"Die Haltung Russlands ist zynisch"

Kerstin Müller im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 08.02.2012
Die Gespräche von Russlands Außenminister Lawrow mit dem syrischen Regime werden nach Ansicht der Grünen-Außenpolitikerin Kerstin Müller ergebnislos bleiben. Dass Moskau sich zufrieden gezeigt habe, sei "zynisch". Eine militärische Intervention wäre ihrer Ansicht nach "nicht zielführend".
Jörg Degenhardt: In Syrien regiert weiter die Gewalt. Aus Sicht der Opposition dort gibt es nur noch zwei Säulen, die das Regime in Damaskus stützen: der Iran und Russland. Deutschland will den Druck auf die Noch-Machthaber erhöhen. Außenminister Westerwelle hat eine neue Sanktionsrunde angekündigt, zudem soll eine Kontaktgruppe der Freunde eines demokratischen Syriens gegründet werden. In Berlin wurden gestern zwei mutmaßliche syrische Spione verhaftet, sie sollen syrische Oppositionelle in Deutschland ausgeforscht haben. Westerwelle hat den Botschafter des Landes in Berlin einbestellt.

Über die Syrienkrise und, wie sie beigelegt werden könnte, habe ich mit Kerstin Müller gesprochen. Sie ist die außenpolitische Sprecherin der Bündnisgrünen-Bundestagsfraktion. Zeigt Deutschland ausreichend diplomatische Härte gegen das Regime?

Kerstin Müller: Also, die Deutschen sind immerhin Miteinbringer der Resolution im Sicherheitsrat und setzen sich dort wohl auch dafür ein, dass es eine, endlich eine Verurteilung durch den UN-Sicherheitsrat gibt. Meines Erachtens hat man sehr lange und zu lange in Europa gewartet mit Sanktionen, also, Europa hat auch gezögert. Inzwischen gibt es Sanktionen. Insbesondere die Ölsanktionen zeigen ja auch Wirkung, also, haben tatsächlich Auswirkung auf die syrische Ökonomie, das wurde dort selbst zugegeben. Aber die große Katastrophe ist, dass eben Russland und dahinter auch China bisher den Sicherheitsrat blockieren, und das ist ein fatales Zeichen an die Opposition, aber auch an Assad.

Degenhardt: Wer hat denn den Schlüssel in der Hand, um das tägliche Töten in Syrien zu beenden? Russland?

Müller: Also, Russland hat zumindest einen Schlüssel in der Hand und ist insofern, da es jetzt immer noch blockiert, auch mitverantwortlich für die Toten, für die jüngsten Massaker, die stattgefunden haben und die wohl auch heute tagtäglich noch weiter stattfinden. Es ist völlig unverständlich, warum Russland selbst jetzt noch blockiert. Es hatte zur Voraussetzung gemacht etwa, dass die Arabische Liga die ganze Sache an den Sicherheitsrat überweist, das hat die Arabische Liga inzwischen gemacht.

Das heißt, selbst die regionalen Spieler, die ja - das finde ich auch - sehr entscheidend sind, fordern ja inzwischen vom Sicherheitsrat eine scharfe Verurteilung der Gewalt. Wichtig wäre eigentlich, dass auch der Sicherheitsrat Sanktionen verhängt. Aber das ist ja schon in den Entwürfen nicht drin, das ist ja schon ein recht weich gespülter Entwurf, der dort beraten wird. Aber das wäre das Mindeste, dass die Gewalt verurteilt wird. Das heißt, dass man international das Regime isoliert und ihm damit signalisiert, dass seine Zeit abgelaufen ist.

Degenhardt: Noch mal zurück zu Russland: Gestern war ja Lawrow, der russische Außenminister, in Damaskus. Moskau zeigte sich danach zufrieden mit den Gesprächsergebnissen, ohne dass etwas Genaueres bekannt geworden ist. Sind das da vielleicht auch Machtspielchen, die Moskau betreibt, und wir müssen vielleicht auch die Wahlen, die Präsidentschaftswahlen in Moskau abwarten - die gibt es bekanntlich am 4. März - und danach könnte dann auch Russland stärker mit in die Pflicht genommen werden und sich als konstruktiverer Partner erweisen, um eine Lösung zu finden für Syrien?

Müller: Also, dass sich Russland zufrieden gezeigt hat mit den Gesprächen, finde ich wirklich zynisch. Weil, rausgekommen ist ja gar nichts. Es wurde gesagt, man würde eine neue Beobachtermission der Arabischen Liga begrüßen, die haben aber gesagt, solange die Gewalt anhält oder sogar noch gesteigert wird wie jetzt, sei man nicht bereit, da Beobachter hinzuschicken. Was sollen die machen? Sollen die notieren, wer alles umgebracht wird? Eine Beobachtermission, unbewaffnet, macht nur dann Sinn etwa wie zuvor, dass ein Friedensplan überwacht werden soll. Die Arabische Liga hatte ja einen Friedensplan beschlossen, Ende der Gewalt, Rückzug der Armee aus den Städten, Bildung einer Einheitsregierung ohne Assad und, dass Assad seine Macht eben einen Stellvertreter abgibt.

