"Die drei haben einen Riesenspaß"

Anna und Dietrich Brüggemann im Gespräch mit Holger Hettinger · 25.07.2010
Ein Rollstuhlfahrer, sein Zivi und eine Frau, in die beide verliebt sind: Aus dieser Konstellation entwickeln die Geschwister und Drehbuch-Autoren Anna und Dietrich Brüggemann den Stoff für ein gewitztes Roadmovie.
Holger Hettinger: Anna Brüggemann und Dietrich Brüggemann. Sie haben das Drehbuch zu "Renn, wenn du kannst" gemeinsam geschrieben. Wie viel Zeit ist draufgegangen, um die Wogen wieder zu glätten, wenn Sie sich in den Haaren hatten?

Anna Brüggemann: Wir hatten uns nicht in den Haaren.

Holger Hettinger: Das habe ich jetzt einfach mal eiskalt unterstellt.

Dietrich Brüggemann: Da gab es keine Wogen. Es gab Wogen eigentlich immer zwischen uns und anderen Leuten, das ist auch normal, wenn man einen Film macht. Aber das Schöne ist ja, deswegen machen wir das ja zusammen, also wir sind jetzt ja nicht so masochistisch veranlagt, dass wir es immer wieder machen würden, wenn es schrecklich wäre, im Gegenteil.

Holger Hettinger: Das zweite Mal, dass Sie auf diese Art und Weise zusammengearbeitet haben, "Neun Szenen" ist ähnlich entstanden, also Sie beide das Drehbuch zusammen, Anna Brüggemann dann als Darsteller zu sehen. Klären Sie mich auf, gibt es da so was wie ein Konkurrenzverhältnis?

Anna Brüggemann: Nein, wir haben ein ganz … Eigentlich ist es ja total klar, wir schreiben zusammen das Buch, dabei respektieren wir gegenseitig die Meinung des anderen sehr, aber wir haben zusammen die gleiche Vision, und dann ist es ja ganz klar, er führt Regie und ich spiele, und das wollen wir auch nicht tauschen.

Dietrich Brüggemann: Ja, also sie will immer schöner sein als ich, aber das haut nicht hin.

Holger Hettinger: Und Sie nehmen das hin?

Anna Brüggemann: Ich nehm’ das alles hin. Ich leide still und lächle.

Holger Hettinger: Sie erzählen in "Renn, wenn du kannst" eine, ja, ganz zarte Geschichte. Es geht um einen Rollstuhlfahrer, Ben heißt der, dessen Verhältnis zu Zivis ein bisschen so von seiner Weltsicht auch geprägt wird, also so ein kleiner Tyrann, jemand, der sich auch so ein bisschen gefangen fühlt in sich selber. Und dieser neue Zivi, Christian, das ist ein ziemlicher Pragmatiker, der lässt sich so schnell nichts vorschreiben und gibt dem erst mal ein bisschen Kontra. Annika ist so ein bisschen das Bindeglied und auch das Objekt nachher der Begierde für beide. Da ist ja ganz viel drin, einerseits diese Dreiecksgeschichte, dann die Frage, wie stelle ich diesen Rollstuhlfahrer dar - was hat Sie gereizt an diesem Thema?

Dietrich Brüggemann: Ach, die Idee ist so uralt, die stammt wirklich aus der Zeit, als ich selber noch Zivi war und war damals nur so eine: Ja, könnte man doch eigentlich mal machen, Rollstuhlfahrer und sein Zivi, gleiche Frau, gab es noch nicht, wäre doch mal interessant. Aus der damaligen Perspektive hat mich vor allem natürlich interessiert, wie es als Zivildienst ist, so ein interessantes zwischenmenschliches Verhältnis, wo man sich sehr nahe kommt und durchaus so was wie eine Freundschaft aufbauen kann, und trotzdem ist es halt so ein Dienst.

Anna Brüggemann: Ja, also am Anfang war diese Grundidee, eigentlich dieser Satz: Rollstuhlfahrer und sein Zivi verlieben sich in die gleiche Frau. Der Satz ist erst mal irgendwie ein Knaller, der zieht, und dann muss man das halt ausdifferenzieren. Und dann merkt man, wow, da geht es um ganz, ganz, ganz, ganz viel. Da geht es um Verlieben, um körperliche Unzulänglichkeiten, da geht es um Freundschaft, um Momente, die bleiben, obwohl sie vorbeigehen. Eigentlich ging es dann ganz viel um diese Momente.

