachsene Gillick-Universum so anregend machen: Zwischen den industriell vorgefertigten Farbtafeln der "Volvo Bar" mag man sich gerne vorstellen, wie der vom Künstler erdachte Theaterdialog wohl ausfallen wird. Für diese Freiheit, diese Gedankenfreiheit war die Bundeskunsthalle in Gillicks Augen der richtige Ort: Nicht belastet durch eine Sammlung, damit fern von allen großen Namen, an denen der Künstler sich messen müsste, der Besucher sich orientieren könnte. Und so zappelt man ganz selbstbewusst in jener Falle, die Gillick sorgfältig geplant hat: vom meterlangen Keil aus weißen Stellwänden, der die Ausstellungshalle durchschneidet, bis hin zur Grafik der Werbebroschüre blieb nichts dem Zufall oder den Kuratoren überlassen. Ausstellen, überhaupt die Kunst, so die nächste, selbstverständlich versteckte Botschaft, ist eine eminent politische Angelegenheit:

"Eines Tages 1996 wachte ich auf und wusste: Improvisieren ist im Interesse der Institutionen, denn dabei müssen die nichts ändern. Vieles wird gestoppt mit Begründungen wie "es ist keine Zeit" oder "wir würden so gerne das Dach entfernen, aber es ist einfach nicht möglich". Wenn ich dagegen plane, habe ich mehr Macht."

Zur Überraschung der Bonner Kuratoren hat Gillick erlaubt, die Küchenkatze als Stofftier im Museumsshop anzubieten - mit einer dreifach gezackten Narrenkappe in der Art der drei spitzen Hütchen, die der postmoderne Architekt Gustav Peichl dem Kunsthallenbau aufgesetzt hat. Fehlt eigentlich nur noch das Besucherquiz mit der Frage, wie viele Hintergedanken Liam Gillick dabei wieder hatte.