Die Botschaften der Yoko Ono

Von Volkhard App · 23.08.2008
Diese Frau gibt mit ihren 75 Jahren noch immer keine Ruhe: Yoko Ono zeigt in der Bielefelder Kunsthalle Werke aus vier Jahrzehnten ihres Lebens. Doch als Retrospektive möchte die Künstlerin diese von Poesie, Spiritualität und Scharfsinn geprägte Schau nicht verstanden wissen - vielmehr als Auftakt zu weiteren zehn oder 20 produktiven Jahren.
Frieden zu schaffen, das ist seit den Tagen der "Plastic Ono Band" ihre zentrale Botschaft geblieben. Und so hängt an der Fassade der Bielefelder Kunsthalle ein riesiges Transparent: "Imagine Peace” ("Stelle Dir den Frieden vor”). Einige Installationen erinnern dagegen an die Realität des Krieges, auch an deutsche Geschichte: Da baumeln von der Decke 24 Wehrmachtshelme, in denen sich Puzzleteile befinden - jedes zeigt ein Stück von einem blauen Himmel.

Das Vogelgezwitscher dazu ist schlichter Ausdruck des Friedenswunsches: Wenn eine Milliarde Menschen an den Frieden dächte, bekäme man ihn auch, sagt Ono. Jeder von uns habe die Macht, die Welt zu verändern.

Ihre Botschaften können einfach und direkt sein, beseelt auch von kindlicher Naivität. "Wir alle bestehen aus Wasser”, heißt eine andere Installation mit mehr als 100 gefüllten Glasflaschen, darauf kleben Etiketten mit erlauchten Namen: "Albert Einstein”, "Jimi Hendrix”, "Nelson Mandela” und viele mehr. Im Blickfeld steht so die Menschheit. Thomas Kellein, Direktor der Kunsthalle, hat zusammen mit Ono all diese Werke aus gut vier Jahrzehnten ausgesucht:
"Als wir Yoko Ono einluden, war der Wunsch vorhanden, ihre philosophischen Stücke oder auch die Philosophie ihrer Stücke zu präsentieren. Ein schwieriges Unterfangen, denn wie zeigt man Ideen in einem Museum, in dem man erwartet, dass es etwas zu sehen gibt? Glücklicherweise ist Ono sehr weit auf diesen Vorschlag eingegangen. Und so haben wir in der Ausstellung zu einem erheblichen Teil Werke, die 1961, 62 oder 63 als Konzept entstanden sind - und in Bielefeld erleben wir jetzt im Jahre 2008 die Umsetzung."
"Fahre mit einem Leichenwagen durch die ganze Stadt”, aus diesem Satz von 1962 bestand eines dieser Projekte bislang und ist wie andere erst jetzt zur Ausstellung realisiert worden. Und so steht nun tatsächlich ein alter schwarzer Mercedes vor der Kunsthalle, mit dem sich jeder durch die Straßen chauffieren lassen darf - so, als würde man einen letzten Blick auf diese Welt werfen. Yoko Ono:
"Ich war sehr beeindruckt von einem kleinen Buch, dass die auf ihre Hinrichtung wartenden Gefangenen zeigte - und sie schrieben ihre Wünsche für die letzte Mahlzeit auf. Man könnte da wie bei Christus von einem Abendmahl sprechen. Ich will damit nicht sagen, dass Christus kriminell war, sondern dass auch in einem Verbrecher Herz, Seele und Geist existieren.

Ich möchte nun zeigen, was passiert, wenn andere Menschen mit einer ähnlichen Situation konfrontiert werden. So dachte ich, es könnte interessant sein, wenn sie in einem Leichenwagen gefahren werden. Es ist, als ob sie auf dem Weg auf die andere Seite wären und dabei noch einmal nach draußen blickten: ’Oh, so sah also meine Stadt aus.’"
Manche Zettel an den Wänden mit bloßen Handlungsanweisungen erinnern an die frühen 60er Jahre, als sie im Umkreis von Fluxus und Konzeptkunst bekannt wurde und sich darauf beschränkte, ihre Ideen bloß niederzuschreiben und diese kleinen Texte dann in Ausstellungen und in Buchform zu veröffentlichen.

Aber mit den Jahren hat sie doch viele Projekte verwirklicht. Zu ihren berühmtesten Filmen gehört "Fly” von 1970: Fliegen krabbeln über einen nackten Frauenkörper, und Ono macht zu dieser verstörenden Darbietung die entsprechenden Töne. Markante Objekte finden sich in dieser Schau: ein Labyrinth mit einer Lichtbox im Zentrum sowie ein Schachspiel mit meterhohen Figuren in nur einer einzigen Farbe - miteinander zu spielen statt gegeneinander ist hier wichtig. Seit 1994 entstehen auch fein punktierte Tusch-Zeichnungen mit rätselhaften, fantastischen Formen: eine Gratwanderung zwischen ungegenständlich und figurativ. Wirklich eine vielseitige Künstlerin.

Ihre Mitmach-Aktionen wirken in Bielefeld freundlich und fast ein wenig harmlos: So werden Schüler an einem "Wunschbaum” Karten mit ihren Sehnsüchten anbringen, und Besucher dürfen Fotos ihrer Mütter auf weiße Flächen kleben und kleine Kommentare hinzufügen. Im Kontrast zu solchen Ideen stehen die Abgründe anderer Installationen: Rund hundert Jahre alte Fotos verweisen auf Mädchen, die man einst in den Anstalten von Bethel glaubte verwahren zu müssen. Und drei Erdhügel sollen Zeichen sein für häusliche Gewalt und für eingesperrte und missbrauchte Frauen.
Aus zwei Schuhen, einer Bürste und einem Bronzespiegel schließlich scheint Blut zu fließen: Diese Skulpturen stehen nicht nur für Brutalität im Alltag, sondern auch für Erinnerungen, die hervorbrechen, weil wichtige Erfahrungen nicht aufgearbeitet wurden. Dazu immerhin könnte Ono mit dieser Ausstellung beitragen. Auch wenn sie sich selber eher bescheiden zur "Wirkungsabsicht” äußert:
"Sie mögen in dieser Ausstellung finden, was Sie wollen. Man kann Sie ja nicht zwingen, so zu schauen, wie man selber es will. So habe ich auch nie gedacht. Ich möchte den Menschen etwas bieten, das Nahrung sein könnte für ihre Seele und ihren Geist - etwas, das ihnen Energie und Kraft verleiht. All das ist verbunden mit spirituellem Erwachen, geistigem Aufbruch. Ich zeige nichts, was nicht auch mein Herz berührt hat."
Als Retrospektive möchte sie diese von Poesie, Spiritualität und Scharfsinn geprägte Schau aber nicht verstanden wissen. Das Wort klingt ihr zu sehr nach "erledigt” und "abgehakt". Diese Frau aber gibt mit ihren 75 Jahren noch immer keine Ruhe und sieht die Ausstellung sogar als Auftakt zu weiteren zehn oder 20 produktiven Jahren:
"I think of this whole show as a beginning, the beginning of my next ten to twenty years of work."