Die alltägliche Vergeudung

Weltmeister im Papierverschwenden

Meterhohe gepresste Altpapierblöcke auf einem Recylinghof
Gepresste Altpapierblöcke auf einem Recylinghof © imago / Blickwinkel
Von Christina Rubarth · 28.03.2017
Fast 260 Kilo Papier verbrauchen die Deutschen pro Jahr und Kopf. Sollte in Zeiten von Tablets, Mails, Smartphones und digitalen Speichermedien Papierverschwendung nicht längst Geschichte sein?
Windelkartons, liebevoll zerlesene Zeitungen und Magazine, Kassenzettel, Müslischachteln, rotes, geblümtes, gestreiftes Geschenkpapier vom letzten Kindergeburtstag, Pizzaschachteln, riesige Kartons, irgendwelche Ausdrucke, unerwünschte Werbung, aufgerissene Briefumschläge... Das alles werfe ich halbwegs schwungvoll in den riesigen orangefarbenen Container.
Ein Mitarbeiter des Recyclinghofes in Berlin-Pankow, ebenfalls ganz in Orange, drückt auf einen großen roten Knopf. Ein Schieber - so breit wie der ganze Container - presst alles zusammen, macht aus meinem Riesenhaufen einen etwas Kleineren.
"Bringen tun sie immer dasselbe, aber die Menge werden immer größer."
Vor allem die Menge von Versandkartons und Versandmaterial, sagt er.

Vize-Weltmeister im Papierkonsum

Zuhause habe ich keine Papiertonne, deshalb fahren ich – oder mein Freund - unser Altpapier selbst zum Recyclinghof. Das ist zwar nicht besonders praktisch, aber so weiß ich nicht nur, ich spüre auch körperlich, was ich alles wegschmeiße und vor allem: wieviel das ist. Alle zwei, drei Wochen lohnt es sich, den Kofferraum zu bestücken, also bestimmt eine herkömmliche Papiertonne voll. Macht etwa 25 Papiertonnen pro Jahr, die meine Familie entsorgt. Nicht gerade wenig. Und damit liege ich offenbar im allgemeinen Deutschland-Trend.
Pro Kopf verbraucht jeder Deutsche im Schnitt 258 Kilo Papier pro Jahr. 3 1/2 Mal mehr als Chinesen, fast doppelt so viel wie Franzosen. Mehr Papier nutzen nur Belgier und Luxemburger. Wir sind also quasi Vize-Weltmeister im Papierkonsum, sagt Angelika Krumm, Papierexpertin von der Umweltorganisation Robin Wood. Ein eher zweifelhafter Titel. Zum Vergleich: Brasilianer kommen heute durchschnittlich mit 48 Kilo pro Kopf im Jahr aus, Afrikaner mit unter 10 Kilo.
"Papier hat sich zu einem super Alltagsprodukt entwickelt, das jeder kennt, das jeder gerne benutzt. Und über das in Deutschland sehr wenig nachgedacht wird. Vor rund 20 Jahren war Deutschland auf Platz 10 des Papierverbrauchs weltweit mit 215 Kilogramm und sieben Länder, von denen, die vor uns lagen, verbrauchen heute weniger Papier als wir 1999 verbraucht haben."

