Die FIFA "ist nicht alleine ein System Blatter"

Sylvia Schenk im Gespräch mit Klaus Pokatzky · 16.07.2012
Sylvia Schenk, Vorstandsmitglied bei Transparency International, führt die Korruptionsaffäre bei der FIFA auf "eine Unkultur" zurück, in der jeder dem anderen helfe und immer auch eine Gegenleistung erwarte - sowie auf den Chef Sepp Blatter. Dieser habe keine Glaubwürdigkeit mehr, den Verband in einen Neuanfang zu führen.
Klaus Pokatzky: Wie würde so was wohl auf dem Fußballfeld geahndet: nur mit der gelben oder schon mit der roten Karte? Sepp Blatter, der Präsident des Internationalen Fußballverbandes FIFA, schlägt und tritt um sich. Letzte Woche sind Schweizer Gerichtsdokumente veröffentlicht worden, die Schmiergelder in Millionenhöhe an Blatters Vorgänger Havelange belegen.

Davon will Sepp Blatter erst später erfahren haben und gegen seine deutschen Kritiker, die immer lauter werden, schlägt er heftig zurück: Er hat in einem Interview angedeutet, Deutschland könne sich die Fußballweltmeisterschaft 2006 auch mit unsauberen Geldzahlungen erkauft haben. Unsere Schiedsrichterin in diesem Match ist Juristin und ehemalige Leichtathletin, Vorstandsmitglied von Transparency International Deutschland und Sportbeauftragte von Transparency International. Guten Tag, Sylvia Schenk!

Sylvia Schenk: Hallo, guten Tag!

Pokatzky: Frau Schenk, was geben Sie Sepp Blatter: die gelbe oder schon die rote Karte?

Schenk: Kommt jetzt darauf an, wie das interpretiert wird. Ich gebe ihm die rote Karte im Hinblick auf Glaubwürdigkeit nach seinem Interview in der vergangenen Woche, wo er gesagt hat, das, was da in den 90er-Jahren an Schmiergeldern geflossen war, weil es nicht kriminell war, wäre es in Ordnung gewesen. Also, das geht schon mal gar nicht, damit ist er nicht glaubwürdig, den Reformprozess der FIFA zu leiten. Und die Retourkutsche, jetzt Gerüchte zu streuen in Bezug auf die Vergabe der Weltmeisterschaft 2006, das ist für den internationalen Präsidenten eines solchen Verbandes ein Armutszeugnis.

Pokatzky: Da nur die gelbe Karte oder auch die rote?

Schenk: Als Schiedsrichterin? Ich kann als Transparency Deutschland oder auch international mich nicht in die Personalangelegenheiten der FIFA einklinken, das müssen sie schon selber entscheiden. Er hat keine Glaubwürdigkeit für den Reformprozess, das kann ich in aller Deutlichkeit sagen.

Pokatzky: Jetzt frage ich die Juristin: Wie war das denn damals in den 90er-Jahren, wo Sepp Blatter nun sagt, das war ja damals Geschäftsaufwand, und das hätte man sogar von den Steuern abzahlen können, wie war das denn damals juristisch und wie ist es heute juristisch, diese Zahlung zu bewerten an Blatters Vorgänger Havelange?

Schenk: Es war auch damals schon für diejenigen, die das Geld entgegengenommen haben und damit ihre Pflichten gegenüber der FIFA, wo sie Verantwortung trugen, also Havelange und Teixera, war es auch damals schon strafbar als Untreue. Es war damals nicht für sie als Bestechung strafbar und auch nicht für diejenigen, die die Gelder gezahlt haben, weil die Bestechung im wirtschaftlichen Verkehr sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland erst später unter Strafe gestellt worden ist. Aber noch mals: Es war als Untreue strafbar bei Havelange und Teixera, deshalb hat es ja überhaupt die Ermittlung in der Schweiz gegeben. Und selbst ... Also, man kann ja nicht sagen, alles, was gerade eben nicht strafbar ist, das ist bestens! Das, das geht überhaupt nicht!

Pokatzky: Ermittlungen, die ja eingestellt wurden vor zwei Jahren, ich glaube, gegen eine Zahlung von einer Geldbuße von fünfeinhalb Millionen Franken, ja?

Schenk: Ja!

Pokatzky: So. Das System Blatter: Wie funktioniert dieses System?