Holger Hettinger: Haben Sie bestimmte Anteile an dem Buch jeweils verteilt? Also Frau Brüggemann, Sie schreiben die Annika und Dietrich die anderen Figuren, oder gab es da keine Aufteilung, haben Sie das gemeinsam so entwickelt?

Dietrich Brüggemann: Das haben wir eigentlich gemeinsam gemacht. Also die Hauptarbeit beim Drehbuchschreiben ist ja, sich die Figuren auszudenken und den Ablauf zu bauen. Also man strickt sich sozusagen so einen Bogen aus Kausalketten gewissermaßen. Und das machen wir einfach immer zusammen. Die erste Fassung Dialoge ist dann meistens meine Arbeit, also auch nicht ausschließlich, aber danach ist die Arbeit ja noch nicht gemacht. Da hat man eine erste Fassung, dann kommen wieder tausend Leute und sagen, ja, nein, schön, besser. Und da haben wir dann halt zusammen dann weitergemacht.

Holger Hettinger: Frau Brüggemann, Sie machen sich sehr gut als Cellostudentin an der Musikhochschule, das sieht sehr faszinierend aus, Bogenführung einwandfrei, hab’ ich gar nichts zu meckern. Wie haben Sie sich vorbereitet auf diese Rolle?

Anna Brüggemann: Ich hab’ drei Monate vorher einen Cellocoach gehabt, wo ich am Ende jeden Tag war und ansonsten erst einmal die Woche, dann zweimal die Woche, und hab’ halt dieses Stück, ich hab die Griffe dieses schönen Brahms-Solos gekonnt. Natürlich klang es bei mir anders, weil man kann in drei Monaten … es ist gut, wenn es irgendwie klingt. Und ich hatte aber Angst, weil unsere große Schwester Geige studiert hat, und die hat als Erstes gesagt: Oh Gott, das haut im Film ja nie hin! Und dann hatte ich einen sehr persönlichen Ansporn, dass es doch halbwegs hinhaut.

Dietrich Brüggemann: Ich finde auch, es ist schön geworden. Es gibt immer Leute, die meckern. Also an die Musiker im Publikum: Nein, sie spielt hier nicht original Cello, ja, wenn man es weiß, sieht man es. Hättet ihr es lieber umgekehrt, dass jemand Cello spielen kann, ansonsten als Schauspieler versagt? Ich glaube nicht. Also so ist es.

Holger Hettinger: Stichwort "versagen": Annika ist ja auch in gewissem Sinne eine Gefangene. Dieser Kreativdruck, dieses Liefernmüssen, das hält sie so in dieser Form nicht aus. Sind es letztlich auch Erfahrungen, die man sich als Schauspieler auch zu eigen macht?

Anna Brüggemann: Ja, ein bisschen schon. Also ich glaube, jeder fängt mit egal welchen Künsten, ob es jetzt Musik oder Schauspiel oder vielleicht auch Schreiben oder Malen ist, an, weil es unglaublich Spaß macht und weil es vielleicht auch eine Befreiung ist von der normalen Welt, in der man lebt. Und wenn man das aber professionell macht, dann ist es auf einmal die normale Welt, mit auch dem Regelwerk einer normalen Welt, dem Erfolgsdruck und so weiter und so fort. Und sich davon wieder frei zu machen und den Spaß und die Freiheit, die das Ganze in sich birgt, zurückzuerobern, ich glaube, das kennen viele Kreative.

Holger Hettinger: Ben kündigt seinem neuen Zivi Christian ganz am Anfang an, er werde in seiner harten Schule vom Jüngling zum Mann reifen. Was glauben Sie, Herr Brüggemann, wer von den beiden ist am Ende des Films am meisten gereift?

Dietrich Brüggemann: Alle drei. Also gereift, das ist ja … Selbst Benjamin meint es in diesem Moment ja nicht ganz leicht, ganz ernst - leicht auch nicht - ganz ernst. Er sagt, du wirst in meiner Schule vom Jüngling zum Mann reifen. Der spielt ja auch gern mal mit Tonfällen, und in dem Moment tut er halt so, als wäre er so ein Rentner, der ihm sagt, Junge, du wirst in meiner Schule vom Jüngling zum … Und da hat er selber einen Riesenspaß dran. Und die haben auch zu dritt in dem Film einen Riesenspaß, das darf auch nicht unterschätzen. Und wer am meisten gereift ist, das überlasse ich dann dem Urteil des geschätzten Publikums.

