Deutschlandpremiere

Gefangen in einer Spirale von Gewalt

Die Biene ist bei Hideki Noda das Symbol für den Wahnwitz.
Die Biene ist bei Hideki Noda das Symbol für den Wahnwitz. © picture alliance / dpa
Von Stefan Keim · 02.06.2014
"The Bee" ist ein aufwühlendes Stück über zwei Männer, die sich gegenseitig in einen Amoklauf drängen. Dem Autor, Regisseur und Schauspieler Hideki Noda gelingt es, mit seinem Stück die japanische Lust am Extremen mit anarchischem britischem Humor zu vermengen.
Die Aufführung ist schon acht Jahre alt, war auf vielen internationalen Festivals zu sehen, aber kommt erst jetzt nach Deutschland. Doch es ist nie zu spät, um aufwühlendes, ungewöhnliches Theater zu entdecken. "The Bee" des japanischen Autors, Regisseurs und Schauspielers Hideki Noda ist so ein Stück.
Ein Geschäftsmann kommt nach Hause. Oder vielmehr: Er kommt nicht zu seinem Haus durch, denn die Polizei hat es abgeriegelt. Reporter umzingeln ihn und fragen, wie er sich fühlt. Erst langsam kapiert Ido, dass seine Frau und sein Sohn von einem Kriminellen als Geiseln genommen wurden. Der Mann war aus dem Gefängnis ausgebrochen, weil er seine Frau sehen wollte. Doch die hat auf ein Treffen keine Lust.
Zuerst Trashcomedy, dann dreht die Handlung immer mehr ab
Zusammen mit einem supercoolen Polizisten macht sich Ido auf dem Weg zu dieser Frau. Als sie ihm nicht helfen will, haut er den Ermittler bewusstlos und nimmt die Familie des Kriminellen als Geisel. Bisher war die Inszenierung eine tempogeladene, frische Trashcomedy. Überdreht, satirisch, mit Charakteren wie aus Genrefilmen. Nun dreht die Handlung immer mehr ab. Ido und der Gangster beginnen, den Kindern des jeweils anderen Finger abzuhacken und sie sich gegenseitig als Warnung zuzuschicken. Sie vergewaltigen die Frauen, keiner will nachgeben. Und Geschäftsmann Ido blüht auf, fühlt sich endlich als Mann. Seine Familie ist nur noch ein Vorwand, eigentlich hat er sie längst vergessen.
Hideki Nodas Stück ist keinesfalls nur ein schwarzer Gesellschaftsthriller, sondern ein politisches Gleichnis. Beide Söhne sind sechs Jahre alt, beide haben Geburtstag, beide Väter bringen als Geschenke Taschenrechner mit, weil sich die Kinder für Mathematik interessieren. Das Stück entstand in einer Phase der Paranoia nach vielen Terroranschlägen in Großbritannien und den USA.
Hideki Noda, der in London seine Theaterausbildung gemacht hat und dort häufig arbeitet, vermengt die japanische Lust am Extremen – wie man sie in vielen Filmen, Fernsehshows und Theaterperformances findet – mit anarchischem britischem Humor, der an Monty Python erinnert.
Übrig bleibt der Irrsinn
Eine Biene fliegt durch den Raum. Ihr Summen wird immer lauter, Geschäftsmann Nido fühlt sich immer mehr gestört. Mit dem Insekt wächst der Wahnsinn, die Körperkomik, der Wahnwitz, die übermütigen Choreographien verschwinden aus der Aufführung. Übrig bleibt der Irrsinn, Krämpfe, Verzweiflungsattacken, wenn kurz ins Bewusstsein dringt, was hier gerade passiert. Aber die Spirale der Gewalt ist nicht mehr aufzuhalten.
"The Bee" ist ein starker, ungewöhnlicher Theaterabend, krass, politisch, witzig und aufwühlend. Hideki Noda spielt selbst den Geschäftsmann mit expressivem Körpereinsatz, erst ein etwas verloren wirkender kleiner Mann, ein Woody-Allen-Typ, dann ein Amok laufender Berserker, der es genießt, die Werte der Zivilisation abzuschütteln. Die drei englischen Schauspieler an seiner Seite entwickeln eine ähnliche explosive Energie.

Wieder am 3. und 4. Juni, Festspielhaus Recklinghausen, kleines Theater, www.ruhrfestspiele.de