Schenk: Es ist nicht alleine ein System Blatter. Blatter hat es zugelassen, er hat es nicht erfunden. Es ist mit der Zeit immer weiter gewuchert. Es war die Familie, die Blatter ja immer so gerne zitiert, wo keiner den anderen fallen lässt, wo, ja, ein Geschäftsverhalten gewachsen ist oder, man kann auch sagen, eine Unkultur, dass jeder dem anderen hilft und dass man eigentlich auch immer eine Gegenleistung erwartet. Ich glaube, das lässt sich auch gerade noch mal nach den Veröffentlichungen der letzten Woche so sagen, dass das schon sehr weit innerhalb der FIFA um sich gegriffen hatte.

Pokatzky: Wodurch sichert er sich immer wieder seine Macht? Er hat jetzt Reformer eingesetzt, gleichzeitig kündigt er an, dass er nach 2015 gerne weitermachen will. Wie kann trotz ja auch des großen Protestes, der jetzt von deutschen Fußballorganisationen kommt, wie kann das immer so weiter funktionieren?

Schenk: Es funktioniert vor allen Dingen deshalb, weil Blatter ein Menschenkenner ist. Er weiß sehr genau, wie er die einzelnen Personen zu nehmen hat. Das ist sehr wichtig, gerade wenn man mit so sehr unterschiedlichen Menschen aus ganz unterschiedlichen Kontinenten und Kulturen zu tun hat. Er ist absolut ein Machtpolitiker, und er hat sich unverzichtbar gemacht. Ich meine, die FIFA hat ja in den letzten Jahren seit der Krise, die sie Anfang des Jahrtausends durchlebt hat, auch finanziell jetzt wirklich Erfolg vorzuweisen.

Die Einnahmen sind exorbitant gestiegen, das wird auch an die Mitgliedsverbände, auch an die Funktionsträger verteilt, sodass alle eigentlich sehr zufrieden sind. Es geht ihnen allen viel, viel besser als früher. Das hat Blatter natürlich auch wesentlich mitgemacht, obwohl vieles auch daher rührt, dass der Fußball einfach so ein tolles Produkt ist. Und alle haben Angst, wenn Blatter weg ist, gibt es ein Machtvakuum, kommen die, die dann kommen, sind die dann vielleicht noch viel schlimmer, gibt es ein Hauen und Stechen um die Nachfolge?

Also, vor diesem Chaos haben so viele Angst, und dann sagen sie, ach Mann, dann nehmen wir lieber ein paar negative Dinge bei Blatter in Kauf und machen weiter mit ihm. Ich fürchte, das ist so die Einstellung und deshalb ist der Druck von außen so wichtig, der sagt, es geht nicht mehr.

Pokatzky: Heißt das, dass wir uns, wenn der Druck von außen nicht doch dann irgendwann zur Änderung führt, heißt das, dass wir uns dann weiterhin für die nächsten Jahre und Jahrzehnte immer wieder auf solche Schmiergeldskandale einrichten müssen?

Schenk: Also, ohne Druck von außen wird sich nicht grundlegend was ändern bei der FIFA. Und wir haben wirklich letzte Woche gesehen, dass alleine das Einsetzen für tolle Compliance-Programme und neue Strukturen nicht ausreicht, wenn selbst Herr Blatter noch diese Haltung hat, dass er sagt, was nicht kriminell ist, ist in Ordnung. Damit kann er kein Beispiel geben.

Pokatzky: Im Deutschlandradio Kultur sprechen wir über die FIFA und Sepp Blatter mit Sylvia Schenk von Transparency International. Frau Schenk, er hat ja zurückgeschlagen, in Anführungsstrichen, gegen die deutschen Fußballverbände, indem er in einem Interview angedeutet hat, Deutschland könne sich den Zuschlag für die Weltmeisterschaft 2006 erkauft haben. Könnte an diesen Vorwürfen denn was dran sein?

Schenk: Also, man kann nie völlig ausschließen, dass es auch da irgendwas gegeben hat. Der DFB sagt – und ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln –, dass alles korrekt gelaufen ist. Das zeigt ja, dass Blatter völlig mit dem Rücken zur Wand steht. Wenn ihm nichts anderes mehr einfällt als nun alte Gerüchte wieder hervorzuholen, um zu versuchen, seine Kritiker einzuschüchtern, dann soll er doch bitte die Fakten auf den Tisch legen, morgen gleich die Ethikkommission mit einer Untersuchung der Vergabe 2006 beauftragen, und dann werden wir sehen, was dran ist. Aber wenn der Präsident der FIFA nichts weiter tun kann als alte Gerüchte zu holen und zu sagen, da wird wohl irgendwas dran sein, das ist ja eigentlich ein Armutszeugnis!