Holger Hettinger: Der Film hat so eine, ja, ganz eigene Tonalität, auch so eine ganz eigene Optik. Das hat vieles von so einer Roadmovie-Anmutung, wenn die mit diesem, ja, geschätzt 65er Pontiac Bonneville da durch die Stadt rauschen. Inwieweit haben diese, ja, diese speziellen Filme dieses American Dream, für die optische Konzeption Ihres Films eine Rolle gespielt?

Dietrich Brüggemann: Herzlichen Glückwunsch, das ist exakt ein 65er Pontiac Bonneville …

Holger Hettinger: Es war ein 65er?

Dietrich Brüggemann: … nicht 64, nicht 66. Volltreffer! Ich weiß auch nicht, wie viele Filme da eigentlich drin hängen. Also so ein Initialfilm für viele Menschen in unserer Generation in diesem Land ist ja "Absolute Giganten" von Sebastian Schipper, wo auch ein Auto also eine große Rolle spielt. Den hatten wir sehr präsent, weil den haben wir zusammen mal gesehen und da waren wir uns einig: Hey, das ist doch toll! Aber diese ganzen anderen Sachen, viel davon hat man natürlich auch gesehen, das ist so eine Hintergrundtapete unserer Kultur, vor der man sich einfach bewegt. Aber das haben natürlich die Figuren in unserem Film auch im Kopf, und die spielen das auch so ein bisschen nach. Also das ist nicht ganz naiv, wenn die das machen.

Holger Hettinger: Herr Brüggemann, wenn ich mich so ganz vage noch mal an "Neun Szenen" erinnere, das war ein Film, der mit diesen sehr langen Einstellungen und wo sich so eine Szene aus sich selbst heraus entwickelt, die hatte so einen ganz eigenen Rhythmus. Den habe ich auch so ein bisschen bei "Renn, wenn du kannst" gefunden, also auch diese sehr, sehr stark an diesem Atem, an dem Verhalten, an dem Spiel der Personen orientierten Rhythmisierung. Hat sich da was bei Ihnen weiterentwickelt oder haben Sie das eine aus dem anderen hervorgeholt?

Dietrich Brüggemann: Nein, es hat sich eigentlich zurückentwickelt. Also ich hätte den Film am liebsten auch so gemacht wie "Neun Szenen", einfach jede Szene in einer festen Einstellung durchmachen, aber das durfte ich diesmal nicht. Wenn man so einen Film macht mit viel Geld und Produzenten, die wollen dann auch schneiden können, das versteht man auch.

Nein, Quatsch, der Film ist schon auch so gewollt, wie er gemacht ist. Aber was ich sehr, sehr gerne mag, ist, wenn man einfach mit der Kamera nicht so viel Theater macht. Also der Zuschauer ist ein erwachsener Mensch. Ich muss ja nicht die ganze Zeit mit der Kamera irgendwie hier nah rangehen und da nah ranschneiden und ja, guck mal, hier steckt er den Schlüssel ins Schloss und jetzt schau mal hier, jetzt nimmt er was aus der Schublade, Großaufnahme vom Gesicht, jetzt hat er irgendwie ein Auge zu - mein Gott.

Also ich habe die Erfahrung gemacht, wenn ich die Kamera einfach in die Ecke stelle, ein Bild mache, was ein gutes Bild ist, und das bespielen lasse, so dass ich die Leute alle gleichzeitig sehe, da hat der Zuschauer im Endeffekt viel mehr Spaß, weil er sich ganz viel selber denken darf. Und hinzu kommt einfach eine gewisse Faulheit, im positivsten Sinn. Wenn man so dreht, dass die Sachen vor der Kamera einfach passieren, dann ist man schneller fertig und hat früher Feierabend.

Holger Hettinger: Die Sachen haben ein Wahnsinnstiming, aber trotzdem hat man so das Gefühl, es gibt viele Momente, die haben so eine improvisatorische Leichtigkeit. Wie viel war festgelegt, wie viel war spontan?

