Deutsch - Sowjetische Fußballfreundschaft

Von Thomas Jaedicke · 21.08.2005
Zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist die Welt noch weit davon entfernt, in Frieden zu leben. Es herrscht immer noch Krieg. Kalter Krieg. Deutschland ist geteilt. Zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion gibt es nur eisiges Schweigen. Dabei müsste geredet werden, über die Millionen Toten und das Leid. Noch immer werden Tausende Deutsche in sowjetischen Lagern festgehalten. Da brechen die deutschen Fußballer, die Helden von Bern, zu einer umstrittenen Reise nach Moskau auf.
"Gegenangriff der Russen. Das Spiel wird jetzt etwas riskanter von beiden Mannschaften geführt. Da ist aber der russische Linksaußen alleine durch. Röhrich will helfen, aber Maslonkin hat den Ball genommen, steht alleine, müsste schießen, schießt auch….Und im Tor ist der Ball! Im Tor ist der Ball durch Maslonkin…"(Jubel!)"

21. August 1955, ein brüllend heißer Sonntag mitten im Kalten Krieg. 80.000 Menschen, darunter 1500 Deutsche, die mit dem Zug nach Moskau gefahren sind, sitzen im ausverkauften Dynamo-Stadion und sehen, wie die junge sowjetische Mannschaft den amtierenden Weltmeister Bundesrepublik Deutschland in Schwierigkeiten bringt. Auch Rundfunkreporter Herbert Zimmermann, Kommentator des legendären Finales von Bern, sitzt schwitzend auf der Pressetribüne.
"2:2 ist der Spielstand, und die Russen greifen jetzt endlich einmal wieder auf der rechten Sturmseite an. Der Halblinke Salnikow dringt in den Strafraum ein. Kopfball! Vom Pfosten abgeprallt, Nachschuss…Tor"
Die Sowjets gewinnen 3:2. Es ist das erste "Freundschaftsspiel" zwischen beiden Ländern nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945. Diese auf Einladung Moskaus zustande gekommene sportliche Begegnung soll ein erster Schritt sein auf dem schwierigen Weg, die durch die Gräuel des Kriegs zerrütteten Beziehungen zwischen Russen und Deutschen wieder ein kleines Stückchen zu normalisieren. Unvergessen sind die Millionen Kriegsopfer auf sowjetischer Seite. Noch immer warten Tausende deutsche Kriegsgefangene und verschleppte Zivilisten in Lagern auf ihre Heimkehr. Der wegen seiner Nazivergangenheit umstrittene erste Präsident des nach 1945 wieder gegründeten Deutschen Fußballbunds, Peco Bauwens, sagt vor der dem Abflug der Nationalmannschaft auf dem Ostberliner Flughafen Schönefeld:
"Man soll bei solchen Gelegenheiten, wo dokumentiert werden soll, dass der Sport wirklich ausgleichend, versöhnend, Völker verbindend ist, da soll man nicht zögern, sondern man soll dann bekennen, wozu man steht. Wir stehen nun zum Sport als dem Mittler zwischen den Völkern."

Während sich die DDR-Ideologen vor Begeisterung über die große versöhnliche Geste Moskaus fast überschlugen, war das Echo in der Bundesrepublik nicht so eindeutig. Viele witterten hinter der Einladung zum Fußballspiel einen neuen Versuch, von den Schwierigkeiten der Besatzungsmacht mit der unzufriedenen und unterdrückten DDR-Bevölkerung abzulenken, und den Sport für politische Ziele zu missbrauchen. Seit einem Jahr wartete der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes vergeblich auf eine Antwort aus Moskau, um über das Problem der deutschen Kriegsgefangenen zu sprechen. Der von den USA finanzierte Rundfunk im Amerikanischen Sektor, RIAS, weigerte sich sogar, das Spiel zu übertragen.
"Wir kennen nicht die Zahl der Vereinsmitglieder und der Fußballfreunde, die der DFB repräsentiert. Wir kennen aber die Zahl derer, die in den letzten Jahren ihre Wohnung, ihre Existenz, den Kreis ihrer Freunde aufgegeben und verlassen haben, weil ihnen das Leben in der Sowjetzone Deutschlands unerträglich und nicht mehr lebenswert erschien. Es waren seit dem Jahr 1949 bis zum 30. Juni dieses Jahres 1955 nicht weniger als 1.291.118 Menschen."

Kritiker des DFB-Besuchs in Moskau erinnerten auch an den 17. Juni 1953. Es waren sowjetische Panzer gewesen, die den Volksaufstand gegen höhere DDR-Arbeitsnormen in Ost-Berlin niedergewalzt hatten. Dennoch war auch die Mehrheit der Westdeutschen von den positiven Signalen und den Möglichkeiten überzeugt, die sich aus dieser Begegnung eröffnen könnten. Bundestrainer Sepp Herberger, während der Nazizeit schon Reichstrainer und Mitglied der NSDAP, sprach nach der Rückkehr der Fußballer vielen Deutschen aus dem Herzen.
"Am stärksten beeindruckt hat mich die große Gastfreundschaft der Russen. Wir bringen also aus Moskau die Erinnerung an so schöne Tage des Zusammenseins mit russischen Sportkameraden. Und wir freuen uns, wenn die Russen zu uns kommen, Gleiches mit Gleichem vergelten zu können."

Drei Wochen nach dem Länderspiel trifft Bundeskanzler Adenauer in Moskau ein. In schwierigen Verhandlungen erreicht er die Freilassung von 7326 Kriegsgefangenen und 2626 Internierten. Am 12. September 1955 nehmen die Bundesrepublik Deutschland und die Sowjetunion diplomatische Beziehungen auf.
Über 100 Mitglieder gehören zum Tross, der Adenauer in die sowjetische Hauptstadt begleitet.

"Jetzt geht der Bundeskanzler auf die Ehrenkompanie zu."

Darauf Adenauer: "Ich glaube, meine Damen und Herren, dass sehr viel Leid und sehr viel Kummer und Schmerz gerade dadurch doch gelindert werden wird. Nicht nur bei den fast 10.000 Menschen hier in der Sowjetunion, sondern bei den zahlreichen Angehörigen in der Heimat."