Pokatzky: Morgen trifft sich die FIFA-Ethikkommission. Was würden Sie den Mitgliedern raten?

Schenk: Wir müssen jetzt ja erst mal warten, ob das FIFA-Exekutivkomitee morgen die neue Ethikkommission beschließt. Wenn das beschlossen wird, wenn die Mitglieder eingesetzt werden und auch ausreichend Ressourcen bekommen, dann sollten sie alle Dinge untersuchen, die da noch als Gerüchte rund um die FIFA in der Welt sind, dafür sorgen, dass die Vergangenheit so weit wie möglich aufgeklärt wird. Aber sie sollten auch sich Gedanken darüber machen, wie ein Reformprozess laufen kann, wenn selbst an der Spitze noch Entschuldigungen für Schmiergeldzahlungen gefunden werden!

Pokatzky: Die FIFA, das ist unbestritten, organisiert und beherrscht den Weltfußball, macht schwerste Gewinne. Alternativen zur FIFA, sind die denkbar? Gibt es überhaupt ein Entkommen für, sagen wir mal, den deutschen Fußball aus der FIFA, oder sind alle Nationen diesem Schweizer Verein und seinem Präsident auf Gedeih und Verderb ausgeliefert?

Schenk: Ja, wenn die sich zusammentun und endlich mal aktiv werden, die ganzen Nationen oder zumindest die starken, dann sind sie nicht ausgeliefert. Der FIFA als solches entkommen ... Es gab ja immer mal so einen Vorschlag, man tritt dann einfach aus der FIFA aus: Das würde ja sofort bedeuten, dass der ganze deutsche Fußball sportlich gesehen illegal ist, an allen, Champions League und anderen Wettbewerben nicht mehr teilnehmen kann. Also, das wäre Harakiri, insofern, das ist sicher keine Lösung. Man muss Verbündete finden bei den starken Ligen, also zum Beispiel England, Italien, Frankreich, Spanien, versuchen, dass dort gemeinsam dann Druck gemacht wird. Nur dann ändert sich etwas.

Pokatzky: 209 Nationalverbände gibt es. Jetzt mal ein bisschen gesponnen: Wie viele gleichgesinnte Nationen, sprich, Fußballverbände nationaler Art bräuchte es denn, um einen alternativen Verband zur FIFA aufzubauen?

Schenk: Einen alternativen Verband aufzubauen, ist unmöglich. Also, das kostet so viel Geld, das wird keiner machen. Also, es geht nicht um einen alternativen Verband, es geht wirklich darum, dafür zu sorgen, dass in der FIFA anders gearbeitet wird. Da bräuchte man eine Mehrheit im Kongress, das wären rein rechnerisch 105 Stimmen von, also, mehr als 50 Prozent der 209.

Aber ich gehe davon aus, dass es schon genügt, wenn man die wesentlichen, die starken Verbände zusammennimmt, weil, wenn die an den richtigen Schrauben drehen, also sagen, wir machen keine Freundschaftsspiele mehr, wenn nicht alle gemeinsam mit uns hier dafür sorgen, dass andere Zeiten anbrechen und so weiter, dann können die schon eine ganze Menge Einfluss ausüben. Aber selbst die starken Länder sind ja bisher nicht bereit, sich da zusammenzutun.

Pokatzky: Nun habe ich Sie ja schon als Schiedsrichterin eingespannt. Wenn ich Ihre Geduld überstrapazieren darf und Sie noch als Prophetin einsetzen darf: Wir haben eine Skala von null bis zehn. Wenn wir uns angucken, in welcher Verfassung wird die FIFA in zehn Jahren sein? Null ist ganz schlecht und zehn ist wunderbar!

Schenk: Sieben!

Pokatzky: Das ist aber optimistisch!

Schenk: Ja! Also, in zehn Jahren wird sich was tun! Ich weiß nicht, ob es in zwei, drei Jahren jetzt gelingt, kann sein, dass es jetzt schon zum großen Crash kommt, mal schauen, wie weit der Druck sich da noch steigert die nächsten Tage, ob es auch international noch ein bisschen mehr gibt. Aber in zehn Jahren, das halten die nicht durch! Da muss sich was ändern!

Pokatzky: Danke, Sylvia Schenk, Juristin und ehemalige Leichtathletin, Vorstandsmitglied von Transparency International Deutschland und Sportbeauftragte von Transparency International. Einen schönen Tag noch, tschüss!

Schenk: Tschüss!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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