Anna Brüggemann: Ich würde sagen, es war relativ viel festgelegt, hat sich dann aber trotzdem spontan angefühlt. Und ja, Dietrich hat ganz klare Vorstellungen von dem, was in der Szene passieren muss und wo es gesetzt werden soll, aber dazwischen hat man auch wieder die Freiheiten. Und auch die beiden Jungs, also Robert Gwisdek und Jacob Matschenz, haben sich diese Freiheiten gerne genommen und dann auf einmal irgendeinen Quatsch gemacht, wo wir dachten, was machen die da, aber ist gut.

Dietrich Brüggemann: Ja, also ich sag mal, junger Mann, wenn man gute Dialoge schreibt, dann hören die sich halt echt an, nicht wahr. Ich habe so ein gewisses Sensorium dafür, was sich nicht echt anhört. Da kann ich nur sagen: Leute, nee, das hört sich nicht echt an, irgendwas stimmt hier nicht. Und es liegt meistens eben nicht am Spiel, sondern an der Szene, weil es gibt so eine gewisse Art und Weise, wie die Menschen miteinander interagieren, wie sie miteinander reden und so, und es gibt eine gewisse Art und Weise, wie sie das im Leben eigentlich fast nie tun, aber in Filmen permanent. Das muss man einfach eliminieren und schon stimmt’s.

Holger Hettinger: Ich war ganz erstaunt von Robert Gwisdek, das war also ganz grandios hingespielt, wie der diesen Rollstuhlfahrer verkörpert, wie er quasi einen Regler zu haben scheint, wo er seine Transparenz, seine Bereitschaft, in sich selbst reinzuschauen, quasi regelt von Situation zu Situation. Wie sind Sie auf Gwisdek gekommen?

Dietrich Brüggemann: Das erste Mal habe ich den dann tatsächlich gesehen, als er noch ganz klein war. Ich war 1999 Vorführer beim Filmfest München, da lief ein Film namens "Grüne Wüste", ist Roberts erste Hauptrolle, da ist er, ich weiß nicht, 12 oder 14 oder so was. Und dachte ich mir, wer ist das, der ist ja wirklich großartig. Dann bin ich an die HFF gegangen, und ein paar Jahre später lief Robert Gwisdek da auch rum, hat da Schauspiel studiert. Wir haben uns da überhaupt gar nicht wirklich kennengelernt, aber ich wusste, wer er ist. Und dann haben wir ihn bei so einer Preisverleihung wiedergetroffen, hatten ihn da eh schon zum Casting eingeladen, und dann nahmen die Dinge ihren Lauf.

Holger Hettinger: Wie haben Sie ihn vorbereitet auf diese Rolle des Rollstuhlfahrers?

Dietrich Brüggemann: Natürlich hat er einfach erst mal einen Rollstuhl zum Üben gekriegt, dann einfach hat man ihn ein bisschen mit Fakten gefüttert, was das alles eigentlich so ist, was da technisch vorgeht im Körper. Da gab es speziell eine Person, eine Ergotherapeutin, die sich da wirklich auskannte und ihm da sehr auf die Sprünge - haha! - geholfen hat. Und dann hatten wir zwei echte Rollstuhlfahrer, die ihn beide sozusagen trainiert haben. Das eine ist Dominik Brückner, unser Redakteur beim SWR, der selber im Rollstuhl sitzt und für den dieses Projekt natürlich auch sehr wichtig war.

Und dann ist da einer, den hatten wir gefunden, als wir mal mit dem Gedanken gespielt hatten, die Rolle mit einem echten Rollstuhlfahrer zu besetzen, wo wir halt keinen gefunden haben, der so ein genialer Laienschauspieler gewesen wäre. Auf die Weise haben wir aber Tobi Kremer gefunden, das ist ein ganz, ganz interessanter Typ, völlig anders als die Figur im Film. Das ist so ein ganz, ganz ruhiger Mensch, der aber auch viel Sport treibt und krassen Rollstuhlsport und verheiratet ist mit einer Fußgängerin und so, wo man denkt, hey! Ich wollte unbedingt, dass Robert den kennenlernt, um diese Sache mal aus einer ganz anderen Perspektive zu sehen.
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