Die Ameise und die Religion

11.11.2008
Der amerikanische Philosophieprofessor Daniel Dennett ist ein prominenter Vertreter der "Brights" - zu deutsch: helle Köpfe. Ihr erklärtes Ziel besteht darin, die Religion zu entmystifizieren. In seinem neuesten Buch "Den Bann brechen. Religion als natürliches Phänomen" untersucht Dennett, wie und warum Religionen entstanden sind und wie sie sich durchsetzen konnten. Er idealisiert sich als ideologiefrei, doch steckt er gedanklich noch mitten im 19. Jahrhundert.
Was bringt eine Ameise dazu, mitten am Tag einen Grashalm hinauf zu klettern, wo ein Schaf sie fressen wird? Die Ameise hat davon überhaupt nichts - sie wurde Opfer des Kleinen Leberegels. Der Parasit manipuliert ihr Gehirn, um seinen Fortpflanzungszyklus im Schaf zu vollenden.

Ist es das, was Religionen tun? Sind sie im Laufe der Evolution durch biologische Mechanismen entstanden und veranlassen nun ihr Wirtstier Mensch zu irrationalem Verhalten, um ihr eigenes Überleben zu sichern? Wer - wie Daniel C. Dennett in seinem neuen Buch "Den Bann brechen - Religion als natürliches Phänomen" - Betrachtungen über die tieferen Gründe der Religiosität mit einem Vergleich zwischen Gottesglauben und einer parasitenverseuchten Ameise beginnt, will provozieren: Es gebe keinen Grund, betont der Philosophieprofessor, auf religiöse Gefühle länger Rücksichten zu nehmen.

Überempfindlichkeit und Geheimniskrämerei gehörten zu jenem Gespinst, durch das Religionen sich gegen Kritik immunisierten und den eigenen Fortbestand sicherten. Statt dessen gelte es, die Religion endlich auf den neutralen Prüfstand naturwissenschaftlicher Forschung zu stellen.

Religionswissenschaftler, Soziologen, Historiker werden sich verwundert die Augen reiben, befassen sie sich doch schon lange mit den Fragen, die Dennett aufwirft: Wie kam der Mensch zur Religion? Warum transformierten sich animistische Rituale in die Lehrgebäude der heutigen Weltreligionen? Wie sichern die Kirchen der Welt ihre Macht? Was spielt sich im einzelnen Gläubigen ab, welchen Tauschhandel geht er ein mit seinem Gott?

Dennett möchte der Religionswissenschaft eine neue Richtung geben. Angelehnt an die Evolutionsbiologie will er Gedankengut und Praktiken der Religionen als Meme verstanden wissen: eigenständige Einheiten, die - ähnlich Genen, wie er meint - danach streben, in vielen identischen Kopien fortzubestehen. Dazu müssen Meme sich konkurrierenden Memen als überlegen erweisen: etwa wie der allwissende Gott, der den persönlichen Interessen des Gläubigen dient und ihm in diffizilen Alltagsfragen Entscheidungshilfe leistet.

Doch die Überlebenstüchtigkeit des einen kann den Tod des anderen bedeuten. Damit die Menschheit nicht von religiösen Parasiten gefressen wird und damit die anmaßenden Ansprüche der Religionen mit harten Fakten widerlegbar werden, müsse es mehr Forschung in der von ihm skizzierten, naturwissenschaftlichen Richtung geben, fordert der Philosoph im Schlussteil seines Buches.

Das aufklärerische Pathos, mit dem Dennett sich in den Ring wirft, wirkt hierzulande bislang befremdlich. Allerdings schwappt die evangelikale Welle mit wortgetreuem Bibelglauben, antiliberalen Eifer und handfestem politischen Gestaltungsanspruch längst nach Europa über, und so sollten auch Gegenbewegungen nicht ausbleiben.

So pointiert und humorvoll Dennett schreibt - seine Argumentation überzeugt aus vielen Gründen nicht: Da sind die Meme, die eine tragende Rolle in seiner Argumentation spielen, aber aus gutem Grund umstritten sind. Mem-Theoretiker müssen erst noch zeigen, dass ihr Konstrukt - das bislang reine Wort- und Gedankenspielerei ist und empirisch nicht untermauert wurde - Kulturphänomene besser erklären kann als bisherige Konzepte.

Da ist sein beherzter Umgang mit Begriffen wie Wahrheit, Gerechtigkeit, Moral, Freiheit, die er in keiner Weise an sein evolutionistisches Weltbild rückbindet - wie auch? Da sind die naturwissenschaftlichen Halbwahrheiten: Wir alle wollten nur eines, uns fortpflanzen, erklärt Dennett, um seine Mem-Theorie zu stärken. Er idealisiert sich als ideologiefrei, doch steckt hier gedanklich noch mitten im Grabenkampf mit der Sexualfeindlichkeit des 19. Jahrhunderts.

Biologen heute wissen, dass sich in vielen natürlichen Populationen große Teile der Männchen niemals fortpflanzen und auch keine großen Absichten diesbezüglich hegen. Da ist die völlige Ignoranz gegenüber bisheriger Philosophie und Wissenschaft. Dennett zitiert kaum, bezieht sich selten, er redet am liebsten selbst. Umso schwerer erträglich ist seine Weinerlichkeit über die Kritik, die seine naturalistischen Thesen erfahren - mit Dreck fühlt er sich beworfen, von "gackernden" Geisteswissenschaftlern umstellt.

Seinem erklärten Ziel, nämlich die Gesellschaft vor religiöser Ignoranz und Anmaßung zu schützen, wird Dennett mit diesem Buch nicht näher kommen: Wer so ignorant und anmaßend auftritt, beschert dem Atheismus keine Konvertiten.

Rezensiert von Susanne Billig

Daniel C. Dennett: Den Bann brechen". Religion als natürliches Phänomen
Aus dem Amerikanischen von Frank Born,
Verlag der Weltreligionen, Frankfurt am Main/Leipzig 2008,
531 Seiten, 28,80 Euro