Deutsches Theater

Rückkehr ins alte Leben

Von Andrea Gerk · 22.02.2014
Ein wohlhabender Mann kehrt in die Provinz zurück und trifft auf seine verarmten Jugendfreunde. Milan Peschels Inszenierung lässt viel Raum für eigene Gedanken und Gefühle über Gerechtigkeit, Schönheit und Liebe.
Irgendwo in der Provinz, "wo die vorbeidonnernde B1 dem Löwenzahn eine zweite Haus aus polnischen Auspuffemissionen schenkt", spielt Nis-Momme Stockmanns Stück. Im Vorort herrscht Agonie, die Aromafabrik, in der alle Arbeit fanden, ist geschlossen. Ein Mann, der in der Stadt viel Geld gemacht hat, kehrt an diesen Ort zurück und trifft dort seine große Jugendliebe wieder: Nora lebt mit Mirko zusammen, der seit Monaten gar nichts mehr tut, er vegetiert vor sich hin, reagiert auf nichts, seine Frau muss ihn sogar wickeln. Der persönliche Totalboykott als Form der Kapitalismuskritik, so hat es der Autor, der 2010 zum Dramatiker des Jahres gekürt worden war, formuliert. Er ist überzeugt: "Der eigentliche Kampf findet im Innern statt."
Dieser Einsicht folgt auch Milans Peschels Inszenierung, in der erst gegen Ende des Abends herauskommt, dass der Heimkehrer fast den gesamten Ort aufgekauft hat, also selbst der größte Kapitalist ist. Zuvor liegt die Konzentration auf dem Verhältnis des Heimgekehrten zu Nora und zu seinem Jugendfreund, ihrem Mann Mirko. Es gibt Rückblenden, die Darsteller (Moritz, Grove, Daniel Hoevels, Kathleen Morgeneyer, Martin Otting) tauschen die Rollen und die Figur des Erzählers wird immer wieder zwischen zwei Darstellern aufgeteilt: Es spricht die handelnde Person und ihr personifiziertes Bewusstsein. Mitten im Satz lösen die Darsteller einander ab oder verwickeln sich - gemeinsam auf einem Stuhl sitzend - ineinander. Das ist lustig und nimmt dem manchmal arg schweren Text etwas von seiner Last und erzeugt stattdessen Schwung und Kraft.
Wechselspiel der Traumbilder
Auf der Bühne (Nicole Timm) steht die weiße Front eines Hauses, wenn es umgedreht wird, sitzen die Protagonisten in Noras Küche - auch hier also ein Wechselspiel zwischen Innen und Außen. Dann wieder dreht sich die Front zur Seite und gibt den Blick frei auf eine überdimensionale, aufblasbare Puppe - ein altes Riesenbaby, eine Traumfigur, die da liegt, hinter ihr eine Schwarz-Weiß-Fotografie, auf der eine einsame Straße ins Nirgendwo führt. Traumbilder, die auftauchen und wieder verschwinden, genauso wie die Themen, die dieser Abend anreißt, streift, kurz vertieft und wieder davongleiten lässt: Wie funktioniert Gerechtigkeit? Was ist Schönheit? Wieso verödet die Heimat und was macht Liebe aus?
Reflektiert wird auch das Gemachte der Situation, wenn die Schauspieler – wie Erwachende – den Kulissen nachsehen, fast verwundert darüber, wo sie sich befinden. Milan Peschels Inszenierung lässt viel Raum für eigene Gedanken und Gefühle, die zwischen all den Motiven, die auftauchen und wieder verschwinden entstehen können. Doch wie im Traum bleiben sie dadurch auch seltsam fern und ungreifbar.