Wir sind Papierverschwender

Ein trauriger Aufstieg, den wir Deutschen da in den letzten Jahren hingelegt haben. Ganz klar: Wir sind Papierverschwender.
Aus riesigen LKW fallen Papierreste, gebrauchte Kartons und Pappen in die haushohe Halle, füllen sie Meter um Meter. Es staubt: In der Papieraufbereitungsanlage der Wertstoff-Union im Süden Berlins erahne ich, was die Menge bedeutet, die wir Deutschen an Papier verbrauchen. Jeden Tag kommen hier 400 bis 500 Tonnen Altpapier zusammen. Und die Wertstoff-Union ist nicht die einzige Sammelstelle für das, was die Berliner in die Altpapiertonne werfen, sagt Betriebsleiter Volker Johannes.
"Dit is hier rein die klassische blaue Tonne, wie der Bürger sich entsorgt. Das heißt, wir haben hier circa 80% Berliner Material drin und 20% noch aus dem Umlandbereich."
Die hellsten Papiere verkauft die Wertstoff-Union an Papierfabriken, die zuerst die restliche Farbe auswaschen, um dann möglichst weißes Recyclingpapier herstellen zu können. De-Inking heißt das im Fachjargon. Die festen Kartons werden zu neuen Kartonagen weiterverarbeitet. Um diese Papierqualitäten für die Kunden herauszufiltern, führt die Anlage das Altpapier über meterlange Bänder und Gitter. Kleinere Schnipsel und Fremdstoffe, Steine zum Beispiel, fallen unten heraus. Via Druckluft und Farbkameras sortiert die Anlage automatisch den erst unübersichtlichen Papierberg, trennt ihn nach Größe, Farbe und Material, erklärt Volker Johannes.
"Dann geht´s in die klassische Handsortierung, wo dann noch die Kollegen die Nachkontrolle machen."
Über drei Laufbänder gebeugt, fischen die dann artfremdes Material aus den Papieren. Gestern war ein ganzer Bund Orangen drin – und die eine oder andere Handtasche. Beim Trennen können die Deutschen also noch besser werden.
Eine Presse quetscht die sortierten Papiere am Ende der Anlage zu tonnenschweren Ballen. Von hier werden die wieder per LKW in die Papierfabriken transportiert. Zumindest in die, die wirklich Altpapier recyceln und nicht nur auf Papier aus neuen Zellulosefasern setzen.
In zwei Altpapier Mülltonnen in Dresden (Sachsen) stecken unsachgemäß entsorgte große Pappkartons.
Deutsche sind eifrige Altpapiersammler© dpa/picture-alliance/Arno Burgi

Einfrige Sammler, nachlässige Käufer

Wir Deutschen sammeln zwar viel altes Papier, aber wir achten beim Kauf des neuen immer weniger darauf, woraus es hergestellt wurde - ob aus wiederverwertetem Papier oder aus frischen Fasern. Der Altpapieranteil bei der Papierherstellung insgesamt liegt zwar bei fast 75%. Bei der Herstellung von Hygienepapieren aber geht er drastisch zurück, sagt Angelika Krumm von Robin Wood.*
"Der war im Jahr 2000 74%. Und er liegt jetzt nur noch bei 48% bei der deutschen Papierherstellung."
Es werden immer mehr Primärfasern, also neue Zellulosefasern, verarbeitet - besonders bei der Produktion von Toilettenpapier. Bei einem Produkt also, das definitiv nicht nochmal genutzt wird. Die frischen Fasern sind damit für immer verloren. Was der Verband Deutscher Papierfabriken z.B. auf seiner Website "PAPIER - Vorurteil und Wahrheit" gerne betont: Holz ist ein nachwachsender Rohstoff. Was deutsche Papierhersteller aber oft verschweigen:
Holz ist ein Rohstoff, der oft intensiv statt nachhaltig produziert wird. Für die frischen Fasern werden Wälder abgeholzt, entstehen riesige Plantagen - in Brasilien, Indonesien oder Skandinavien, warnen Umweltorganisationen wie Robin Wood und Greenpeace seit Jahren. Doch kaum einer hört ihnen zu. Auch nach Schätzungen der FAO, der Welternährungsorganisation, werden jedes Jahr 13 Millionen Hektar Wald vernichtet.
"Die letzten schwedischen Urwälder, die es überhaupt noch gibt, sind nicht unter Schutz gestellt, wir wissen, dass jedes Jahr eben auch diese letzten Urwaldreste teilweise zerstört werden. Wir wissen, dass in Brasilien neue Zellstoffwerke errichtet werden sollen, wofür auch wieder Wälder zerstört werden müssen, weil die Kapazitäten nicht ausreichen, die jetzigen Plantagen."
"Für ein bisschen mehr Luxus, jetzt auch mit längeren, dickeren Blättern!" Soft, softer, softis, fühlen Sie den Unterschied. Drei weiche Lagen und ein Hauch von Kamille!"

Frischer Zellstoff für weiches WC-Papier

Den frischen Zellstoff für kuschelig weiches Toilettenpapier, den kann die deutsche Forstwirtschaft nicht in Gänze liefern. Daher wird er z.B. aus Brasilien importiert, sagt Angelika Krumm. Denn dort, wachsen besonders flauschige Eukalyptusfasern, die dann unter hohem Energieaufwand verarbeitet werden. Gerne zu vier- bis fünf-lagigem Papier. Dass es große Eukalyptusplantagen für die Zellstoffindustrie in Brasilien gibt, das bestreitet auch der Verband Deutscher Papierfabriken nicht. Er aber widerspricht auf der Website "Papier – Vorurteil und Wahrheit" dem Vorwurf, dass extra dafür Wälder abgeholzt werden. Er betont, die Plantagen seien auf ehemaligen landwirtschaftlichen Flächen angelegt worden, die für diese Form der Nutzung nicht mehr produktiv genug waren. So bleibt das ungute Gefühl: Damit wir auch auf dem Klo nicht auf Luxus verzichten müssen, sterben offenbar Wälder, Tier- und Pflanzenarten aus. Jeder Deutsche spült im Schnitt rund 18 Kilo Hygienepapier pro Jahr in die Kanalisation.
In unserer Wohnung checke ich die Produkte aus Papier, die ich am meisten nutze: Toiletten- und Druckerpapier, Küchenrolle - die Klassiker. Beim Toilettenpapier schneide ich ganz gut ab. Da achte ich schon lange darauf, dass es aus 100% Altpapier hergestellt ist. Was mein Po und ich noch nie bereut haben. Allerdings verbrauche ich wirklich viel davon. Bei der Küchenrolle sieht es genauso aus: aus 100% Altpapier. Aber auch davon vernichtet unser 4-Personen-Haushalt unglaubliche Mengen, anstatt öfter einfach das Küchentuch oder den Spülschwamm zu benutzen. Da gibt es auf jeden Fall noch Sparpotenzial.
Auf ganzer Linie versage ich beim Druckerpapier: Es stehen zwar viele Siegel auf der Packung, die auf den ersten Blick nach Öko und Zertifikat aussehen. Aber schaue ich genauer hin, dann versteckt sich dahinter nur der Aufruf, dieses Papier nach Gebrauch zu recyceln oder die Behauptung, dass es aus – angeblich - nachhaltiger Forstwirtschaft kommt.
Dass sich 100%iges Recyclingpapier im Büro gut macht, beweist die Stadt Siegen im westfälischen Siegerland. Seit 2 Jahren bestellt die Kommune nur noch Papier zertifiziert mit dem "Blauen Engel" - für die Verwaltung, für die Schulen und die Hausdruckerei. Dieses deutsche Siegel garantiert nicht nur, dass das Papier zu 100% aus Altpapier hergestellt wurde, sondern dass es zudem auch in seiner Qualität dem Papier aus frischen Fasern in nichts nachsteht. Anders als zum Beispiel das weltweit gültige FSC-Siegel, das lediglich garantiert, dass Holz- und Papierprodukte aus verantwortungsvoll bewirtschafteten Wäldern stammen.

Siegen: "Recyclingpapierfreundlichste Stadt 2016"

Im Zimmer von Dorothee Münker, Leiterin des Sitzungsdienstes, sind die Regale fast verwaist. Statt Aktenordnern steht ein kleiner Zimmerbrunnen auf ihrem Schreibtisch. Einige wenige Ausdrucke liegen daneben, alle in einem leicht gräulichen Ton.
"Es war am Anfang schon eine Umstellung, denn wir waren nicht so ganz überzeugt, dass die Qualität halt dem weißen Papier auch entspricht. Und es ist, wenn man Farbe druckt natürlich auch ein bisschen... ja, es ist einfach ´ne Umstellung, man muss sich dran gewöhnen."
Das sieht man an den Akten, zumindest an den wenigen, die es noch gibt. Die älteren Blätter sind noch strahlend weiß, die neuen haben einen leichten Grauschleier. Was dem Inhalt nicht schadet.
Steffen Mues, seit 10 Jahren Bürgermeister in Siegen, hatte die Idee zur 100%-Recyclingpapier-Kommune. Einen Ratsbeschluss, den Anteil an Recycling-Papier zu erhöhen gab es schon vor 20 Jahren, aber Mues wollte die vollen 100%. Er will hier Vorreiter sein. Auch wenn er anfangs mit Widerständen kämpfen musste.
"Wir haben viele Jahre gebraucht, um diese 100%-Quote zu erreichen. Da lag es immer an Einzelpersonen, die, die Quote verdorben haben. Es herrschten Vorurteile vor, dass Drucker kaputt gehen durch Recyclingpapier oder vielen gefiel es halt auch nicht. Meistens war den Leuten auch nicht bewusst, dass man durchaus Recyclingpapier bekommen kann, was fast genauso weiß ist, wie teuerstes normales Papier."
Den letzten Kick gab dem Projekt der "Papieratlas" von der Initiative Pro Recyclingpapier - u.a. in Kooperation mit dem Bundesumweltministerium. Die Initiative zeichnet jedes Jahr Kommunen aus, die zu 100% auf Recyclingpapier setzen.
"Für eine Stadt, die sich gleichzeitig auch noch "grünste Großstadt Deutschlands" in der waldreichsten Region Deutschlands bezeichnet, passt das zusammen. Was dahinter steckt – wie viel Energie und wie viel Wasser man damit einsparen kann – das wissen die wenigsten. Und da sind wir als öffentliche Verwaltung sicherlich in einer ganz besonderen Pflicht, stärker darauf hinzuweisen."
Ganz konkret heißt das für die Stadt Siegen: Durch das Recyclingpapier wurden allein 2015 über 1,4 Millionen Liter Wasser und fast 300.000 Kilowattstunden Energie eingespart. Außerdem ist das Papier, das die Stadt jetzt nutzt, etwa zehn Prozent günstiger gegenüber Papier aus Primärfasern. Und für die Einwohner Siegens heißt das: Auch ein Knöllchen kommt jetzt auf Recyclingpapier.

Das (fast) papierlose Büro

Mit dem Recyclingpapier kam auch der Wille, soviel Papier wie möglich einsparen zu wollen. Dorothee Münker ist für die Sitzungsunterlagen zuständig. Die gibt es jetzt digital statt analog. Nahezu alle Sitzungsmitglieder nutzen nun ein Tablet statt - wie früher - dicke Ordner.
"Ich kann übers WLAN gehen oder ich kann es auch ganz normal offline mir die App öffnen, das ist ein so genanntes Sitzungsdienstprogramm, da kann ich mich mit einem Passwort anmelden... klick klick... das dauert dann einen kleinen Moment, bis sich das eingeloggt hat und kann mir dann über die Auswahl Termine – das geht alles mit Touch – die Tagesordnung z.B. von der letzten Sitzung des (Haupt- und) Finanzausschusses runterladen. Dahinter verbergen sich dann die schriftlichen Sitzungsunterlagen."
Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Zig Tausende Blätter Papier hat die Stadt seit der Einführung gespart. Statt einem eigenen Drucker im Büro hat Dorothee Münker jetzt einen Chip, mit dem sich sich auf dem Gemeinschaftsdrucker im Flur einloggen kann.
"Gleichermaßen kann ich natürlich auch ein Dokument einscannen und schick mir das auf meinen Rechner und kann es von da aus dann verschicken oder eben bei mir abspeichern."
Und noch einen – ganz praktischen – Nutzen, sagt sie, hat das neue System via App.
"Ich habe früher immer zur Sitzung einen richtig vollen Pilotenkoffer mitgenommen oder mitnehmen müssen, bin natürlich jetzt mit dem Tablet oder iPad gewichtsmäßig viel leichter unterwegs."

Selbstversuch

Vom annähernd papierlosen Büro bin ich noch weit entfernt. Immer mehr Anhänger propagieren einen Schreibtisch ganz ohne Papier. Sie scannen nicht nur alle wichtigen Unterlagen und speichern diese digital, sie nutzen z.B. auch ein Tablet wie ein Stück Papier, schreiben und markieren mit Spezialstiften oder mit ihren Fingern auf dem digitalen Dokument. Klingt irgendwie machbar. In meinem Selbstversuch komme ich da allerdings technisch an diverse Grenzen. Ich habe schlicht nicht die Ausrüstung dafür, sondern nur einen Laptop – und, was das Ganze zusätzlich erschwert, ich vertraue nicht den diversen online-Speichermöglichkeiten via Cloud oder Dropbox. Dass wichtige Unterlagen dort für immer gesichert sein sollen, überzeugt mich nicht. Da setze ich weiter auf Papier. Für mich – wie für so viele – nach wie vor ein absolutes Alltagsprodukt. Und das darf dann gerne aus Altpapier sein.
Wie wird eigentlich Papier gemacht? Papier aus dem Altpapier, das wir sammeln?
In Düsseldorf-Bilk steht seit gut 130 Jahren die Papierfabrik Julius Schulte. Die Chance ist groß, dass auch mein Toilettenpapier auf Röhrchen aus dieser Fabrik gerollt wurde. Denn das Familienunternehmen ist Marktführer für Papprohre in Deutschland. LKW liefern täglich den Rohstoff, tonnenweise Altpapier. Berge voller Papierpakete stehen auf dem Hof, Reste von Kartons, Buchseiten, Schuhkartons.
Was mir sofort auffällt: Papierherstellung aus Altpapier ist ein dreckiger Job. Überall hängen graugrüne Papierfetzen. An Decken, Lampen, Geräten und als Matsch auf dem Boden. Und es riecht nicht besonders frisch. Selbst wenn hier kaum Chemie benutzt wird, auch die Natur kann stinken.
"Bei der Papierherstellung wird zur Festigkeitssteigerung des Papiers gerne Stärke eingesetzt, ein Naturprodukt. Und die Stärke ist ein wunderbares Futter für Bakterien aller Art. Und diese Bakterien fallen dann über die Stärke her und fressen sie, dadurch entsteht ein Fäulnisprozess. Und ein Fäulnis-Prozess hat halt Geruch."

Aus Alt mach Neu

Als erstes landet das Papier in einem meterhohen Bottich, dem sogenannten Pulper, wird mit Wasser gemischt und verrührt, um es in seine Einzelfasern zu zerlegen. Dabei werden auch die Stoffe aus dem Altpapier gelöst, die da nicht reingehören, erklärt Georg Pingen, seit mehr als 20 Jahren im Unternehmen. Klebestreifen von Postpaketen zum Beispiel, aber auch CDs oder Holz.
"Es ist leider so, dass ungefähr 5% der Menge Altpapier, die wir bekommen, sind kein Altpapier und das ist für uns natürlich ´ne große Herausforderung, das auszusortieren. Also das heißt: Je sauberer man trennt, desto leichter ist der Recycling-Prozess."
Der Brei aus dem Pulper wird über meterbreite Düsen auf dem Sieb der Papiermaschine verteilt. 20, 30 Meter lang ist die, mehrere Meter breit und hoch, bestückt mit hunderten Rohren und Schläuchen. Es dampft, Kondenswasser tropft von der Decke. Hier lässt sich erahnen, dass die Papierherstellung sehr energieintensiv ist, große Mengen Wasser und Elektrizität benötigt.
"Das Wasser fällt durch das Sieb durch und die Fasern bleiben auf dem Sieb liegen, dadurch bildet sich dann das Blatt. Diesem Prozess wird ein bisschen nachgeholfen mit Vakuum, diese Kästen, das ist nichts Anderes wie ein großer Staubsauger, d.h. unter dem Sieb ist Vakuum und dadurch wird das Wasser rausgesaugt."
Die braunen Papierbahnen werden slalomartig über bis zu 100 Grad heiße Trockenzylinder transportiert. 30, 40 Grad sind hier die Standard-Arbeitstemperatur.
Und am Ende der Maschine landet dann das fertige Papier. Das wird zu meterdicken Rollen aufgerollt und über mit Messern bestückte Walzen geführt. Die schneiden dann das Papier – je nach Kundenwunsch – in kleinere Bahnen. Fertig.
Angefangen hat die Papierproduktion in Deutschland übrigens im 14. Jahrhundert mit alten Textilien statt altem Papier. Die ersten Papiermühlen nutzten Lumpen als Rohstoff. Erst als die Nachfrage nach Papier wuchs, wurden die Lumpen immer mehr durch frische Holzfasern ersetzt.
Komplett auf frische Holzfasern kann auch der moderne Recyclingkreislauf nicht verzichten. Denn je öfter reines Altpapier mit Wasser vermischt, zerfasert und neu zusammengepresst wird, desto eher braucht es auch wieder frischen Zellstoff, quasi als Kleber.
"Jede Faser kann bis zu sieben Mal neu verwendet werden. Wir liegen aber bei etwa so zwei, zwei 1/2 Mal. Also da sehen wir, dass eben sehr viel Luft noch ist."

Was hilft: achtsamer Konsum

Angelika Krumm von der Umweltorganisation Robin Wood betont, dass wir Deutschen zwar viel Altpapier sammeln, aber nicht im gleichen Masse auch konsumieren. Das heißt, wir kaufen verstärkt Produkte, die aus Primärfasern hergestellt werden, anstatt den Altpapierkreislauf sinnvoll weiter zu führen. So wird die Wiederverwertung des Papiers von uns selbst unterbunden. Immer dann, wenn wir ohne Not zu Papier greifen, das einen hohen Anteil an frischen Fasern beinhaltet oder gar - wie das besonders flauschige Toilettenpapier - komplett aus neuen Fasern produziert wird. Angelika Krumm pocht darauf: Es geht nicht darum, Papier zu vermeiden, sondern um einen achtsamen Konsum und damit um das Ende der Papierverschwendung.
Aber wie? Es klingt paradox, aber mit der Digitalisierung, seitdem wir mehr Mails als Briefe verschicken, Daten online speichern, die Steuer auch im Netz machen können, sinkt der Papierverbrauch nicht etwa. Er steigt sogar. Dokumente ausdrucken gehört zum Standard in deutschen Büros. Umgerechnet verbraucht so jeder Büroangestellte gut einen Baum pro Jahr. Und es gibt immer noch Menschen, die Mails nicht vorm Computer, sondern auf Papier lesen. Das tue ich zwar nicht. Aber das macht meinen Papierberg trotzdem nicht kleiner. Wo kommt der her? Ich habe meinen Umgang mit Papier genauer beobachtet und mich ehrlich um Reduzierung bemüht. Mit mäßigem Erfolg.
Im Drogeriemarkt ist meine Lieblingscreme erst in Kunststoff, dann von einer Pappschachtel umhüllt. Die Windeln für meine Kinder sind nicht nur in Plastikfolie geschweißt, sondern werden im Karton im preiswerteren Doppelpack angeboten. Auch die Zahnpasta, auf die ich seit Jahren baue, steckt in einer Pappverpackung genauso wie das Müsli im Supermarkt. Erst eingetütet, dann nochmal umverpackt. Da hilft es auch nicht, wenn ich die unnötigen Papierverpackungen gleich im Laden lasse. Das reduziert zwar meinen privaten Papierberg, nicht aber das Problem der offensichtlichen Papierverschwendung.
"Kassenbon?" – "Nein, den brauche ich nicht. Danke."
An der Supermarktkasse ein kurzer Lichtblick: Immer öfter werde ich gefragt, ob ich den Bon überhaupt haben möchte. Aber auch wenn ich das verneine, wird er ausgedruckt – und weggeworfen.

Gute Becher, schlechte Becher

Beim Thema to-go-Becher bin ich schon länger auf dem richtigen Weg. Ich gehöre nicht mehr zu denjenigen, die einen Pappbecher mit Kunststoffdeckel mit sich herumtragen: Mein Kaffee für unterwegs fließt seit Monaten in einen recycelbaren Bambusbecher. Immerhin, gut für mein Gewissen. Denn die Zahlen sind erschreckend: Mehr als zehn Milliarden Einweg-Pappbecher werden in Deutschland jährlich verbraucht. Übereinandergestapelt würden die zwei 1/2 Mal zum Mond reichen, hat Robin Wood vorgerechnet. Durch ihre wasserdichte Verarbeitung sind sie für das Papierrecycling verloren. Damit sind Wegwerfbecher mindestens genauso schädlich für den Papierkreislauf wie superweiches Toilettenpapier.
Auf der gelben Tonne für Plastikmüll hat jemand zwei leere Kaffeebecher aus Pappe deponiert. Aufgenommen in Köln.
Der hohe Verbrauch an Einwegbechern verursacht ein Müllproblem.© dpa/picture-alliance/Maximilian Schönherr
Wo ich sicher noch abrüsten kann: bei Versandkartons. Zwar bestelle ich nicht exzessiv online. Aber das eine oder andere Produkt – zur Not für ein paar Euro mehr – in der Nachbarschaft zu kaufen, das wäre schon drin. Vielleicht findet aber auch der Versandhandel "memo" bald Nachahmer. Der Händler für Büroartikel bietet Mehrfachboxen statt Versandkartons aus Pappe – und nimmt sie auch direkt wieder mit.
Bleibt vielleicht doch mein Home-Office, bei dem ich aktiv reduzieren könnte? Mein guter Vorsatz: Die Werbepost, die ich nicht nutze, werde ich abbestellen. Tagelang habe ich mich erfolgreich geweigert, meine gesammelten Infos zu diesem Feature auszudrucken. Aber als ich drohe, den Überblick zu verlieren, muss ich mir eingestehen: So komme ich nicht weiter. Das geschriebene Material, mit dem ich arbeiten möchte, brauche ich vor mir. Ganz haptisch. Ausgedruckt. Und damit bin ich nicht allein.
Eine drei, vier Meter breite Bücherwand hinter seinem Rücken, sitzt Professor Friedrich Steinle in seinem Büro in der Technischen Universität in Berlin. Er doziert über Wissenschaftsgeschichte. Ein Mann des Wortes, der seine Bücher liebt.
"Wenn ich ein Buch in der Hand habe, dann ist es etwas ganz Anderes, als wenn ich einen kurzen Artikel lese – den kann ich auch im Internet lesen. Aber schon ein 20-Seiten-Artikel, ist meine Lesegewohnheit ´ne andere. Ich muss den vor mir haben, ich muss leicht vor- und zurückblättern können, ich mach mir Notizen. Ich hab´ auchvielleicht ist das einfach eine Trainingssache, aber ein visuelles Gedächtnis. Ich weiß, da stand eine wichtige Überlegung rechts oben oder in der Mitte. Und das könnte ich mit rauf- und runterscrollen überhaupt nicht. Diese Dimension fehlt mir dabei."

Digitales versus Buchdruck

Professor Steinle hat die Wissenschaft auf seiner Seite. Das, was er beschreibt, dass er Gedrucktes haptisch anders wahrnimmt als Digitales, belegen auch mehrere Studien. An der Universität im norwegischen Stavanger zum Beispiel haben im Jahr 2014 Studenten bei einem Test besser abgeschnitten, wenn sie die abgefragten Informationen zuvor in einem Taschenbuch statt auf einem eReader lasen. Die Forscher gehen davon aus, dass die haptische Rückmeldung der elektronischen Geräte unserem Gehirn nicht gleichermaßen hilft bei der Rekonstruktion des Gelesenen wie bei Gedrucktem, das ganz anders erfahrbar ist. Wenn wir Informationen nicht nur sehen, sondern auch tasten und eventuell riechen können, sind diese Informationen leichter zu merken.
"Und bei Büchern ohnehin: Da muss ich blättern. Da blättere ich vor und zurück, ich geh in das Literaturverzeichnis, halt meinen Finger aber vorne drin. Das ist ein Umgang mit gedrucktem Material, da wüsste ich nicht, wie ich den auf dem Rechner ersetzen kann."
Buchstapel
Buchstapel© Deutschlandradio - Daniela Kurz
Aber auch der Bücherfan Steinle merkt, dass er weniger häufig in sein Bücherregal greift als noch vor zehn Jahren. Immer öfter nutzt auch er Artikel online.
"Historische Quellen, die, die ich brauche, die sind zum Teil aus dem 18. Jahrhundert. Und da gibt es zunehmend den Umstand, dass die ja aus dem Internet bereitgestellt werden. In guter Qualität und mit denen kann man arbeiten. Da gilt allerdings auch wieder Dasselbe: Wenn das ein größerer Umfang wird, dann fange ich an, auszudrucken. Wenn es da um 20 Seiten geht, die ich in Ruhe lesen möchte, dann druck ich mir die aus und les eben den Lateinischen in Fraktur gesetzten Text oder was auch immer. Da brauche ich die Muße und auch die Haltung, entspannter am Tisch zu sitzen und lesen zu können."
Und seine Studenten? Sitzen die ihm in Vorlesungen und Seminaren mit Laptops oder mit Papier gegenüber?
"Die bekommen ja ihre Materialien in der Zwischenzeit alle elektronisch. Und die könnten komplett auf Ausdrucken verzichten. Es gibt welche, die dann eben mit dem Tablet oder dem PC im Seminar sitzen. Es ist ein Viertel vielleicht, allerhöchstens ein Drittel. Und die anderen drucken aus. Manche legen sich vier Blätter gleichzeitig auf den Tisch, um damit arbeiten zu können."
Mein Fazit: Papier reduzieren und damit weniger verschwenden, das kann ich sicher tun. Genauso bewusster beim Einkaufen auf Recyclingpapier achten, zum Beispiel bei Schreib- oder Toilettenpapier. Aber ein komplett papierloses Büro oder gar Leben? Das ist für mich unerreichbar. Und damit – das haben mir die vielen Papierberge gezeigt - bin ich noch lange nicht allein.
(*) Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes stand fälschlicherweise, der Altpapieranteil bei der Papierherstellung gehe zurück. Richtig ist, dass der Altpapieranteil bei der Herstellung von Hygienepapieren zurückgeht.