Also, auch schon ein sehr pragmatischer, ein realpolitischer Friedensplan. Und selbst hinter den fällt ja Russland in den Rücken. Also, ich glaube, es hat was mit den Wahlen zu tun, ja. Es hat aber auch was mit den geostrategischen Interessen zu tun, die Russland in der Region hat. Es hat was damit zu tun, dass sie ganz heftig im Waffenhandel mit Syrien sind, es werden weiter Waffen geliefert, es ist der einzige Flugzeugträger in der Region aufgefahren. Also, man verdient kräftig an diesem Krieg dort auch und das macht es eben doch sehr zynisch. Ich verstehe nur nicht: Nun, Russland gibt ja auch immer vor, sie wollen sich international nicht isolieren, sie sehen ihre Verantwortung, sie haben auch Angst vor einer militärischen Intervention, also, sie verweisen immer wieder auf Libyen. Aber auch das: Keine militärische Intervention war in dem Resolutionstext klar ausgeschlossen.

Degenhardt: Frau Müller, es gibt aus Deutschland, speziell aus der Fraktion der Partei Die Linke, auch eine Stimme oder mehrere Stimmen, die sagen, wenn man einen Frieden oder wenn man ein Ende der Gewalt in Syrien herbeiführen wolle, dann müsse man auch mit Assad reden. Was sagen Sie dazu?

Müller: Das Problem ist, Assad redet mit den relevanten Oppositionellen nicht mehr. Im Gegenteil, er hat ja sich zum Beispiel lustig gemacht in seiner Rede über die Beobachtermission der SNC, also die relevante Oppositionskraft, die im Exil sitzt, in Istanbul, die meines Erachtens auch endlich einmal anerkannt werden müsste als legitime Vertretung Syriens, die eng verbunden ist mit den lokalen sozusagen Komitees in den Städten, die sagt, wir wollen nicht, wir können nicht mit Assad reden, wir erwarten, dass er abtritt, aber wir sind bereit zu einer Einheitsregierung, in der er Macht an seinen Stellvertreter abgibt.

Was ja schon ein Kompromiss ist, dass man in eine Einheitsregierung bereit ist zu gehen. Da wären ja Teile des Regimes quasi auch noch mit dabei. Also, das ist auch schon zynisch, wenn man noch weiß, dass Assad gleichzeitig die, mit denen er reden will, umbringt.

Degenhardt: Ich möchte noch mal auf eine Parallele zu sprechen kommen, die Sie selbst ins Gespräch eingeführt haben: Halten Sie denn ein Vorgehen der internationalen Gemeinschaft wie im Falle Libyen auch für Syrien für wünschenswert?

Müller: Also, wünschenswert wäre in jedem Fall eine scharf verurteilende Resolution, wünschenswert wären internationale Sanktionen, also auch Ölsanktionen, Einfrieren der Vermögen, gezieltes ...

Degenhardt: ... auch ein militärisches Eingreifen?

Müller: Nein, ein militärisches Eingreifen sehe ich hier nicht, dass das zielführend wäre. Wird auch von der Opposition nicht gefordert, wird auch von der Arabischen Liga abgelehnt. Das Problem ist, dass hier in den Städten eben ja doch die Auseinandersetzung stattfindet. Wie will man hier intervenieren gegen den Willen der Opposition? Gut, Teile, die auf den Straßen sind und dort kämpfen, fordern das wohl, aber die wichtigsten Spieler eben nicht, die lehnen das ab. Und es wird eben befürchtet, dass eine militärische Intervention am Ende für die Menschen mehr ... also es mehr Tote bringt als die jetzige Situation, so schlimm das klingt.

Also, dass es zu einer Eskalation des Konfliktes beiträgt, zu einem Flächenbrand weit über Syrien hinaus. Assad hat angedroht, er wäre auch bereit, Israel anzugreifen. Ob er das ernst macht, weiß man nicht. Also, es besteht hier ja doch die Gefahr eines Flächenbrandes und da, das hätte eine Dimension, die das sicherlich nicht rechtfertigt. Abgesehen davon, es würde wahrscheinlich die Gewalt nicht beenden. Also, insofern: Das diskutiert im Moment niemand und das will auch im Moment niemand. Es geht um nicht militärische Sanktionen, eine politische Verurteilung.

Degenhardt: Kerstin Müller, die außenpolitische Sprecherin der Bündnisgrünen-Bundestagsfraktion, zur Situation in Syrien und, wie dort die Gewalt beendet werden kann. Vielen Dank, Frau Müller, für das Gespräch!

Müller: Bitte schön!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema